49 neue Wirkstoffe wurden in diesem Jahr auf den deutschen Markt gebracht. Fünf davon lancierten deutsche Firmen.
Medikamentenregal in der Apotheke
In diesem Jahr wurden so viele neue medizinische Wirkstoffe wie lange nicht auf den deutschen Markt gebracht.
Bild: imago/Science Photo Library
Frankfurt Wenn es um Medikamente geht, bestimmen derzeit die Lieferengpässe bei einzelnen Arzneimitteln die Diskussion. Es gibt aber auch positive Entwicklungen in der Branche: In Deutschland sind in diesem Jahr so viele neue Medikamente wie lange nicht mehr auf den Markt gekommen.
Insgesamt 49 Mittel mit neuem Wirkstoff haben Pharmaunternehmen hierzulande eingeführt. Das zeigt die aktuelle Statistik des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA).
Mit dieser Zahl wurde der bereits hohe Wert von 46 Neueinführungen aus dem vergangenen Jahr noch einmal übertroffen. Nur 2014 wurden gleich viele Medikamente auf den Markt gebracht.
Die meisten der neuen Mittel werden gegen Krebserkrankungen und Covid-19 eingesetzt. Gleich vier Medikamente richten sich gegen den nicht kleinzelligen Lungenkrebs, die häufigste Form dieser Krebserkrankung.
Acht neue Mittel wurden gegen sogenannte solide Tumore, also bösartige Gewebeneubildungen, eingeführt. Fünf weitere Medikamente werden gegen hämatologische Krebserkrankungen wie Blutkrebs und Lymphdrüsenkrebs eingesetzt.
Im dritten Jahr der Coronapandemie kamen drei therapeutische Medikamente gegen Covid-19 sowie drei weitere Impfstoffe auf den Markt – nicht eingerechnet sind dabei für Auffrischungsimpfungen angepasste Versionen. Darunter waren das Vakzin von Novavax sowie der Boosterimpfstoff von Sanofi/GSK.
Diese wirken anders als die mRNA-Impfstoffe, bei denen die Bauanleitung für die Immunantwort des menschlichen Körpers gespritzt wird. Die Mittel von Novavax und Sanofi/GSK enthalten künstlich hergestellte Spikeproteine, also die Eiweiße, mit denen das Virus an die Zellen andockt. Diese werden mit einem Wirkverstärker gespritzt. So wird das Immunsystem stimuliert, Antikörper und T-Zellen gegen das Spikeprotein herzustellen, die bei einer Infektion dann gegen das echte Virus wirken.
Das französische Unternehmen Valneva wiederum hatte einen klassischen Totimpfstoff entwickelt, der inaktivierte, also abgetötete ganze Viruspartikel des Originalstamms des Coronavirus enthält, die keine Krankheit verursachen können. Auch dieser Wirkstoff wird mit einem Wirkverstärker kombiniert.
Im Einsatz gegen die Pandemie spielten diese Impfstoffe in Deutschland allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden bis 18. Dezember lediglich 1,9 Millionen Dosen des Novavax-Vakzins geliefert sowie 86.000 Dosen von Valneva. Der Impfstoff von Sanofi/GSK taucht in der Liste nicht auf. Von den deutlich früher auf den Markt gekommenen mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer sowie Moderna wurden bis zum selben Stichtag insgesamt 163,1 beziehungsweise 37,6 Millionen Dosen geliefert.
Weitere Krankheiten, gegen die neu eingeführte Arzneimittel eingesetzt werden, sind Asthma, Migräne und die sogenannte atopische Dermatitis, chronisch juckende Ekzeme auf der oberen Hautschicht. Darüber hinaus sind innovative Therapien auf dem Vormarsch. 2022 kamen gleich vier neue Gentherapien heraus – zwei zur Bekämpfung seltener Krebsarten, zwei für die Langzeitbehandlung seltener Erbkrankheiten.
Zudem wurde ein biotechnologisch bearbeitetes Gewebeprodukt zur Behandlung von Gelenkknorpeldefekten eingeführt. Der Hersteller, die Biotech-Firma Codon aus dem brandenburgischen Teltow, ist eine von insgesamt fünf deutschen Firmen, die in diesem Jahr Neuheiten auf den Markt gebracht haben.
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Dazu zählen auch Bayer mit einem neuen Wirkstoff gegen chronische Nierenerkrankung und Fresenius Medical Care mit einer Infusionslösung gegen Juckreiz bei Dialysepatienten. Die Firma Paion brachte ein neues Breitbandantibiotikum, Merck ein Mittel gegen nicht kleinzelligen Lungenkrebs auf den Markt. Insgesamt liegt der US-Konzern Pfizer mit vier neuen Arzneimitteln vorn.
Die Innovationsbilanz der Pharmabranche hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert: Wurden von 2001 bis 2010 im Durchschnitt 28 neue Medikamente pro Jahr in Deutschland eingeführt, waren es von 2011 bis 2020 rund 32.
Das spiegelt die Fortschritte bei Forschung und Entwicklung wider, aber ebenso den zunehmenden Fokus der Industrie auf seltene Erkrankungen, für die schneller Zulassungsanträge gestellt werden können. In diesem Jahr richtet sich mehr als ein Drittel der neu eingeführten Medikamente gegen solche „Orphan Diseases“. Als selten wertet die EU Krankheiten, die höchstens fünf von 10.000 EU-Bürgern betreffen.
VFA-Präsident Han Steutel sieht die aktuellen Zahlen als Beleg dafür, dass die Innovationskraft der Branche intakt ist. „Die große Frage lautet aber, ob das deutsche Gesundheitssystem auch in Zukunft in gewohntem Maße davon profitieren kann“, sagt er mit Verweis auf das von der Bundesregierung gerade verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz.
Das Gesetz sieht weitreichende Rabattforderungen an die Pharmaunternehmen vor und ist aus Sicht des Verbands nicht gemacht, Hersteller dafür zu gewinnen, neue Medikamente zeitnah auch in Deutschland anzubieten. „Von der alten Anziehungskraft für innovative Produkte wird der deutsche Markt viel verlieren“, warnte Steutel.
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