Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

18.11.2021

14:59

Autozulieferer

Staatsanwaltschaft ermittelt im Dieselskandal gegen Ex-Führungsspitze von Continental

Von: Roman Tyborski, Volker Votsmeier

PremiumNach der überraschenden Trennung von Finanzchef Schäfer werden weitere Ermittlungen bekannt. Die Vorwürfe sind gravierend – auch eine Kanzlei steht in der Kritik.

Gegen den Autozulieferer wurden neue Ermittlungen bekannt. dpa

Wolfgang Schäfer (links) und Elmar Degenhart

Gegen den Autozulieferer wurden neue Ermittlungen bekannt.

Düsseldorf Die Staatsanwaltschaft Hannover nimmt im Dieselskandal das ehemalige Topmanagement von Continental ins Visier. Ein Sprecher bestätigte dem Handelsblatt am Donnerstag, dass gegen fünf Personen ermittelt wird. Darunter sind der langjährige Vorstandschef Elmar Degenhart, der gerade ausgeschiedene Finanzchef Wolfgang Schäfer und Ex-Powertrain-Vorstand José Avila.

Die Vorwürfe haben es in sich: Beihilfe zum Betrug, Untreue und vorsätzliche Verletzung der Aufsichtspflichten. Am Mittwoch seien in der Rechtsanwaltskanzlei Noerr, die Continental mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragt hatte, Unterlagen und Daten sichergestellt worden.

Direkt im Anschluss beraumte der Autozulieferer kurzfristig eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung an, in der Schäfer von seinen Aufgaben als Finanzchef und Verantwortlicher der Compliance-Abteilung mit sofortiger Wirkung entbunden wurde.

Schäfers Demission „steht im Zusammenhang mit den bereits bekannten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover zur Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren und Defiziten bei der andauernden Aufklärung bei Continental“, teilte das Unternehmen mit. Anleger reagierten verunsichert. Am Donnerstag verloren die Papiere des Dax-Konzerns zeitweise mehr als vier Prozent.

Im Konzern selbst sorgt die Ausweitung der Ermittlungen für Aufruhr. Viele Mitarbeiter seien bereits durch den plötzlichen Abgang von Schäfer „durchgeschüttelt“ worden, heißt es aus dem Umfeld des Unternehmens. Die Tatsache, dass nun auch gegen Degenhart ermittelt werde, hat die Stimmung am Donnerstag zusätzlich belastet.

Grafik

Die erweiterten Ermittlungen treffen Continental in einer Zeit, in der sich das Management eigentlich intensiv mit dem Aufbau des Softwaregeschäfts und der Bewältigung der andauernden Chipkrise befassen muss. Aus dem Konzern heißt es daher, man wolle schnell eine Nachfolge für Schäfer finden.

Vor allem mit dem Abgang von Schäfer werde das Vorstandsteam in einer Phase großer Herausforderungen geschwächt, heißt es aus dem Arbeitnehmerumfeld. Für Konzernchef Nikolai Setzer sei es nun eine „Feuerprobe der besonderen Art“. Seit knapp einem Jahr im Amt verantwortet Setzer interimsweise bereits das Kerngeschäft, nachdem der Aufsichtsrat die Abgänger der beiden Automotive-Vorstände Helmut Matschi und Frank Jourdan beschlossen hatte.

Nun macht der 50-Jährige auch die Aufklärung der Dieselermittlungen zur Chefsache. „Wir werden die Ressorts Group Compliance und Group Law and Intellectual Property mit sofortiger Wirkung meiner direkten Verantwortung unterstellen und unterhalb der Vorstandsebene neu besetzen“, teilt Setzer mit.

Interner Untersuchungsbericht im Fokus

Bei den ersten beiden Vorwürfen – Beihilfe zum Betrug und Untreue – handelt es sich um potenzielle Straftaten. Die Verletzung der Aufsichtspflicht gilt als Ordnungswidrigkeit. Das kann zu einem Verfahren gegen das Unternehmen selbst führen. Die Staatsanwaltschaft kann dann Bußgelder verhängen und die aus den illegalen Geschäften erlangten Gewinne abschöpfen. Auch die Autohersteller Volkswagen, Audi, Porsche und Daimler mussten im Dieselskandal bereits derartige Zahlungen leisten – oft hohe dreistellige Millionenbeträge.

Im Fall Continental hatte es bereits mehrere Durchsuchungen gegeben. „Wir führen inzwischen 61 Beschuldigte in den Verfahren“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im Laufe der Ermittlungen habe es durch die Auswertung der Daten und Dokumente neue Erkenntnisse ergeben.

Nun sei ein Punkt erreicht, an dem man die Namen hochrangiger Manager nennen könne. Aus ermittlungstaktischen Gründen habe man davon bislang abgesehen. Bei den Ermittlungen ging es früheren Angaben zufolge um einen von VW entwickelten 1,6-Liter-Dieselmotor, zu dem Continental die Motorsteuerung geliefert hatte.

Im Konzern sorgt die Ausweitung der Ermittlungen für Aufruhr. Reuters

Ex-Continental-Chef Elmar Degenhart

Im Konzern sorgt die Ausweitung der Ermittlungen für Aufruhr.

Der Autozulieferer ließ nach Bekanntwerden des VW-Dieselskandals 2015 einen internen Untersuchungsbericht anfertigen. Daran gearbeitet hatte sowohl die eigene Compliance-Abteilung, die in das Ressort von Finanzchef Schäfer fiel, als auch externe Kanzleien. Hunderttausende E-Mails wurden ausgewertet. Das Ergebnis damals: Continental habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Immer wieder hatte sich das Unternehmen darauf berufen

Die Unterlagen, die die Kanzlei am Mittwoch der Staatsanwaltschaft Hannover übergeben hat, lassen nun aber einen anderen Schluss zu. Offenbar weist der Bericht starke Defizite aus. Nach Informationen des Handelsblatts gab es bei der internen Aufarbeitung und der Verteidigung des Unternehmens durch die Wirtschaftskanzlei Noerr erhebliche Probleme.

Sowohl die Ermittler als auch der Konzern sollen mit der Arbeit der Kanzlei unzufrieden gewesen sein. „Die Staatsanwaltschaft hat die Tätigkeit von Noerr massiv kritisiert“, sagt ein Anwalt.

Schäfer soll Ergebnisse des Berichts nicht infrage gestellt haben

Dieser sogenannte „Lupus-Bericht“, den die Kanzlei erstellt und die eigene Compliance-Abteilung begleitet hat, ist Schäfer nun offenbar zum Verhängnis geworden. Der Manager, der seit 2010 im Continental-Vorstand saß, soll die Ergebnisse nicht infrage gestellt haben.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Topmanagement daher vor, dem Bericht nicht die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Sie muss nun den Vorwürfen nachgehen, was die ehemaligen Topmanager wussten und ob Degenhart, Schäfer und Avila eventuell in die Erstellung des Untersuchungsberichts aktiv eingegriffen haben. Unklar ist, ob die interne Aufklärung dadurch aktiv verschleppt wurde.

Inzwischen hat Continental reagiert und sich weitgehend von Noerr getrennt. Der Vorstand von Continental arbeitet jetzt mit der Kanzlei Ufer Knauer zusammen, das abgespaltene Unternehmen Vitesco setzt auf den Verteidiger Alfred Dierlamm. Der Continental-Aufsichtsrat hat außerdem die US-Kanzlei Skadden Arps mandatiert. Noerr wollte sich auf Nachfrage wegen seiner Verschwiegenheitspflicht nicht zu der Sache äußern

Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle erklärte am Mittwoch, man wolle den vorliegenden Sachverhalt konsequent und vollumfänglich aufklären und kooperiere rückhaltlos mit der Staatsanwaltschaft. „Gemäß unserer Null-Toleranz-Philosophie gehen wir jedem Verdacht nach“, sagte Reitzle. In seiner Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender wurde der Untersuchungsbericht angefertigt.

In der Belegschaft lösen die Ermittlungen Sorgen aus. Nach Personalabbaumaßnahmen, Pandemie, Werksschließungen, Kurzarbeit und Chipkrise sei die Nachricht ein weiterer Tiefschlag, heißt es aus Kreisen der Arbeitnehmer. Der Zulieferer geht mit Konzernchef Setzer und Personalvorständin Ariane Reinhart nur noch mit zwei langjährigen Vorstandsmitgliedern ins Jahr 2022.

Rechts- und Compliance-Abteilung werden getrennt

Auffällig ist, dass sich in der Mitteilung des Konzerns keinerlei Wort des Dankes für Schäfer findet. Die Worte von Setzer lassen den 62-Jährigen in keinem guten Licht erscheinen. „Integrität ist fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur und verankert in unserem weltweit und für alle Continental-Gesellschaften gültigen Verhaltenskodex. Denn wir gewinnen mit fairen Mitteln“, sagte Setzer.

Konzernkenner sind von dieser harten Formulierung überrascht. „Ich kenne Herrn Schäfer als besonders integren, fairen und vor allem in Rechtsfragen sehr penibel arbeitenden Manager“, sagt ein Insider.

Zusammen mit Schäfer gibt auch Christian zur Nedden, verantwortlich für die Rechtsabteilung, die Compliance-Organisation und IT-Themen, seinen Posten ab. Die Abteilungen werden zudem getrennt.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×