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30.01.2023

08:17

Autoindustrie

Renault und Nissan vereinbaren Partnerschaft auf Augenhöhe

Von: Martin Kölling, Gregor Waschinski

Der Machtkampf zwischen Renault und Nissan hat beide Partner über Jahre gelähmt. Nun wollen die beiden Autohersteller ihre Allianz komplett neu aufstellen.

Die Franzosen verlieren bei Partner Nissan an Einfluss. dpa

Renault-Chef Luca de Meo

Die Franzosen verlieren bei Partner Nissan an Einfluss.

Tokio, Paris Renault und Nissan wollen ihre brüchig gewordene Allianz neu aufstellen: Der französische Autobauer reduziert seinen Anteil an dem japanischen Partner von 43 auf 15 Prozent und verliert damit deutlich an Einfluss. Nissan steigt wiederum bei der neuen Elektroauto-Tochter von Renault ein.

Die ungleichen Beteiligungsverhältnisse hatten das Ende der 1990er-Jahre geschlossene Bündnis zunehmend belastet. Nissan, das immer nur 15 Prozent an Renault hielt, fühlte sich von den Franzosen dominiert. Zudem hatte der japanische Konzern anders als Renault bisher keine Stimmrechte bei seinem Partner – auch das soll sich nun ändern.

Die Einigung sei „nach mehreren Monaten konstruktiver Diskussionen“ erreicht worden, teilten beide Unternehmen am Montag mit. Renault werde 28,4 Prozent der Nissan-Anteile an eine Treuhandgesellschaft übertragen, die mit diesen Anteilen verbundenen Stimmrechte würden dabei für die meisten Unternehmensentscheidungen „neutralisiert“.

Der Verkauf der Aktien durch die Treuhänder solle in einem „koordinierten und geordneten Verfahren“ ablaufen. Allerdings gebe es keinen festgelegten Zeitraum. Renault werde sich von den Anteilen trennen, wenn es „wirtschaftlich sinnvoll“ sei. Der französische Autohersteller will so vermeiden, die Beteiligung zu dem aktuell geringen Marktwert abstoßen zu müssen. Die Einigung steht den Angaben zufolge noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der beiden Verwaltungsräte.

„Eine angepasste Kapitalstruktur sollte die Allianz mit Synergie und der Eröffnung strategischer Möglichkeiten auf beiden Seiten tragfähig halten“, sagte Jefferies-Analyst Philippe Houchois. Renault habe dem Druck widerstanden, die Aktien zum gegenwärtig niedrigen Kurs zu verkaufen, und sei nun in einer besseren Position, überschüssiges Kapital für Wachstum und Dividenden auszugeben.

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Mit der Balance bei den Beteiligungsverhältnissen machen Nissan und Renault auch den Weg frei für die künftige Kooperation in der Elektromobilität. Renault strebt eine Aufspaltung seiner Aktivitäten an: Eine Sparte mit dem Namen „Ampere“ soll sich ausschließlich der Entwicklung und dem Bau von Elektroautos widmen. Das klassische Geschäft mit Verbrenner- und Hybridfahrzeugen wird ausgegliedert.

Nissan hatte sich bis zuletzt aber dagegen gewehrt, gemeinsame Patente für Elektroautos und Batterien auf die neue Einheit zu übertragen. Ein Grund dafür war die Befürchtung, dass technisches Know-how an andere Unternehmen abfließen könnte. Diese Bedenken sollen nun aus dem Weg geschafft worden sein.

Renault teilte mit, dass Nissan in „Ampere“ investieren werde mit dem Ziel, ein „strategischer Anteilseigner“ zu werden. Als weiterer Investor für die Elektrosparte ist der US-Chipriese Qualcomm im Gespräch. Bei den Verbrennungsmotoren gründet Renault indes ein Joint Venture mit dem chinesischen Autobauer Geely.

Die strategische Kooperation von Renault und Nissan begann Ende der 1990er-Jahre, damals retteten die Franzosen das japanische Unternehmen vor der Pleite. An der Spitze beider Hersteller stand Carlos Ghosn, er wollte die Allianz zum nach Absatz größten Autohersteller der Welt machen. Mitsubishi stieß 2016 dazu. Ein Jahr später erreichte Ghosn sein Ziel und überholte Volkswagen als neue Nummer eins.

Im Hintergrund schwelte zwischen den Japanern und Franzosen aber immer der Konflikt um die Vorherrschaft in der Allianz. Als Ghosn Ende 2018 wegen Vorwürfen der Steuerhinterziehung und Untreue in das Visier der japanischen Justiz geriet, bröckelte die Allianz. Der Vater des Bündnisses musste Anfang 2019 zurücktreten und setzte sich später aus dem Hausarrest in Tokio in den Libanon ab.

Kritik an staatlichem Einfluss bei Renault

Vor allem Renault geriet danach in Schwierigkeiten und musste 2020 mit einem Milliardenkredit der Regierung in Paris gerettet werden. Der auf dem Höhepunkt der Krise angetretene Renault-Vorstandsvorsitzende Luca de Meo leitete einen harten Sanierungskurs ein, der inzwischen Ergebnisse zeigt: Der Autobauer schreibt wieder schwarze Zahlen und will die Staatshilfen vorzeitig zurückzahlen.

Chronik der Allianz von Renault und Nissan

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Carlos Ghosn wird Vizepräsident des Autobauers Renault, der mit sinkender Rentabilität zu kämpfen hat. Im folgenden Jahr stellt er einen Kostensenkungsplan im Volumen von 20 Milliarden Franc vor und festigt damit seinen Ruf als "Kostenkiller". Die Rentabilität von Renault steigt bis Ende 1998 um das Dreifache.

1999

Renault rettet im März den verschuldeten Automobilkonzern Nissan, der drei Jahre in Folge Verluste gemacht hatte, und übernimmt 36,8 Prozent des Kapitals. Ghosn stellt einen "Nissan Revival Plan" vor, der eine Rückkehr zur Rentabilität im Geschäftsjahr 2000 vorsieht. Nach dem Abbau von 14 Prozent von insgesamt 21.000 Arbeitsplätzen, der Schließung mehrerer Werke und einer Überarbeitung der Unternehmensstruktur von Nissan erreicht der Konzern aus Yokohama seine Ziele ein Jahr früher als geplant. Ghosn wird in Japan als Unternehmerpersönlichkeit gefeiert.

2000

Ghosn wird Nissan-Chef. Zum Jahresende trägt Nissan etwa die Hälfte des jährlichen Nettogewinns von Renault bei. Diese Gewinnverteilung hält im Wesentlichen bis heute an.

2001

Renault erhöht seinen Anteil an Nissan auf 43,4 Prozent, Nissan übernimmt im Gegenzug 15 Prozent an Renault. Die Überkreuzbeteiligung ist perfekt.

2002

Nissan kündigt seinen Dreijahresplan "Nissan 180" an, der bis 2005 einen Anstieg der weltweiten Verkaufszahlen um eine Million Fahrzeuge vorsieht.

2005

Die Japaner verfehlen ihr Verkaufsziel und kündigen einen neuen Dreijahresplan an. Ghosn wird in Personalunion Präsident und Chef von Renault.

2008

Nissan verfehlt erneut seine wichtigsten Finanzziele. Der Autohersteller kündigt einen weiteren Fünfjahresplan an, verwirft ihn dann aber wegen der Finanzkrise.

2013

Renault und Nissan kündigen einen gemeinsamen Plan für die kostengünstige Entwicklung und Herstellung von Fahrzeugen an. Im folgenden Jahr führen die beiden Konzerne weitere Funktionen zusammen und streben bis etwa 2022 jährliche Einsparungen in Höhe von zehn Milliarden Euro an.

2016

Nissan übernimmt 34 Prozent am japanischen Autobauer Mitsubishi. Ghosn wird zum Mitsubishi-Vorsitzenden und damit zum Vorsitzenden aller drei Partner.

2017

Sowohl Nissan als auch Renault verzeichnen Rekordgewinne, auch wenn Nissan einige Ziele noch nicht erreicht hat. Die Allianz verkauft weltweit mehr als zehn Millionen Fahrzeuge und ist damit einer der größten Automobilhersteller der Welt.

2018

Ghosn, der Nissan einst vor der Pleite gerettet hat und alle Fäden der Dreier-Allianz in der Hand hält, wird in Japan verhaftet. Der Manager soll über ein Jahrzehnt hinweg sein Gehalt zu niedrig angegeben und Firmengelder veruntreut haben. Er bestreitet die Vorwürfe, wird aber als Vorsitzender der Allianz entlassen.

2019

Nach der Erschütterung der französisch-japanischen Autoallianz durch die Festnahme von Ghosn suchen die Partner nach Wegen aus der Krise. Beide Konzerne leiden unter sinkenden Gewinnen und setzen neue Vorstände ein. Die Partner ernennen mit dem Michelin-Veteranen Jean-Dominique Senard einen neuen Vorsitzenden des Bündnisses, während Makoto Uchida neuer Geschäftsführer von Nissan wird.

Am 29. Dezember flieht Ghosn versteckt in einem Gepäckstück für Musikinstrumente an Bord eines gecharterten Flugzeugs aus Japan. Er gelangt schließlich in sein Herkunftsland Libanon, wo ihm die Ausreise untersagt wird. Vor einer Auslieferung bleibt er aber geschützt.

2020

Die Corona-Pandemie führt bei den Automobilherstellern zu Verlusten. Renault nimmt einen staatlichen Kredit in Höhe von fünf Milliarden Euro auf, um seine Liquidität zu sichern. Luca De Meo wird im Juli neuer Chef des französischen Konzerns. Senard schließt als Vorsitzender der Allianz einen Zusammenschluss der beiden Autobauer aus.

2022

De Meo kündigt Pläne an, die Geschäfte mit Verbrennungs- und E-Autos zu trennen. Im Oktober drängt Nissan seinen französischen Partner dazu, seinen Anteil am japanischen Autobauer auf 15 Prozent zu senken und im Gegenzug in Renaults Elektrofahrzeugsparte zu investieren.

Die gemeinsame Nutzung von Technologien stellt Insidern zufolge einen Knackpunkt in den Gesprächen zwischen den beiden Unternehmen dar. Renault legt später Vorschläge vor, um diese Bedenken auszuräumen.

Um die Neuaufstellung der Allianz mit Nissan kümmerte sich in den vergangenen Jahren vor allem Renault-Verwaltungsratschef Jean-Dominique Senard. Die Gespräche nahmen seit dem Herbst an Fahrt auf. Eine entscheidende Hürde wurde nach Informationen der französischen Wirtschaftszeitung „Les Échos“ dann Anfang Januar genommen, als der an Renault beteiligte französische Staat seine Unterstützung für die neue Kapitalstruktur erklärt habe. Der Staatseinfluss bei Renault hatte in Japan immer wieder für Kritik gesorgt.

Renault und Nissan kündigten am Montag außerdem „operationelle Projekte mit hoher Wertschöpfung“ an, um ihre Partnerschaft „neu aufzuladen“. Diese Projekte würden Märkte in Lateinamerika, Indien und Europa betreffen. Französischen Medienberichten zufolge könnten Einzelheiten schon in der kommenden Woche bekannt gegeben werden, sobald die neue Struktur der Allianz offiziell von den Gremien abgesegnet worden ist.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg betrifft eines der Projekte ein von Nissan und Renault gemeinsam betriebenes Werk im indischen Chennai, das Kleinwagen, Motoren und Getriebe herstellt. Bei einem weiteren Projekt gehe es um eine vertiefte Zusammenarbeit bei Nutzfahrzeugen.

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