Im September droht dem größten Autobauer der Welt eine Produktionskürzung von 40 Prozent. VW und Audi müssen in Deutschland wieder Kurzarbeit anmelden.
Toyota-Fertigung
Laut einem Medienbericht muss der größte Autobauer der Welt die Produktion im September um rund 40 Prozent drosseln.
Bild: AP
Tokio, Düsseldorf Lange hatte die weltweite Chipkrise Toyota verschont. Nun bekommt aber der größte Autobauer der Welt den Halbleitermangel mit aller Härte zu spüren. Wie die japanische Wirtschaftszeitung „Nikkei“ am Donnerstag berichtete, rechnet der Volkswagen-Konkurrent mit massiven Produktionseinbrüchen. Unter Berufung auf Konzernquellen heißt es, dass Toyota allein im September mit einem Ausfall von bis zu 40 Prozent rechnet. Statt der geplanten 900.000 Fahrzeuge könnte lediglich etwa eine halbe Million Autos vom Band laufen.
Toyota bestätigte, dass aktuell die Produktion in allen 14 japanischen Werke teilweise ruhe. Zur Dauer des Produktionsstopps machte Toyota keine Angaben. Die Aktie des Autobauers fiel am Donnerstag um mehr als vier Prozent.
Kurz darauf folgte die nächste Schreckensbotschaft für die Autoindustrie, diesmal aus Wolfsburg von der Nummer zwei der Branche. Nach der Sommerpause in der kommenden Woche werde die Produktion im VW-Stammwerk nur eingeschränkt anlaufen, kündigte der Autobauer am Donnerstag an. Auf allen Fertigungslinien werde nur in einer Schicht produziert, es werde Kurzarbeit beantragt.
„Die anhaltend eingeschränkte Liefersituation bei Halbleitern sorgt weiter herstellerübergreifend für erhebliche Störungen in der weltweiten Fahrzeugproduktion“, erklärte ein Sprecher. Die VW-Aktie gab knapp drei Prozent nach, auch die Kurse von BMW und Daimler sackten ab.
Bei Audi ist das Bild ähnlich. In Ingolstadt und Neckarsulm müssen rund 10.000 Beschäftigte ihren Sommerurlaub verlängern und in Kurzarbeit, weil Halbleiter fehlen. Mehrere Tausend eingeplante Autos könnten nicht gebaut werden, teilte die VW-Tochter mit. Allein im ersten Halbjahr konnte Audi wegen fehlender Chips etwa 50.000 Fahrzeuge nicht bauen. Für den September habe Audi zudem vorsorglich Kurzarbeit angemeldet. „Man muss von Woche zu Woche planen“, sagte ein Sprecher.
Bei den Konkurrenten BMW und Daimler herrscht ebenfalls seit Monaten Mangelverwaltung. Auch hier müssen die Mitarbeiter immer wieder in Kurzarbeit. BMW könnte nach den Worten von Finanzvorstand Nicolas Peter ohne die Engpässe dieses Jahr wohl 70.000 bis 90.000 Autos mehr verkaufen.
Die Chipkrise erreicht mit diesen Produktionsausfällen die nächste Eskalationsstufe. In Deutschland hatte sich Volkswagen immer wieder zuversichtlich gezeigt, dass die Chipkrise bald überwunden sei. Doch verschiebt VW den Zeitpunkt für die Trendwende immer weiter in die Zukunft. Zunächst war man in Wolfsburg davon ausgegangen, dass sich die Lage bereits im zweiten Quartal entspanne.
Dann hieß es, ab dem zweiten Halbjahr wären wieder genügend Chips für die Autoproduktion vorhanden. Doch auch das traf nicht ein. Seitdem ging das VW-Management von einer Entspannung im dritten Quartal aus – und auch diese Prognose ist nun Makulatur.
Der Konzern geht davon aus, dass eine sechsstellige Zahl an Fahrzeugen von den Verzögerungen betroffen ist. Teilweise macht sich das offenbar schon bei einzelnen Modellen bemerkbar. So ist laut einem Bericht von „Inside EVs“ die Basisversion des Elektroautos ID.3 derzeit nicht bestellbar.
Volkswagen erklärte gegenüber dem Portal, aufgrund der Versorgungsengpässe bei Halbleitern komme es zu einer „eingeschränkten Verfügbarkeit bei verschiedenen Einstiegsmodellen“. Neubestellungen seien erst wieder Anfang kommenden Jahres möglich.
Die Lage verschärft sich derzeit durch die hochinfektiöse Delta-Variante des Coronavirus, die in vielen Ländern Asiens zu Werksschließungen bei Zulieferern führt. Toyota sprach von „Corona-bedingten Lieferengpässen in Vietnam und Thailand“. Das Ausfallrisiko sei im Jahresplan berücksichtigt worden. „Allerdings treten die Produktionsausfälle im September früher und schwerwiegender ein als erwartet“, teilte Toyota mit.
Die deutschen Autobauer leiden besonders unter den Produktionsausfällen in Malaysia. In dem Land findet die Endfertigung von Chips für die Autobranche statt – und zwar fast ausschließlich dort.
Infineon, eines der wichtigsten Halbleiterunternehmen für die Autoindustrie, betreibt dort zwei große Werke. Auf Anweisung der Behörden habe dort die Fertigung bislang 20 Tage stillgestanden, sagte Produktionsvorstand Jochen Hanebeck zuletzt dem Handelsblatt. Diese Zwangspausen erschüttern die gesamte Lieferkette bis nach Deutschland.
Hierzulande sind es noch vor den Autobauern die Zulieferer, die die Produktionsunterbrechungen in Malaysia betreffen. Beim Licht- und Elektronikspezialisten Hella führe das zu einem Stop-and-go-Betrieb, sagte Hella-Chef Rolf Breidenbach am Donnerstag zur Vorlage der Jahreszahlen. „Teilweise konnten wir nicht so viel produzieren, wie wir geplant hatten“, sagt er.
Eine Taskforce mit einer hohen zweistelligen Anzahl an Mitarbeitern arbeitete derzeit daran, möglichst viele Bauteile in die Werke zu bekommen. „Vor allem bei den Mikrocontrollern ist die Angebotslage weiterhin angespannt.“
In Japan beklagt Toyotas wichtiger Lieferant Denso die aktuelle Lage. „Dies wird unweigerlich enorme Auswirkungen auf die Lieferkette für Autoteile haben“, sagte ein Denso-Manager am Donnerstag. Die Aktien von Denso sowie anderen wichtigen Zulieferern des Konzerns gaben kräftig nach.
Für die Zulieferer sorgt der Chipmangel für rapide steigende Frachtkosten. Densos Konkurrent Continental lässt beispielsweise Chips per Flugzeug einfliegen, um diese rechtzeitig zur Produktion verfügbar zu machen. Außerdem würden Container teilweise nur halb gefüllt bestellt, erklärte Conti-Finanzchef Wolfgang Schäfer. Ware werde geordert, sobald diese verfügbar sei. Im laufenden Geschäftsjahr rechnet der Dax-Konzern mit Sonderfrachtkosten in Höhe von über 200 Millionen Euro.
Autozulieferer und -hersteller prüfen daher auch, ob sie in ihren Komponenten alternative Halbleiter verwenden können, deren Verfügbarkeit höher ist. Hella-Chef Breidenbach zufolge würden daher teilweise Produkte umdesignt.
Der Chipmangel führt offenbar auch zu einem Umdenken beim Einkauf. So plant Hella beispielsweise, längerfristige Abnahmeverträge mit seinen Lieferanten abzuschließen. Bislang war das in der vom Just-in-time-Prinzip getriebenen Autoindustrie undenkbar.
Peter Schiefer, Chef der Autosparte von Infineon, sieht darin das Mittel der Wahl, wenn Autohersteller und Zulieferer eine solche Mangelverwaltung künftig verhindern wollen. „Es wäre wichtig, dass Autobauer ihren Bedarf an Halbleitern nicht nur für wenige Wochen, sondern besser für 18 bis 24 Monate im Voraus planen und entlang der Lieferkette kommunizieren“, sagte der Manager zuletzt dem Handelsblatt.
Ob das allerdings wirklich ausreicht, ist angesichts der Probleme von Toyota fraglich. Der Autobauer zeigte sich im Gegensatz zu Konkurrenten wie VW, General Motors oder Daimler lange Zeit unbeeindruckt vom Halbleitermangel. Der Grund: Nach dem Erdbeben im Jahr 2011 und den darauffolgenden Chip-Lieferengpässen hatte Toyota seine Einkaufspolitik geändert und größere Lager für Halbleiter aufgebaut, als es sonst in einer Just-in-time-Produktion üblich wäre.
Die Aussichten auf eine Entspannung in der Chipkrise verschlechtern sich. Zwar erklärte Volkswagen, die Chipversorgung bleibe zwar volatil und angespannt, man erwarte bis Jahresende insgesamt jedoch eine Verbesserung. „Wir sehen vor, den Produktionsrückstand im zweiten Halbjahr so weit wie möglich aufzuholen“, erklärte der Autobauer.
Hella-Chef Breidenbach zeigte sich dagegen deutlich pessimistischer: „2022 bleibt schwierig“, sagte er. Er rechnet erst Mitte 2023 mit einer Entspannung des Halbleitermangels. Und offenbar kann sich selbst Apple den Lieferengpässen nicht komplett entziehen. Zuletzt kamen Gerüchte auf, dass der iPhone-Produzent diverse Produkteinführungen verschieben muss. Und Apple steht bei den Chipherstellern wie TSMC aus Taiwan ganz oben auf der Kundenliste.
Branchenexperten wie Sanshiro Fukao vom japanischen Wirtschaftsforschungsinstitut Itochu sehen zudem die Gefahr einer Zweiteilung des Marktes. Auf der einen Seite könnten die profitablen Autobauer stehen, die die Preiserhöhungen der Chiphersteller verkraften können. Auf der anderen Seite die kleineren und finanzschwachen Hersteller – und die dürften künftig noch stärker unter dem Halbleitermangel leiden, glaubt Fukao.
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