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17.10.2022

20:31

Arzneimittel

Generikabranche fürchtet Rückzug von Herstellern – und weiteren Medikamentenmangel

Von: Maike Telgheder

Hohe Kosten, geringe Margen: Hersteller von Nachahmermedikamenten verdienen schlecht – und können nun Inflation und Energiekosten wegen Fixpreisen nicht ausgleichen. Ohne Abhilfe drohen Engpässe.

Generika, also günstige Nachahmermedikamente, stehen für 80 Prozent der Medikamentenversorgung in Deutschland. dpa

Medikamente

Generika, also günstige Nachahmermedikamente, stehen für 80 Prozent der Medikamentenversorgung in Deutschland.

Frankfurt Der Branchenverband Pro Generika befürchtet, dass sich Hersteller von Nachahmermedikamenten (Generika) künftig aus der Produktion von immer mehr Arzneimitteln zurückziehen müssen, weil sie nicht mehr wirtschaftlich ist. Grund sind die stark steigenden Kosten für Energie, Rohstoffe und Transporte sowie die Inflation.

Generikaanbieter sehen sich von der besonders betroffen, da Arzneimittelpreise festgeschrieben sind. Die Branche kann Preiserhöhungen also nicht einfach an die Kunden weitergeben. Zudem sind in der Generikabranche die Kalkulationen knapp und die Margen generell niedrig.

„Die Inflation macht allen Sorgen, aber wir können die gestiegenen Herstellungskosten nicht ansatzweise weitergeben“, sagt etwa Peter Stenico, Vorstandsvorsitzender von Sandoz Deutschland. Das Unternehmen betreibt in Tirol die letzte große Produktion von Penicillin in Europa. Fast alle Antibiotika kommen laut Branchenverband mittlerweile aus Asien. Stenico erwartet für das kommende Jahr eine Steigerung der Energiekosten in der Antibiotikaproduktion um rund das Zehnfache. „Es wäre für uns jetzt schon günstiger, das Produkt in China einzukaufen, als es selbst zu produzieren“, so der Sandoz-Manager.

Auch Josip Mestrovic, Deutschlandchef des Generikaherstellers Zentiva, berichtet von stark gestiegenen Kosten: 200 Prozent bei Energie, 50 bis 160 Prozent bei Rohmaterial und 500 Prozent bei den Transportkosten. Allein in Deutschland müsse Zentiva zwölf Millionen Euro an zusätzlichen Kosten schultern, und das bei gleichbleibenden Preisen, so Mestrovic.

Pro Generika fordert deswegen die Politik auf, die Lage möglichst schnell zu entschärfen. Verbandsgeschäftsführer Bork Bretthauer: „Wenn die Hersteller Verlustgeschäfte machen, steigen sie aus der Produktion aus. Wozu das führt, haben wir an den Engpässen beim Krebsmittel Tamoxifen und bei Fiebersaft gesehen.“ Die Politik müsse jetzt durchsetzen, dass mit den Kosten auch die Preise steigen können – sonst drohten weitere Engpässe, so Bretthauer.

Sechs Cent pro Dosis für die Hersteller

Konkret fordert die Generikabranche einen unterjährigen Inflationsausgleich für die preislich gedeckelten Medikamente. In die mit den Krankenkassen geschlossenen Rabattverträge sollen Regelungen aufgenommen werden, die eine Anpassung der Arzneimittelpreise an die neue, extreme Inflation ermöglichen.

Die Generikabranche steht seit Jahren unter Margendruck. Besonders die Rabattverträge der gesetzlichen Krankenkassen, die 2007 starteten, haben die Preise massiv gedrückt. Zumeist bekommen Anbieter mit dem günstigsten Gebot den Zuschlag.

So ist der Anteil der günstigen Generika an der Arzneimittelversorgung in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich von 70 auf 79 Prozent (2021) gestiegen. Von den 33 Milliarden Euro Arzneimittelkosten der gesetzlichen Krankenversicherung kamen nach Abzug der Rabatte aus Rabattverträgen noch zwei Milliarden Euro bei den Generikaherstellern an.

Das entspricht 7,2 Prozent der Arzneimittelausgaben. Laut Marktdaten der Branche zahlten die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr im Durchschnitt 16 Cent pro Tagestherapiedosis an die Hersteller. Davon bleiben nach Abzug der gesetzlichen Rabatte und der Abschläge durch die Rabattverträge noch effektiv sechs Cent für den Hersteller, rechnet der Verband vor.

Versorgungsengpässe bei Fiebersaft und Krebsmedikament

Als Folge des gesunkenen Preisniveaus sind immer mehr Hersteller oder Zulieferer aus der Produktion ausgestiegen, und nur noch wenige Hersteller stemmen die Versorgung. Bei häufig verordneten Mitteln wie Metformin gegen Diabetes oder dem Cholesterinsenker Simvastatin liefern drei Hersteller mehr als 90 Prozent der benötigten Arzneimittel. Fällt in dieser Konstellation ein Hersteller aus, können die anderen nicht einfach einspringen und ihre Produktion hochfahren. Denn das braucht einen längeren Vorlauf.

Beim Brustkrebsmittel Tamoxifen war es Anfang des Jahres zu einem Versorgungsengpass gekommen, weil sich mehrere Zulieferer, bei denen ein großer Teil der Hersteller Ware bezog, aus der Produktion zurückgezogen hatten. Diejenigen Generikaanbieter, die andere Zulieferer unter Vertrag hatten, konnten die Ausfälle eine Weile überbrücken, die Bestände wurden dann jedoch leergekauft.

Für Tamoxifen gab es kein Alternativpräparat. Die Folge war ein Versorgungsengpass, den man mit Importen, aber auch durch die Verordnung und Abgabe von nur noch einzelnen, kleinen Packungsgrößen zu überbrücken versuchte. Das Unternehmen Sandoz (Hexal) startete zudem zeitlich begrenzt eine Sonderproduktion. Insgesamt gibt es derzeit noch drei Anbieter im Markt, die Tamoxifen herstellen, wobei Hexal laut Stenicos Angaben mehr als 80 Prozent des Markts abdeckt. Das Unternehmen erhält für eine Tablette Tamoxifen acht Cent.

Der Engpass bei den Fiebersäften für Kinder wiederum entstand, weil sich der zur Novartis-Tochter Sandoz gehörende Generikahersteller 1a Pharma ab Mai aus Wirtschaftlichkeitsgründen aus der Produktion von paracetamolhaltigen Säften für Kinder zurückzog. Der Hersteller Teva/Ratiopharm musste als letzter verbliebener Hauptanbieter im Markt die Hauptlast der Versorgung übernehmen.

„Bei paracetamolhaltigen Fiebersäften haben wir jetzt einen Marktanteil von 100 Prozent. Aber schon vorher haben wir mit Verlust produziert“, beschreibt Andreas Burkhardt, General Manager von Teva Deutschland und Österreich, die Lage. Denn wegen des mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandelten Festbetrags liegt der Preis für den Saft seit zehn Jahren auf demselben Niveau: Der Hersteller erhält laut Pro Generika 1,36 Euro je Flasche. Die innerhalb dieser Zeit gestiegenen Preise für Energie, Logistik und Wirkstoffe konnten nicht weitergegeben werden. Jetzt kommen die neuen Kostensteigerungen hinzu.

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