Die Branche hat größere Probleme als die Coronakrise: Vielen Unternehmen fehlt ein Plan für Digitalisierung und E-Mobilität. Dazu kommen finanzstarke Wettbewerber.
Produktion bei Continental
Mit Umsatzrückgängen von rund 30 Prozent muss die Branche in diesem Jahr einen historischen Einbruch verkraften.
Bild: dpa
Düsseldorf, Stuttgart Durch die Coronakrise verschärft sich die Strukturkrise der Autozulieferindustrie massiv. Die Elektromobilität ersetzt den Verbrennungsmotor schneller als gedacht, Software und Elektronik treten an die Stelle von Hydraulik und Mechanik. Es ist ein entscheidender Wendepunkt für die Zulieferer, die jahrelang viel Geld mit Komponenten für Verbrennungsmotoren verdient haben.
Diese Transformation überforderte bereits vor Corona viele Unternehmen. Mit Umsatzrückgängen von rund 30 Prozent muss die Branche in diesem Jahr einen historischen Einbruch verkraften. Nun aber fehlt vor allem Mittelständlern das Kapital, um den Wandel zu finanzieren. Jeder zweite Zulieferer plant nach der jüngsten Umfrage des Branchenverbands VDA einen Personalabbau. Mehr noch: An vier von zehn Zulieferern geht der Aufschwung der Elektromobilität komplett vorbei.
Mögliche Strategien aus der Krise hat das Beratungsunternehmen Roland Berger in Zusammenarbeit mit der Investmentbank Lazard erarbeitet. Die Studie liegt dem Handelsblatt exklusiv vor. Die Experten haben über 600 Unternehmen analysiert und Konzepte formuliert, wie ein Neustart nach der Corona-Pandemie gelingen könnte. Zu lösen gilt es das grundsätzliche Problem: Wie schaffen es die Firmen vor dem Hintergrund schwindender Mittel, gleichsam teure Zukunftsinvestitionen zu finanzieren?
Eine Blaupause für alle Zulieferer in Deutschland gibt es nicht. Klar ist aber: Die klassische Strategie – die Kosten radikal zu senken und die Krise weitgehend auszusitzen – wird nicht funktionieren.
Je nach Unternehmensgröße empfehlen die Berater unterschiedliche Strategien. Daher wird im Folgenden zwischen kleinen Zulieferern mit einem Umsatz von bis zu 2,5 Milliarden Euro, mittelgroßen Zulieferern mit Umsätzen bis zehn Milliarden Euro und global tätigen Zulieferkonzernen mit Erlösen über zehn Milliarden Euro unterschieden.
Bei aller Schwarzmalerei: Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen werden die Krise überstehen, so viel gilt als gesicherte Erkenntnis. Die Frage ist nur, welche Rolle diese Systemlieferanten in einer transformierten Autoindustrie in Zukunft spielen können.
„Die Wertschöpfung in der Elektronik des Fahrzeugs wird neu sortiert. Es wird spannend, seinen Platz in den neuen Wertschöpfungsketten zu finden“, sagte Bosch-Chef Volkmar Denner kürzlich im Handelsblatt-Interview und ergänzte: „Bosch jedenfalls ist bestens gewappnet.“
Tatsächlich gibt es ganz neue, finanzstarke Wettbewerber. Google, als bislang weitgehend branchenfremdes Unternehmen, bietet mit Android Automotive bereits ein schlüsselfertiges Betriebssystem an, das beispielsweise im neuen Polestar 2 im Einsatz ist und auch in künftigen Volvo-Modellen die Steuerung des Infotainment-Systems sowie die Auswertung der Daten übernimmt.
Der Chipkonzern Nvidia wiederum bietet sich immer mehr Autoherstellern als Zulieferer für Elektronikbauteile und Software für Fahrerassistenzsysteme an. Daimler zum Beispiel wird alle Modelle ab 2024 mit Chips und Software von Nvidia ausstatten.
Bei großen Zulieferern bestehe nach wie vor großer Handlungsbedarf bei der Bereinigung des Produktportfolios, sagt Felix Mogge, Partner bei Roland Berger und Mitautor der aktuellen Studie. „Ihnen muss dabei der Spagat gelingen zwischen der Trennung von Teilen des alten Kerngeschäfts, das in den kommenden Jahren kontinuierlich schrumpfen wird, und den Investitionen in Zukunftstechnologien.“ Ausschlaggebend hierfür ist die finanzielle und technologische Ausgangsposition.
Transformation bei starker Ausgangsposition
Bei einer starken und marktführenden Position im Traditionsgeschäft wird dem Management empfohlen, an jenen Produkten festzuhalten, die nach wie vor hohe Margen abwerfen. Turbolader oder Einspritzsysteme sind sozusagen „ausgeforscht“. Hier gilt es nur noch, die Produktionsprozesse effizienter zu gestalten. Auf diese Weise kann der Preisdruck seitens der Autohersteller abgefedert werden.
Der dadurch frei gewordene Cashflow steht wiederum für Investitionen in das Zukunftsgeschäft zur Verfügung, um die Tech-Konkurrenz in Schach zu halten. Zweite Alternative ist es, Bereiche zu verkaufen, die zwar noch Geld verdienen, aber zu viel Kapital binden. Bosch hat beispielsweise Starter und Generatoren verkauft und auch die Turbolader abgegeben.
Um die kurz- bis mittelfristige Belastung der Marge infolge der hohen Investitionen in die neuen Wachstumsbereiche auszugleichen, bieten sich wiederum Partnerschaften mit Techkonzernen oder anderen Zulieferern an. Das passiert zum Beispiel im Lidar-Bereich. ZF kooperiert hier mit dem deutschen Lidar-Hersteller Ibeo und dem US-Start-up Aeva. Conti wiederum kooperiert mit A-Eye. Dadurch kann die Investitionslast auf mehreren Schultern verteilt werden.
Transformation bei schwacher Ausgangsposition
Bei einer schwachen Ausgangsposition muss das Management einen anderen, zum Teil radikaleren Weg einschlagen. Ein umfassender Konzernumbau, wie ihn zum Beispiel Continental derzeit vollzieht, ist nötig, um die Geschäftseinheiten neu zu sortieren. Dabei ist auch die Trennung von Einheiten erforderlich, die sehr viel Kapital binden und auf der anderen Seite nur wenig Gewinn abwerfen.
So hatte der scheidende Conti-Chef Elmar Degenhart entschieden, die Antriebssparte Vitesco vom Conti-Konzern zu trennen. Ziel ist es, den Fokus stärker auf das Wachstumsgeschäft mit Fahrerassistenzsystemen und Software zu legen.
Dabei müssen die großen Zulieferer dringend die Prozesse in den Entwicklungsabteilungen standardisieren. Bislang laufen hier viele Entwicklungen parallel, was sich in der Realität in der aberwitzig hohen Anzahl der Steuergeräte in heutigen Fahrzeugen widerspiegelt.
Bis zu 100 Steuergeräte werkeln in Autos der Luxusklasse. Für jede Funktion, die eine Entwicklungsabteilung eines Zulieferers herstellt, gibt es im Auto einen eigenen kleinen Rechner – doch die Rechner arbeiten zum Teil mit unterschiedlichen Programmiersprachen.
Wenige Zentralrechner mit einer einheitlichen Programmiersprache sollen in Zukunft diese Steuergeräte ersetzen. Um sie effizient herstellen zu können, hat Continental die Prozesse bei der Soft- und Hardwareentwicklung standardisiert. Auch Bosch hat seine Entwicklungsabteilungen für das permanent updatefähige Gehirn des Autos zusammengezogen. Mit 17.000 Softwareingenieuren und Elektronikspezialisten in der neuen Einheit „Cross-Domain Computing“ wollen die Schwaben den Techkonzernen und den Autoherstellern die Stirn bieten.
Die mittelgroßen Zulieferer werden sich dagegen in Zukunft noch stärker fokussieren müssen. Dabei dürfen sie der Studie zufolge auch nicht haltmachen vor vermeintlichen Wachstumsgeschäften. „Für die Portfoliobereinigung kommen nicht nur technisch ausgereifte Produktgruppen des Verbrennungsmotors infrage. Auch bei der Hochtechnologie gibt es Möglichkeiten“, sagt Roland-Berger-Experte Mogge. „Jeder Zulieferer muss sich die Frage stellen, ob er aus finanzieller und entwicklungstechnischer Sicht in der Lage sein wird, bei einem Hochtechnologieprodukt wie zum Beispiel Lidar-Sensoren eine marktrelevante Position besetzen zu können.“
Hier ist Hella ein gutes Beispiel. Der Licht- und Elektronikspezialist hat sich unter anderem von seinem Lidar-Engagement verabschiedet. Hella hatte hier eine Zusammenarbeit mit dem Start-up A-Eye vorgesehen, das nun mit Conti kooperiert. Auch vom Kamerageschäft hat sich das Management um Hella-Chef Rolf Breidenbach getrennt und es an Volkswagen verkauft.
Er begründete den Verkauf des Frontkamerasoftware-Bereichs mit „außerordentlich hohen Investitionen, verbunden mit einem großen unternehmerischen Risiko“, das der Konzern hätte tragen müssen, um das Geschäft an die Spitze zu bringen. Weiteres Beispiel ist der mit Motordichtungen groß gewordene Zulieferer Elring-Klinger. Seit Jahren investieren die Schwaben in die Brennstoffzelle. Sie verkaufen die Sparte aber nicht, sondern gehen Kooperationen ein – unter anderem mit Airbus.
Im Gegensatz zu Hella oder Elring-Klinger müssen mittelgroße Zulieferer, die noch vollständig vom Verbrennungsmotor abhängig sind, einen anderen Weg gehen. Sie können nicht mehr in die Transformation investieren. Dafür ist es zu spät. Sie haben aber die Chance, als Konsolidierer in einem schrumpfenden Markt aufzutreten.
„Diese Unternehmen müssen nicht unbedingt in die Transformationsbereiche investieren, wo sie ohnehin einen technologischen Rückstand hätten. Stattdessen sollten sie kleine Konkurrenten übernehmen und Synergien im alten Kerngeschäft heben“, sagt Mogge. Konkrete Beispiele nennt der Berater nicht.
Aber beispielsweise Eberspächer zählt zu den führenden Herstellern von Abgastechnologie mit knapp fünf Milliarden Euro Umsatz. Auf Klimaanlagen und Thermomanagement entfällt nur ein Zehntel des Konzernumsatzes, und Elektronik- und Steuergeräte machen nur 65 Millionen Euro aus. Konzentration auf die Abgastechnik als Konsolidierer wäre hier eine ernsthafte Option.
Die kleineren Zulieferunternehmen stehen vor der größten Herausforderung. Der Studie zufolge sind kleine europäische Zulieferer selten in Geschäftsfeldern der Zukunft tätig, was den Leidensdruck während Corona erhöht. „Hersteller von Innenraumkomponenten, zu denen beispielsweise Kunststoffspritzgusshersteller zählen, sind häufig sehr stark von Skaleneffekten in der Produktion abhängig und dementsprechend durch die Coronakrise besonders hart getroffen“, sagt Mogge.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Sie werden bei der Transformation der Autoindustrie keine Rolle mehr spielen. Außerdem fehlt ihnen die finanzielle Kraft, um als Konsolidierer eines schrumpfenden Geschäfts aufzutreten. Aber auch hier sieht Berater Mogge zwei Auswege: „Einerseits der kollaborative Weg, bei dem Autohersteller und Zulieferer gemeinsam eine Konsolidierungsstrategie entwickeln.
Zum Beispiel könnten Autohersteller eine Zeit lang diejenigen Zulieferer stützen, denen sie zutrauen, im Strukturwandel der Branche erfolgreich zu bestehen“, sagt Mogge. „Beim nicht kollaborativen Weg werden die Zulieferer hingegen ihrem eigenen Schicksal überlassen. Der Marktdruck führt dann vermehrt zu Insolvenzen und zu einer natürlichen Konsolidierung.“
Konsolidierung
Doch eine Insolvenz muss auch nicht gleich das Ende bedeuten. Denn aus den Insolvenzmassen pleitegegangener Zulieferer können neue Unternehmen entstehen. Finanzstärkere Zulieferer können aus den Teilen insolventer Unternehmen neue systemkritische Zulieferer kreieren.
So hat beispielsweise zuletzt die thüringische AE Group, die unter anderem Aluminium-Druckgussteile herstellt, zwei Standorte der insolventen Schweizer Group übernommen. 253 Arbeitsplätze bleiben erhalten. „Abnehmer von Teilen des alten Kerngeschäfts könnten auch Finanzinvestoren sein“, sagt Mogge. „Sie könnten sich Geschäftsteile sichern, sie mit anderen Zukäufen aus der Industrie kombinieren und daraus einen neuen Zulieferer schaffen, der eine kritische und überlebensfähige Größe erreicht.“
Investoren
Für viele Arbeitnehmer dieser alten und kleinen Zulieferer dürfte der Einstieg eines Finanzinvestors nicht gerade ein Wunschtraum sein. Doch Alternativen sind rar. Allerhöchstens das gewerkschaftliche Pendant zu den Finanzinvestoren, die Best Owner Group – ein von der IG Metall und der IG BCE entwickelter Fonds, könnte ein Ausweg sein. Doch diesem Fonds werden aller Voraussicht nach die Mittel fehlen, um alle gefährdeten Zulieferer unter den gewerkschaftlichen Mantel hüllen zu können.
Und selbst wenn genug Geld da wäre, dürften Finanzinvestoren mit der Methode „buy and build“ schneller sein beim Zusammenschmieden von neuen Zulieferern.
Partnerschaften
Der dritte Weg für kleine Zulieferer in einem kritischen, aber vielleicht nicht pleitegefährdeten Zustand sind Partnerschaften mit Konkurrenten aus der Region. Damit ließe sich nicht nur eine systemkritische Größe erreichen, sondern auch Synergien. Das bedeutet zwar noch immer Personalabbau. Doch ohne Personalabbau wird es nicht gehen. Es gilt, die Kräfte zu bündeln und der Realität ins Auge zu blicken.
Der Verbrennungsmotor ist ein auslaufendes Geschäftsmodell, das keine Renaissance erleben wird. Und: „Nicht jeder betroffene Arbeiternehmer in der Autoindustrie kann umgeschult und mit durch den Strukturwandel genommen werden“, so Mogges Fazit.
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