Nach gut zwei Jahren Flaute gewinnt das Übernahmegeschehen in der Branche wieder an Schwung. Beobachter erwarten schon länger eine Konsolidierungswelle.
Frankfurt In der Pharmaindustrie bahnt sich die größte Übernahme des Jahres an. Der US-Konzern Amgen will den irisch-amerikanischen Arzneimittelhersteller Horizon Therapeutics für 28,3 Milliarden Dollar übernehmen. Auf eine entsprechende Transaktion haben sich die beiden Unternehmen am Montag geeinigt. Er muss allerdings noch von den Horizon-Aktionären bestätigt werden.
Der Deal ist das erste Signal dafür, dass nach zweijähriger Flaute das Übernahmegeschehen im Pharma- und Biotech-Sektor wieder stärker an Schwung gewinnen könnte.
In diesem und dem vergangenen Jahr beschränkten sich Akquisitionen bisher auf kleinere und mittelgroße Transaktionen. Dazu zählen die im August vereinbarte Übernahme von Global Blood Therapies durch Pfizer für 5,3 Milliarden Dollar oder der vor wenigen Tagen verkündete Kauf des kleinen Biotech-Unternehmen Neogene Therapeutics durch Astra-Zeneca.
Branchenbeobachter spekulieren schon seit Längerem darüber, dass es zu einer neuen Konsolidierungsrunde im Pharmasektor kommen könnte. Hintergrund ist zum einen die Tatsache, dass etliche große Hersteller über deutlich gestärkte Finanzkraft aufgrund von Einnahmen aus dem Pandemiegeschäft oder vorangegangener Desinvestitionen verfügen. Dazu gehören etwa Konzerne wie Pfizer, Novartis, Glaxo-Smithkline oder Johnson & Johnson.
Zum anderen steuern viele Pharmafirmen auf eine Welle wichtiger Patentabläufe zu. Die britische Analysefirma Evaluate Pharma etwa sieht die Branche vor dem „schmerzhaftesten Patent-Kliff“ seit 30 Jahren. „Meist sind es die Unternehmen, die künftige Löcher stopfen müssen, die größere Deals machen“, schreibt Analyst Tim Anderson von Wolfe Research.
Amgen gehört zu den Branchenvertretern, die von den Patentabläufen relativ stark betroffen sind. Der US-Konzern ist mit 19,5 Milliarden Dollar Umsatz in den ersten neun Monaten des Jahres die Nummer 14 der globalen Pharmaindustrie, legte zuletzt aber nur noch um knapp zwei Prozent zu.
Das bisherige Hauptprodukt, das bereits patentfreie Rheumamittel Enbrel, verliert stetig an Umsatz. Weitere wichtige Patentabläufe folgen in den kommenden Jahren. Mit der geplanten Übernahme zielt der Konzern darauf, seine Wachstumsperspektiven wieder zu verbessern.
Horizon Therapeutics befindet sich dagegen dank erfolgreicher Neuentwicklungen in einer deutlichen Aufschwungphase. In den ersten neun Monaten steigerte das Unternehmen seinen Umsatz um 21 Prozent, für das Gesamtjahr wird ein Plus von zwölf Prozent auf rund 3,6 Milliarden Dollar erwartet.
Das Unternehmen hat seine heutige Struktur seinerseits durch eine ganze Reihe von Übernahmen und Fusionen im Laufe der letzten zehn Jahre erlangt. Dazu gehörte zuletzt Anfang 2021 der drei Milliarden Dollar teure Kauf der Biotech-Firma Viela Bio, die zuvor aus dem britischen Pharmariesen Astra-Zeneca ausgegliedert worden war.
Hauptprodukt von Horizon ist das Medikament Tepezza gegen eine spezielle Ausprägung der Basedowschen Krankheit. Bei dieser richten sich körpereigene Antikörper gegen die Schilddrüse und führen auch zu Entzündungsreaktionen in den Augenhöhlen, was wiederum zum Hervortreten der Augäpfel führt. Das seit 2020 zugelassene Mittel Tepezza gilt als erste Medikamententherapie, die an den Ursachen der Krankheit ansetzt.
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Horizon vertreibt darüber hinaus auch ein umsatzstarkes Mittel gegen Gicht und arbeitet an verschiedenen Wirkstoffen gegen andere Autoimmun-Erkrankungen. Amgen-Chef Robert Bradway beschrieb die geplante Übernahme daher als „überzeugende Gelegenheit“, die eigene Position im Bereich der Entzündungskrankheiten zu verstärken.
Allerdings muss der US-Konzern dafür auch tief in die Tasche greifen. Mit 116,50 Dollar je Horizon-Aktie bietet Amgen einen Aufschlag von knapp 20 Prozent gegenüber dem letzten Schusskurs und eine Prämie von 48 Prozent gegenüber dem Kurs von Ende November, bevor Horizon Übernahmegespräche mit mehreren Pharmafirmen bekannt gegeben hatte.
Auch der US-Konzern Johnson & Johnson sowie die französische Sanofi hatten sich für eine Übernahme von Horizon interessiert. Sie zogen sich aus den Gesprächen in den vergangenen Wochen aber wieder zurück.
Das nun vereinbarte Transaktionsvolumen von 28,3 Milliarden Dollar entspricht dem 7,7-Fachen des erwarteten Umsatzes von Horizon und etwa dem 21-Fachen des Betriebsgewinns vor Abschreibungen (Ebitda). Amgen selbst wird demgegenüber lediglich mit dem 14-Fachen Ebitda bewertet. Investoren reagierten daher am Montag leicht skeptisch auf die Transaktion. Die Amgen-Aktie verlor im frühen New Yorker Handel knapp ein Prozent an Wert.
Durch die geplante Übernahme dürfte die Netto-Verschuldung von Amgen vorrübergehend auf mehr als 50 Milliarden Dollar steigen. Das Management geht indessen davon aus, dass man durch die Integration von Horizon pro Jahr rund 500 Millionen Dollar einsparen kann. Trotz des hohen Preises soll die Übernahme daher schon ab 2024 einen positiven Beitrag zum Gewinn je Aktie leisten.
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