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28.04.2022

04:09

Bilanzcheck

Die Russland-Hypothek des Chemiekonzerns BASF

Von: Siegfried Hofmann

Operativ glänzt BASF, nur einige Spezialchemiesparten zeigen Schwächen. Doch der Ukrainekrieg bringt neue Unsicherheiten und Risiken in der Energie- und Gasversorgung.

Was Aussichten und Börsenperformance angeht, offenbaren sich bei dem Ludwigshafener Chemiekonzern einige Unsicherheiten und Schwächen. dpa [M]

BASF im Bilanzcheck

Was Aussichten und Börsenperformance angeht, offenbaren sich bei dem Ludwigshafener Chemiekonzern einige Unsicherheiten und Schwächen.

Frankfurt Mit einer ungewohnt zwiespältigen Konstellation müssen sich die Aktionäre des Chemiekonzerns BASF am Freitag auf der Hauptversammlung auseinandersetzen. Was die operative Entwicklung angeht, zeigt sich der Chemieriese aktuell in starker Verfassung. Firmenchef Martin Brudermüller kann einen Jahresabschluss mit fast sechs Milliarden Euro Reingewinn und einem auf 7,8 Milliarden Euro mehr als verdoppelten Betriebsergebnis sowie eine überraschend gute Performance im ersten Quartal präsentieren.

Zuversicht demonstriert das BASF-Management auch mit dem Vorschlag einer weiteren Dividendenerhöhung auf nunmehr 3,40 Euro je Aktie und einem Aktienrückkaufprogramm im Umfang von drei Milliarden Euro.

Was Aussichten und Börsenperformance angeht, offenbaren sich bei dem Ludwigshafener Chemiekonzern aber einige Unsicherheiten und Schwächen. Denn es zeichnet sich ab, dass der Turnaround nicht nachhaltig ist und die Erträge im zweiten Halbjahr wieder unter Druck geraten werden.

Gleichzeitig überschattet der Krieg in der Ukraine das BASF-Geschäft. Der Konzern hat mittlerweile bis auf Agrargüterlieferungen sämtliches Geschäft in Russland eingestellt, was aber nur ein Prozent des Umsatzes betrifft. Das weitaus größere Problem sind die neuen, potenziell gravierenden Risiken in der Rohstoff- und Energieversorgung.

Das alles spiegelt sich inzwischen in einer Börsenbewertung, die mit 46 Milliarden Euro kaum noch höher ist als die des deutlich kleineren US-Konkurrenten Dow Chemical. Mit 20 Prozent Kursverlust seit Jahresbeginn und 45 Prozent Minus in den vergangenen fünf Jahren gehört die BASF-Aktie zu den schwächsten Werten im Chemiesektor.

1. Strategie: Gasbedarf wird zum Risiko

Dabei hat der Konzern strategisch durchaus Fortschritte gemacht. Eine interne Reorganisation, Effizienzprogramme und eine Reihe kleinerer Teilverkäufe haben die Kostenstruktur tendenziell verbessert. Zugleich versucht BASF, das Geschäft wieder stärker auf jene Produkte und Produktionsketten zu fokussieren, die in die großen, vernetzten Standorte des Konzerns, den sogenannten „Verbund“, passen.

Mit dem im Bau befindlichen neuen Werk in China und hohen Investitionen im Geschäft mit Batteriematerialien verstärkt der Konzern seine Position in wichtigen Wachstumssegmenten. Zugleich hat er seine Ambitionen im Klimaschutz verstärkt – mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß und damit den Verbrauch fossiler Energieträger bis 2030 um ein Viertel zu reduzieren.

Doch diese Strategie wird nun von einer Russlandhypothek belastet. Denn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der dadurch ausgelöste Umbruch in der Energie- und Rohstoffversorgung könnten BASF als den größten industriellen Gasverbraucher in Deutschland gleich in mehrfacher Hinsicht treffen.

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Ein abrupter und kompletter Ausfall der russischen Gaslieferungen könnte nach Schätzung mancher Experten theoretisch bis zu 40 Prozent der europäischen Produktion von BASF lahmlegen. Auch wenn ein solcher Extremfall unwahrscheinlich erscheint, wären auf jeden Fall wohl größere Einschränkungen für die Produktion und damit entsprechende Absatzeinbußen zu erwarten.

Selbst wenn ein direkter und kompletter Boykott ausbleibt, läuft die Entwicklung darauf hinaus, russische Gasbezüge möglichst schnell durch alternative Energiequellen zu ersetzen, sei es durch LNG, Öl oder den schnelleren Umstieg auf regenerative Chemie- und Energierohstoffe.

Das wiederum dürfte auf eine deutliche Verteuerung der Rohstoffbasis für die europäischen Standorte hinauslaufen, die immerhin noch rund 40 Prozent des globalen BASF-Geschäfts bestreiten.

Insgesamt könnte dem Konzern damit eine mehrjährige Delle in der Ertragsentwicklung drohen, von der sowohl das Massengeschäft mit Basischemikalien und Kunststoffen als auch die in den Verbund integrierten Spezialchemie-Aktivitäten betroffen wären.

Darüber hinaus wird auch die Finanzstrategie des Chemiekonzerns von der Russlandproblematik in Mitleidenschaft gezogen. Denn der geplante Ausstieg aus der Mehrheitsbeteiligung am Öl- und Gasproduzenten Wintershall Dea rückt in weite Ferne. BASF hält an dem Unternehmen 72,7 Prozent des Kapitals. Minderheitspartner ist die Investmentgruppe Letter One, die von dem sanktionierten russischen Oligarchen Michail Friedman kontrolliert wird.

Nicht nur vor dem Hintergrund dieser Verbindung erscheint der geplante Börsengang als extrem schwierig. Wintershall Dea ist mit der Beteiligung an mehreren sibirischen Gasfeldern auch selbst stark in der russischen Erdgasförderung engagiert. Insgesamt gut 47 Prozent der Produktion und knapp 63 Prozent der Reserven entfallen auf das Engagement in Russland.

Unter normalen Bedingungen hätte BASF nach Schätzung mancher Analysten mehr als zehn Milliarden Euro Verkaufserlös bei einem Börsengang von Wintershall Dea erwarten können. Diese Einnahmen werden nun jedoch erst einmal ausbleiben.

Stattdessen droht trotz der hohen Öl- und Gaspreise sogar die Gefahr weiterer Abschreibungen auf die Beteiligung, die zuletzt noch mit 9,6 Milliarden Euro in den Büchern des Chemiekonzerns stand. Im ersten Quartal hat sich der Wert bereits um etwa eine Milliarde Euro gemindert, weil Wintershall ein Darlehen an die Nord Stream 2 AG abschreiben musste.

2. Operative Entwicklung: Starkes Comeback

Operativ kann BASF die neuen Herausforderungen in relativ starker Verfassung angehen. Kräftige Absatz- und vor allem Preissteigerungen im Geschäft mit Basischemikalien und Kunststoffen sorgten 2021 für eine stürmische Erholung nach dem coronabedingten Einbruch im Vorjahr.

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So stieg der Umsatz um ein Drittel auf 78,6 Milliarden Euro. Das um Sondereinflüsse bereinigte Betriebsergebnis (Ebit) verbesserte sich von 3,6 auf knapp 7,8 Milliarden Euro. Der Chemiekonzern kehrte damit auf ein operatives Ertragsniveau zurück, das man zuletzt 2017 erreicht hatte.

Der Nettogewinn stieg auf 5,9 Milliarden Euro, während der Konzern im Vorjahr aufgrund des schwachen operativen Ertrags und hoher Wertberichtigungen unterm Strich einen Verlust von rund einer Milliarde ausweisen musste.

Auch die Umsatz- und Kapitalrenditen haben sich damit wieder deutlich verbessert und erreichten zumindest annähernd wieder Werte, wie sie BASF in ihren Spitzenzeiten erzielte.

3. Finanzkraft: Free Cashflow verbessert

Deutlich erholt hat sich auch der Cashflow. Der Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft verbesserte sich um ein Drittel auf 7,2 Milliarden Euro. Nach Sachinvestitionen verblieb ein Free Cashflow von 3,7 Milliarden Euro, etwa 1,5 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr und mehr als genug, um die weiter steigende Ausschüttungssumme zu finanzieren.

BASF verfügt auch unabhängig von einem Wintershall-Verkauf über eine solide Bilanzstruktur, mit einer Eigenkapitalquote von 48 Prozent und einem mäßigen Verschuldungsgrad von 1,3 in Relation zum bereinigten Betriebsgewinn vor Abschreibungen (Ebitda). Die Nettoverschuldung konnte der Konzern 2021 leicht auf 14,3 Milliarden Euro reduzieren. Ein erfolgreicher Börsengang von Wintershall Dea hätte indes den finanziellen Spielraum nochmals deutlich gestärkt.

4. Sparten: Starke Basischemie, schwaches Agrogeschäft

Der Blick auf das Segment-Reporting bestätigt einmal mehr den enormen Einfluss des Grundchemie- und Kunststoffgeschäfts auf die Performance des Konzerns. Trugen die Sparten Chemicals und Materials, in denen diese Aktivitäten gebündelt sind, 2020 noch zu einem starken Ertragseinbruch bei, waren sie im vergangenen Jahr Treiber der Erholung.

Ähnlich wie etliche andere Hersteller profitierte BASF hier von einer sehr starken Nachfrage bei begrenztem Angebot, was sich wiederum in deutlichen Preissteigerungen von bis zu 70 Prozent in Teilbereichen des Chemikaliengeschäfts niederschlug.

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Zusammengenommen konnten die Sparten Chemicals und Materials damit ihren Umsatz um die Hälfte steigern und den operativen Gewinn auf zusammen 5,4 Milliarden Euro vervierfachen. Die beiden Sparten standen damit für gut ein Drittel des Konzernumsatzes und fast zwei Drittel des operativen Gewinns.

Deutlich differenzierter war die Entwicklung dagegen im umfangreichen „Downstream“-Geschäft der BASF mit höher veredelten Chemieprodukten. In Summe stagnierte der bereinigte operative Betriebsgewinn dieser Aktivitäten 2021 bei rund drei Milliarden Euro – ein Indiz dafür, dass es dem Konzern nach wie vor vergleichsweise schwerfällt, im Spezialchemiebereich bessere Margen durchzusetzen.

Höhere Erträge konnte BASF zwar im Geschäft mit Industriechemikalien (Industrial Solutions) sowie Katalysatoren und Farben (Surface Technologies) erzielen. Dem standen jedoch Einbußen bei Nutrition & Care (Vitamine, Kosmetikvorprodukte, Reinigungssubstanzen) sowie Agricultural Solutions (Pflanzenschutz, Saatgut) gegenüber.

Beide Sparten entwickelten sich klar enttäuschend, auch gegenüber ursprünglichen Prognosen, die deutliche Ertragssteigerungen vorhergesagt hatten. Nutrition & Care kämpft de facto bereits seit Jahren mit Ertragsschwächen, trotz umfangreicher Restrukturierungen.

Die Agrochemiesparte verdiente 2021 operativ 26 Prozent weniger als im Vorjahr und ein Drittel weniger als vor fünf Jahren, obwohl sie zwischenzeitlich durch die Übernahme von Saatgut- und Pflanzenschutzaktivitäten von Bayer gestärkt wurde. In Relation zum erhöhten Kapitaleinsatz sind die Erträge der Sparte nach wie vor deutlich zu schwach. Die Kapitalrendite lag bei lediglich 4,5 Prozent.

5. Konkurrenzvergleich: Spezialchemie ist zurückgefallen

Die gespaltene Performance der BASF wird auch im Konkurrenzvergleich sichtbar. Was Basischemikalien und Kunststoffe angeht, kann sich der Ludwigshafener Konzern mit 53 Prozent Umsatzwachstum, 320 Prozent Ertragssteigerung und einer operativen Marge von knapp 19 Prozent gegenüber vergleichbaren Unternehmen wie Dow, Lyondell-Basell oder Covestro gut sehen lassen.

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Ein anderes Bild bietet sich dagegen im übrigen Chemiebereich. Hier sind die bereinigten operativen Erträge der BASF alles in allem sogar leicht gesunken, die Ebit-Marge verringerte sich von acht auf etwa 6,5 Prozent.

Demgegenüber wiesen Konkurrenten wie Dupont, Evonik, Solvay oder DSM durchweg deutliche Ergebnis- und Renditesteigerungen aus. Im Agrogeschäft konnte BASF umsatzmäßig zwar knapp mithalten, blieb in der Ertragsentwicklung aber deutlich hinter den Konkurrenten Bayer Crop Science, Corteva und Syngenta zurück.

6. Ausblick: Unsicherheitsfaktor Gas und Konjunktur

Ähnlich wie die gesamte Branche ist auch BASF unerwartet stark ins Jahr 2022 gestartet. Der Umsatz legte in den ersten drei Monaten um 19 Prozent auf 23 Milliarden Euro zu, der Betriebsgewinn vor Sondereinflüssen um 21 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Auch im April dürfte das Geschäft gut gelaufen sein.

Die meisten Experten rechnen indessen damit, dass die günstigen Bedingungen nicht von Dauer sind und die hohen Margen im Basischemie- und Kunststoffbereich im Gesamtjahr kaum zu halten sein werden.

Analysten gehen für 2022 im Schnitt von einem bereinigten Ebit von rund 6,65 Milliarden Euro aus, was einem Rückgang von etwa 14 Prozent entsprechen würde. Der BASF-Vorstand selbst stellt bisher ein operatives Ergebnis von 6,6 bis 7,2 Milliarden Euro in Aussicht.

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Die Unsicherheiten mit Blick auf die europäische Gasversorgung und die Energiepreise machen Prognosen besonders schwierig. Momentan dürfte dabei die Furcht vor Produktionsunterbrechungen die Nachfrage sogar noch antreiben, weil Chemiefirmen selbst und Weiterverarbeiter offenbar versuchen, Vorräte für den Fall der Fälle aufzubauen.

Doch kippt dieser Vorratseffekt, könnten Absatzmengen und Preise auch sehr schnell unter Druck geraten. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ergibt sich aus den schwächer werdenden globalen Konjunkturaussichten.

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