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23.11.2022

13:57

Wiedervereinigung

So machten zwei Ostdeutsche Karriere in der Logistik

Von: Christoph Schlautmann

PremiumGehen oder bleiben? Klaus-Dieter Bugiel und Heiko Nowak wurden nach dem Mauerfall zu erfolgreichen Logistikmanagern – der eine im Osten, der andere im Westen.

Die beiden Logistikmanager gingen geteilte Karrierewege nach dem Mauerfall. Felix Zimmermann

Logistikmanager Heiko Nowak (li.) und Klaus-Dieter Bugiel am Flughafen Leipzig/Halle

Die beiden Logistikmanager gingen geteilte Karrierewege nach dem Mauerfall.

Leipzig Einem Rockstar lieferte Klaus-Dieter Bugiel kürzlich die vergessene Gitarre zum Konzert nach Stockholm, vier eilig von Porsche benötigte Brembo-Sportbremsen, die im Autobahnstau feststeckten, ließ er gerade erst per Helikopter von einem nahe gelegenen McDonald’s-Parkplatz ausfliegen. Mit seiner Leipziger Firma Fox-Courier erinnert der 61-Jährige viele an den legendären Feuerwehrmann Red Adair. Gerufen wird Bugiels Transportfirma immer dann, wenn es mächtig brennt.

Dass Bugiels Karriere hätte anders verlaufen können, zeigt der Berufsweg seines Branchenkollegen Heiko Nowak, mit dem er sich an diesem trüben Herbsttag auf einer Aussichtsplattform des Flughafens Leipzig/Halle verabredet hat. Nowak, bis vor einem Jahr Mitglied der Geschäftsleitung beim Speditionsriesen Rhenus, führt seit 2021 die Geschäfte der Transportfirma WP in Zwickau, eine Spedition mit 130 Millionen Euro Umsatz, 400 Fahrzeugen und 1000 Mitarbeitern.

Den Treffpunkt haben beide mit Bedacht gewählt. Auf dem ehemaligen DDR-Messeflugplatz wollen sie berichten, wie es ihnen seit dem Mauerfall vor genau 33 Jahren ergangen ist – dem einen im Osten, dem anderen nach der Übersiedlung aus der Heimat im Westen. Ihre Geschichten sind keineswegs repräsentativ, aber womöglich typisch.

Gehen oder bleiben? Als am 9. November vor 33 Jahren die Mauer fiel, traf es die zwei damaligen Studenten zur Unzeit. Beide lebten im Osten, Bugiel kam aus Leipzig, Nowak aus Eisleben, beide büffelten fürs Ingenieurstudium. Nach drei Jahren Nationaler Volksarmee hatte sich der damals 23-jährige Nowak an der Uni Jena eingeschrieben, der fünf Jahre ältere Bugiel, der schon einen ersten Abschluss in „Rationalisierungsmittel-Bau“ besaß, paukte im Fernstudium. Beim VEB Sprio Holzhausen montierte er im Hauptberuf Farbspritzpistolen, mit denen Trabis im nahen Zwickau ihre pastelligen Lackierungen erhielten.

Von ihrem später gemeinsamen Metier, der „Logistik“, hatten die zwei – wie auch die allermeisten DDR-Bürger – nie etwas gehört. „Der Begriff war in den neuen Bundesländern damals schlicht unbekannt“, sagt Nowak. Und Bugiel stimmt ihm zu.

Unterschiedliche Beweggründe, um in den Westen zu ziehen

Ende 1989 ist es eigentlich Bugiel, dem Kollegen und Behörden als Erstem eine Übersiedlung in den Westen zutrauen. Ein Jahr zuvor haben sich die Eltern illegal zur Oma nach Minden abgesetzt, was dem Filius, der daraufhin selbst einen Ausreiseantrag stellt, eine Nacht in Stasi-Gewahrsam einbringt. Nach dem Mauerfall beschließt der damals 28-Jährige jedoch zu bleiben – selbst als sich die Belegschaft des VEB Sprio von 550 auf zwölf Beschäftigte reduziert und Bugiel zu einer Zeitarbeitsfirma wechseln muss.

Mit Auftrag für 248 Mark gestartet. Felix Zimmermann

Kurier-Unternehmer Klaus-Dieter Bugiel

Mit Auftrag für 248 Mark gestartet.

Sein in Jena studierender Kommilitone denkt, anders als Bugiel, zunächst gar nicht an eine Ausreise. „Es war meine Frau, die im September 1990 dazu drängte“, erinnert sich Nowak. Sie hat sich an Jenas Uni für Biologie eingeschrieben, fühlt sich dort aber selbst nach der Wende bespitzelt.

Weil ein 1984 aus der DDR geflohener Freund in Dortmund wohnt, lässt sich das Ehepaar im Norden der Ruhrgebietsstadt nieder. Um über die Runden zu kommen, verdingt sich Nowak als Elektriker, montiert Klimaanlagen in Kaufhäusern und schreibt sich an der Dortmunder Uni ein.

Dort entdeckt er im Aushang die Stelle als studentische Hilfskraft für „Logistic Consulting“ am Lehrstuhl für Förder- und Lagerwesen. Den Zettel, den er heute noch besitzt, steckt er sich heimlich in die Tasche. „Alle haben sich gewundert, dass ich der einzige Bewerber war“, freut er sich selbst Jahrzehnte später noch diebisch über seinen Coup. „Aber so kam ich zur Logistik.“

Zur selben Zeit jobbt Klaus-Dieter Bugiel in Leipzig bei einer Firma, die ihm ein Freund empfohlen hat. Für Eurokurier fährt er mit einem klapprigen Passat in die Normandie, um sie mit eiligen Druckmaschinen-Ersatzteilen zu versorgen, in den Kiewer Messehallen liefert er einen Teppich ab, nach Polen geht es mit Arzneimitteln.

1993 fällt der Entschluss, all dies auf eigene Rechnung zu erledigen. Am Flughafen Halle/Leipzig mietet er sich in einem ehemaligen Gefängnis ein. „Zelle 10“ steht über dem Eingang zum Büro, das Bugiel vollstopft mit zwei Schreibtischen und Dutzenden Telefonbüchern für ganz Deutschland. Die Firma nennt der Hobbyfunker Fox-Courier.

In Lieferdiensten für Burger King, Rossmann, Siemens und Eurocopter

Das erste Fahrzeug, einen gebrauchten Fiat Fiorino, hat er sich für 3000 Mark besorgt, die 25.000 D-Mark an haftendem GmbH-Kapital mühsam zusammengekratzt – zur Hälfte durch das Einbringen von Sachwerten. „Wir haben selbst unsere Büropflanze als Eigenkapital angegeben“, erzählt der Sachse.

Die erste Fahrt startet am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, und zwar von Wurzen nach Leipzig, wo es 22 Türen anzuliefern gilt. 248 Mark erhält die junge Firma für den Auftrag. Den handgeschriebenen Auftrag präsentiert Bugiel, als würde man ihm nicht glauben wollen, in der Fotosammlung seines Handys.

Für Heiko Nowak dagegen startet im Westen kurze Zeit später eine steile Karriere. 1996 heuert er beim später von DHL übernommenen Lagerlogistik-Spezialisten Exel an, wo er für Burger King, Pizza Hut und Wienerwald die Food-Belieferung koordiniert. Zwei Jahre später lotst ihn ein Headhunter zum Tengelmann-Konzern. Für dessen damalige Drogeriekette kd soll er die Logistik neu aufbauen – und wird dafür mit 34 Jahren Geschäftsführer eines Joint Ventures mit dem Spediteur Fiege.

Rückkehr mit 55 Jahren nach Ostdeutschland. Felix Zimmermann

Langjähriger West-Manager Heiko Nowak

Rückkehr mit 55 Jahren nach Ostdeutschland.

Als kd 2003 von Rossmann gekauft wird, erhält er am Autotelefon einen Anruf von Heinz Fiege. „Der damalige Firmenchef hatte von der Übernahme gehört und mir gleich einen Job angeboten“, berichtet Nowak. Seinen neuen Mitarbeiter schickt Fiege anschließend unter anderem nach Worms und Donauwörth. Dort soll er Logistikkunden wie Siemens und Eurocopter betreuen.

Klaus-Dieter Bugiel hat zu dieser Zeit gerade seine neue Büroetage bezogen, nachdem er das Gefängnis nach dem Gebäudeabriss verlassen musste. Seinen ersten Computer hat er sich 1994 bei Vobis besorgt, für 4800 Mark. Im gleichen Jahr gönnt er sich – nachdem ihm Freunde und Bekannte mit ihren Trabants und Barkas-Lieferwagen aushalfen – das erste fabrikneue Firmenfahrzeug, einen Golf GTI. Doch der erweist sich bald als Fehlkauf.

„Das tiefer gelegte Auto war für ostdeutsche Straßen ungeeignet und setzte dauernd auf“, erinnert sich der Firmenchef mit Grausen. Die Transportfähigkeit sah kaum besser aus. Ein Foto zeigt einen auf dem GTI-Dach zusammengerollten Perserteppich, fixiert allein per Handgriff durch das Schiebedach.

Später, zwischen 2000 und 2004, verzichtet Bugiel komplett auf eigene Kurierfahrzeuge und versucht es mit Subunternehmern. Doch die sind immer schwieriger zu finden. In einer Kehrtwende setzt er wieder auf eine eigene Flotte, schnell werden es 15 Fahrzeuge. Um sie auf Rückfahrten auszulasten, entscheidet er sich 2007, die Dienste von Fox-Courier auf Frachtbörsen im Internet anzubieten.

Heimat bleibt der Osten Deutschlands

Im selben Jahr verlässt Heiko Nowak, nachdem ein Vorstandswechsel bei Fiege die Lage für ihn dramatisch verändert, den münsterländischen Logistikriesen. Sein neuer Arbeitgeber heißt Rhenus. Dort geht die Karriere weiter – bis es ihn 2021 in den Osten zurückzieht.

Vom Dach des ehemaligen Flughafen-Towers aus schweifen an diesem Novembertag die Blicke der ungleichen Logistikmanager über die alten Betonpisten des Leipziger Flughafens. Auch das ehemalige schäbige Empfangsgebäude ist zu sehen, das die Wende bis heute überlebte. Sein im Firmengründungsjahr 1993 geborener Sohn, hofft der Kurierunternehmer, werde Fox-Courier demnächst wohl übernehmen.

Berufskollege Nowak klingt da schon nachdenklicher. „Beruflich bereue ich nichts“, sagt der Speditionsgeschäftsführer rückblickend. Doch zurückgekommen wäre er gern schon viel früher. „Hier fühle ich mich im Umgang mit den Menschen mehr zu Hause“, bekennt der gebürtige Ostdeutsche.

Erstpublikation: 09.11.22, 10:00 Uhr.

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