PremiumDie Theranos-Gründerin wollte Bluttests revolutionieren und wurde zur Selfmade-Milliardärin – nun steht sie wegen Betrugs vor Gericht.
Elizabeth Holmes
In dem Prozess „United States vs. Elizabeth Holmes“ geht es darum, ob die Theranos-Gründerin eine Verbrecherin ist oder eine gescheiterte Unternehmerin.
Bild: Reuters
San José Der Staatsanwalt im Prozess gegen den einstigen Silicon-Valley-Star Elizabeth Holmes beginnt mit schweren Vorwürfen: „Ihre Zeit lief ab, das Geld ging ihr aus, also beschloss Elizabeth Holmes zu lügen“, spricht er zu den zwölf Mitgliedern der Jury im Gerichtssaal 4 des Bundesgerichts in San José.
Holmes habe mit der Lüge, einen revolutionären Bluttest entwickelt zu haben, Investoren um insgesamt 700 Millionen Dollar gebracht und Patienten mit den falschen Testergebnissen ihrer fehlerhaften Geräte getäuscht. 2018 brach ihr Unternehmen Theranos, das Investoren zeitweise mit neun Milliarden Dollar bewertet hatten, in sich zusammen. Nun drohen Holmes, die auf Magazincovern einst als „nächster Steve Jobs“ angehimmelt wurde, wegen Betrugs bis zu 20 Jahre Haft.
In dem Prozess „United States vs. Elizabeth Holmes“ geht es darum, ob die heute 37-Jährige eine Verbrecherin ist oder nur eine gescheiterte Unternehmerin. „Dieser Prozess dreht sich um Betrug, Lügen und Schwindel, um an Geld zu kommen“, sagt der Staatsanwalt in seinem Eröffnungsplädoyer. „Scheitern ist kein Verbrechen“, wird ihm Holmes´ Verteidiger später antworten.
In jedem Fall ist der Aufstieg und Fall von Elizabeth Holmes keine übliche Geschichte eines gescheiterten Start-ups. Gründerinnen im Silicon Valley waren und sind selten und Holmes zog das Rampenlicht auf sich wie keine andere. Im schwarzen Rollkragenpullover und mit antrainiert tiefer Stimme versuchte sie, den Apple-Gründer Steve Jobs nachzuahmen. Im Gerichtssaal in San José sitzt sie nun im grauen Kostüm und mit blauer Maske.
Holmes hatte ihr Stanford-Studium abgebrochen, um 2003 mit 19 Jahren Theranos zu gründen. Ihr „Edison“-Bluttestgerät sollte in nur einem Tropfen Blut Hunderte verschiedene Krankheiten oder Stoffe feststellen können. Es sei sogar möglich, daraus zu lesen, ob jemand vorher einen Salat oder einen Cheeseburger gegessen hatte, behauptete Holmes einmal.
Holmes´ Persönlichkeit und die Medizinrevolution, die sie versprach, zogen prominente Unterstützer und Investoren an: In ihrem Verwaltungsrat saßen mit George Shultz und Henry Kissinger gleich zwei greise Ex-US-Außenminister. Die Hunderte Millionen Dollar Investmentkapital kamen von der Familie von Walmart-Gründer Sam Walton, Trumps späterer Bildungsministerin Betsy DeVos oder dem konservativen Medienunternehmer Rupert Murdoch.
Doch die Geräte funktionierten nicht. Statt Hunderten hätte Theranos nur zwölf Tests auf seinen „Edison“-Minilabs durchgeführt, und auch die hätten nicht verlässlich funktioniert. Statt auf „Edison“ testeten Theranos-Mitarbeiter auf Siemens-Geräten. Das Blut musste dafür so stark verdünnt werden, dass die Geräte falsche Ergebnisse produzierten. Ihren Laborchef und andere Mitarbeiter, die davor warnten, warf Holmes raus.
Holmes und ihre Familie hätten die Tests selbst genutzt, entgegnet ihr Anwalt. Als Unternehmenschefin habe sie sich auf ihr Laborpersonal verlassen, das auch rechtlich für die Tests verantwortlich sei und diese abgezeichnet habe. „Frau Holmes hatte die Qualifikationen ja gar nicht“, sagt der Anwalt.
Derweil schloss Theranos Partnerschaften mit den Drogerieketten Walgreens und Safeway, wo nichtsahnende Patienten mit den mangelhaften Methoden getestet wurden. Einer Schwangeren habe Theranos eine falsche Fehlgeburt diagnostiziert, einem gesunden Mann Prostatakrebs, sagt der Staatsanwalt.
Die Staatsanwaltschaft will Holmes Betrug an Patienten und an den Investoren nachweisen. Theranos habe mehrmals vor der Pleite gestanden und sich nur mit Lügen retten können. Der Staatsanwalt schildert, wie Holmes nach einer gescheiterten Studie mit Pfizer einen Briefkopf des Pharmariesen auf ihr eigenes, positives Dokument drapierte und damit die rettende Kapitalspritze besorgte.
Später prognostizierte sie dreistellige Millionenumsätze für das kommende Jahr, obwohl das Unternehmen im laufenden nicht mal eine Million einnahm. Die Investoren seien „extrem erfahren“ gewesen und hätten unterschrieben, dass ihnen der spekulative Charakter des Investments bewusst ist, entgegnet Holmes´ Anwalt.
Als das „Wall Street Journal“ (WSJ) im September 2015 die Zweifel an der Theranos-Technologie öffentlich machte, begann das Lügengebäude zu bröckeln. 2017 schloss der Gesundheitsdienst der öffentlichen Krankenversicherungen der USA Theranos´ Labor, ein Jahr später war das Unternehmen Geschichte.
Nun geht es um Holmes´ Freiheit. „Die Schurkin, die Ihnen der Staatsanwalt präsentieren will, ist ein lebendiger, atmender Mensch“, sagt ihr Verteidiger. Holmes habe 15 Jahre lang Tag und Nacht an ihrer Vision gearbeitet, 176 Patente im Wert von Hunderten Millionen Dollar habe das Unternehmen zugesprochen bekommen. Von ihren Theranos-Anteilen, die sie einst zur reichsten Selfmade-Milliardärin der Welt machten, habe sie keinen einzigen verkauft – als das Unternehmen zusammenbrach, sei ihr nichts geblieben.
In San Jose wird mehr verhandelt als das Schicksal einer gefallenen Wunderforscherin. Auch die „Fake it till you make it“-Kultur des Silicon Valley, wo jeder Gründer ein bisschen größer erscheinen will, als er ist, steht im Fokus. Jeder verkauft dort eine Zukunft, in der sein Produkt oder seine App zu einem Alltagsverb wie googeln wird, Märkte umpflügt und Investoren wie Gründer zu Milliardären machen soll.
Manche Schummeleien sind heute Legenden: Das Charisma von Holmes‘ Vorbild Steve Jobs, mit dem der Apple-Gründer seine Mitarbeiter von unmöglich scheinenden Projekten überzeugte, ging als „Realitätsverzerrungsfeld“ in den Sagenschatz des Silicon Valley ein.
Der Unterschied zu Holmes und Theranos: Jobs‘ Geräte funktionierten und begeisterten die Massen. Und selbst wenn der Apple-Gründer gescheitert wäre, wären enttäuschte Fans und Apple-Aktionäre der größte Kollateralschaden gewesen.
Nachdem das „Wall Street Journal“ Theranos entlarvt hatte, distanzierte sich ein Großteil der Silicon-Valley-Elite schnell. Unter den Theranos-Investoren seien schließlich kaum Technologie-Investoren gewesen, hieß es. Bill Maris von Google Ventures offenbarte, dass man 2013 wegen Zweifeln an der Theranos-Technologie auf eine Beteiligung verzichtet hatte. Michael Moritz von Sequoia, einem der wichtigsten Investoren der Industrie, nannte Theranos ein „Subprime-Einhorn“. Öffentliches Nachtreten gegen gefallene Gründer ist im Silicon Valley sehr ungewöhnlich.
„Etwas an der Reaktion auf die Geschichte hat mich immer irritiert“, schrieb Jessica Lessin, die Gründerin der Branchenseite „The Information“, vergangene Woche. Die Stanford-Abbrecherin Holmes sei der Tech-Branche nicht so fremd gewesen, wie später getan wurde.
Zum einen hätten eben doch einige Tech-Schwergewichte wie Oracle-Gründer Larry Ellison oder Tim Draper von Tesla- und SpaceX-Investor DFJ Geld in Theranos gesteckt. Selbst als Theranos 2018 aufgab, beschwerte sich ein wütender Draper noch auf CNBC, Holmes sei „von der Regierung bis zur Kapitulation schikaniert worden“.
Zum anderen erinnert sich Lessin an eine Party eines mächtigen Investors um das Jahr 2014, als Holmes‘ Konterfei Magazincover schmückte. Auf dem Tennisplatz des Gastgebers habe sich eine so dichte Traube um Holmes gebildet, dass die Netzwerkerin Lessin gar nicht an die Unternehmerin rankam.
In den nächsten Monaten werden Staatsanwaltschaft und Verteidigung Ex-Mitarbeiter, Investoren und Experten in den Zeugenstand rufen. Ob Holmes selbst aussagen wird, ist noch nicht klar. Der Fall gilt schon jetzt als der größte Wirtschaftskriminalprozess der letzten zehn Jahre.
Aber hat das Silicon Valley aus Theranos gelernt? Der Gründer der Softwarefirma Headspin aus Palo Alto sammelte 80 Millionen Dollar ein, bevor auffiel, dass er sich Umsätze ausdachte – seit August steht er vor Gericht. Elon Musk verkauft „Full Self-Driving“-Software für seine Teslas, die ein Auto nicht selbst fahren lässt. Kritik gibt es daran aber kaum aus dem Tech-Tal. Und seit Mega-Investoren wie Softbank oder Tiger Global teilweise nach kurzen Meetings gewaltige Investmentzusagen machen, berichten Juristen aus Investmentfirmen, wie sie für die „Due Diligence“-Überprüfung von Start-ups immer weniger Zeit haben.
Man kann zu Theranos ein faszinierendes Stück alternative Geschichte schreiben: Wäre Theranos 2021 auch so spektakulär untergegangen, bevor das Unternehmen ein Blutbad mit den Ersparnissen von Kleinaktionären anrichten konnte? Seit Mitte 2020 sind zahlreiche Unternehmen wie der Batterie-Entwickler Quantumscape oder das Lastwagen-Start-up Nikola mit Spac-Fusionen an die Börse gegangen, die kein fertiges Produkt, keine marktgetestete Technologie oder je einen Euro Umsatz gemacht haben – „Pre Revenue“ heißt das dann rosig.
Auf dieser Welle hätte ein „Pre Scandal“-Theranos problemlos an die Börse schwimmen können. Die geprellten Investoren, in deren Namen Holmes angeklagt ist, wären dann nicht nur Multimillionäre und Milliardäre, sondern Pensionsfonds und Kleinaktionäre. „Dieser Prozess dreht sich um Betrug, Lügen und Schwindel, um an Geld zu kommen“, wiederholt der Staatsanwalt den Satz aus seinem Eingangsstatement. „Das ist überall ein Verbrechen, auch im Silicon Valley.“
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