Der Verbrenner bleibt bei schweren Motorrädern dominant. Bei Mopeds, Scootern und leichten Bikes setzen dagegen auch Hersteller wie BMW oder KTM alles unter Strom.
Easy Rider
Harley-Davidson hat seit 2019 mit der Livewire ein elektrisches Modell im Angebot.
Wien Motorräder stehen hierzulande in Verruf – zu laut, zu dreckig. Seit Jahren kämpft die Branche gegen ihr schlechtes Image. Helfen könnten der Industrie elektrisch angetriebene Modelle. Sie sind deutlich leiser als Verbrenner und stoßen lokal keine Abgase aus.
Trotz der Vorteile sind Akkumotorräder in Deutschland aber eine kaum wahrnehmbare Nische. Gerade einmal 1606 Stück wurden im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik verkauft. In Relation zum Gesamtabsatz von mehr als 143.000 Krafträdern und Leichtkrafträdern liegt der Anteil der Stromfabrikate bei lediglich einem Prozent. Und daran dürfte sich so schnell auch nichts Gravierendes ändern.
„Es gibt keinen Tesla der Motorradindustrie“, konstatiert Helfried Sorger, Technikchef des Powertrain-Bereichs bei Pierer Mobility, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der Manager verantwortet die Antriebsentwicklung bei renommierten Marken wie KTM, Husqvarna oder Gasgas und hält Zweiräder mit großen Hubräumen batterieelektrisch für „kaum darstellbar“.
Das liegt laut Sorger vor allem an den enorm schweren Energiespeichern, die Motorradhersteller in ihre Modelle integrieren müssten, um ähnliche Reichweiten und Leistungsdaten wie mit Verbrennungsmotoren zu erzielen. „Unsere KTM Super Adventure, eine Reise-Enduro, hat heute ein Gesamtgewicht von 238 Kilogramm. Mit einem elektrischen Antrieb wären wir dann bei über 400 Kilogramm“, erklärt der Ingenieur.
So ein schwergewichtiges Fahrzeug ließe sich allerdings nicht mehr dynamisch bewegen, meint Sorger. „Es würde keinen Spaß machen, und auch in puncto Sicherheit wäre das eine riesige Herausforderung.“ Vom Antiblockiersystem bis zur Traktionskontrolle müssten alle sicherheitsrelevanten Systeme neu entwickelt und dimensioniert werden. „Das ergibt keinen Sinn.“ Ein Motorrad müsse ein Motorrad bleiben.
Sorger schwört vor allem bei größeren Maschinen über 250 Kubikzentimeter Hubraum weiter auf den Verbrenner. Statt Benzin will der Österreicher hier in Zukunft verstärkt synthetische Kraftstoffe tanken, um den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid zu minimieren.
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Bei kleineren Motorradklassen hätten dagegen auch Strommodelle eine echte Existenzberichtigung. „Hier sind wir sehr aktiv“, sagt Sorger. Allein Pierer Mobility will bis 2024 drei elektrische Plattformen für Fahrzeuge der Einstiegsklasse auf den Markt bringen, die teils auch ohne Motorradführerschein bewegt werden dürfen.
Ähnlich positioniert sich der deutsche Marktführer BMW. „Wir glauben ganz klar auch für die Zukunft an die Koexistenz von Elektro und Verbrenner im Motorrad“, heißt es bei dem Münchener Dax-Konzern. In Städten und großen Ballungsräumen würden sich Stromfabrikate auf kurzen Strecken schnell durchsetzen.
Tatsächlich konnte BMW im vergangenen Jahr mit dem neuen Elektroroller CE 04 bereits einen respektablen Erfolg erzielen. Das luxuriöse Zweirad mit einer maximalen Reichweite von 135 Kilometern zu einem Basispreis von 13.000 Euro wurde aus dem Stand 5000 Mal verkauft. BMW verspricht nun, alle 18 bis 24 Monate ein neues Elektrogefährt für den urbanen Raum auf den Markt zu bringen.
Die Nachfrage ist anscheinend vorhanden. In den Zulassungszahlen für Kraftroller und Leichtkraftroller lässt sich hierzulande ein immer deutlicherer Elektrotrend erkennen. Demnach ist der Absatz von Akkurollern seit 2018 von mickrigen 135 Stück auf zuletzt mehr als 8000 Einheiten angestiegen. Allein im vergangenen Jahr haben sich die Verkäufe nahezu verdreifacht. Der Elektroanteil bei den Neuzulassungen von Rollern liegt mittlerweile bei rund 15 Prozent.
Elektro-Scooter sind gefragt
Bei elektrischen Rollern wie dem Ray 77 lässt sich die Batterie leichter verbauen.
Generell gilt: Je kleiner und leistungsärmer die Fahrzeuge, desto eher stehen sie unter Strom. Bei leichten Scootern wird bereits jedes fünfte neu zugelassene Fahrzeug elektrisch angetrieben. Und in der Kategorie der Mopeds mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde beträgt der Elektroanteil schon fast 30 Prozent.
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„Elektroroller werden weiter boomen“, prognostiziert der Marktforscher und Marketingexperte Werner Hagstotz. „Bei Motorrädern dürfte der Verbrenner hingegen noch über Jahre hinaus sehr dominant bleiben, wenn er nicht von der Politik verboten wird.“ Die Zweiteilung des Marktes – hier boomende E-Scooter, dort floppende Elektromotorräder – lässt sich laut Hagstotz unter anderem mit der unterschiedlichen Nutzung der Fahrzeugtypen erklären.
Elektrische Roller würden vorwiegend als Zweitgefährt für das Pendeln zur Arbeit genutzt, beobachtet Hagstotz. „Im urbanen Bereich sind Roller ideal, um flott von Ampel zu Ampel zu springen und sich an den Autos vorbeizuschlängeln. Dafür benötigt man keine große Reichweite.“
Schwere Motorräder werden dagegen kaum in der Stadt gefahren und auch auf der Autobahn allenfalls zur Anreise für größere Touren. „Sie sind eher ein Hobbysportgerät als ein Transportmittel“, sagt Mobilitätsexperte Hagstotz. „Wer Motorrad fährt, sehnt sich nach kurvigen Landstraßen. Hier ist eine passable Reichweite ein viel wichtigeres Thema als bei Rollern.“
Das Problem: Während Elektroautos ihre Reichweite einerseits über große Batterien und andererseits über besonders windschlüpfige Fahrzeugkonstruktionen steigern können, haben Motorräder hier viel weniger Spielraum. Der Platz, um Akkupakete unterzubringen, ist begrenzt. Hinzu kommt, dass Zweiräder keine geschlossene Karosserie haben; die Räder drehen frei. Aerodynamisch ist das ein Nachteil. Zumal die Passagiere anders als beim Auto nicht drinnen, sondern draußen sitzen.
„Dadurch ergeben sich ganz andere Luftströme, die sich wiederum auf den Verbrauch und die Reichweite auswirken können“, erklärt Reiner Brendicke, Hauptgeschäftsführer des Industrie-Verbands Motorrad Deutschland (IVM). Jedes Kilo an Zusatzgewicht durch größere Batterien sei aber heikel. Und Ladestationen im ländlichen Raum, gerade entlang schöner Strecken um Gebirgspässe und Seen, sind noch schwerer zu finden als in der Stadt.
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Brendicke geht daher davon aus, dass sich batterieelektrische Antriebe bei Motorrädern deutlich langsamer durchsetzen als bei Pkw. „Der moderne Verbrenner ist sehr beliebt und hat einen praktischen Nutzen.“ Dennoch gibt es eine Reihe von Firmen, die sich auf batterieelektrische Zweiräder spezialisiert haben.
RGNT No.1
Der schwedische Hersteller zeigt sein Elektromodell.
Bild: RGNT
Der bekannteste Anbieter ist Zero Motorcycles. Seit der Gründung im Jahr 2006 haben die Kalifornier über 20.000 Fahrzeuge verkauft. Der Fokus liegt auf dem Premiumsektor. Zero verspricht bei seinen E-Bikes sofortige Durchzugsstärke, wenig bis gar keine Wartung, eine Reichweite von bis zu 360 Kilometern und eine Ladezeit von lediglich einer Stunde. Das hat seinen Preis. Mit erhöhter Ladeleistung kostet das Spitzenmodell der Firma, die Zero SR/S, mehr als 30.000 Euro.
Vollelektrische Motorräder sind heute vielfach noch doppelt so teuer wie Benziner. Der Grund: Die klassischen Lithium-Ionen-Batteriezellen von großen Anbietern wie CATL, LG oder Samsung – wie sie die Autohersteller verwenden – sind für den Einsatz in Zweirädern nur bedingt geeignet.
Die Motorradindustrie arbeite statt mit herkömmlichen Energiezellen vor allem mit sogenannten Leistungszellen, erklärt KTM-Ingenieur Helfried Sorger. Diese seien in der Anwendung noch am ehesten mit Batterien in Elektrowerkzeugen wie Bohrmaschinen vergleichbar, die hohe Belade- und Entladeströme nutzen. Leistungszellen seien aber per se „deutlich teurer“ als Energiezellen, sagt Sorger.
Auch die Synergien innerhalb des eigenen Fahrzeugportfolios sind limitiert. Man könne nicht einfach den Verbrennungsmotor aus einem bestehenden Modell herausnehmen und durch eine E-Maschine ersetzen. Es brauche völlig neue, maßgeschneiderte Lösungen, bekundet Sorger. Eine Folge: „Die Ertragssituation bei elektrischen Motorrädern ist leider noch nicht berauschend.“
Die höchsten Deckungsbeiträge erwirtschaften die Motorradhersteller üblicherweise mit großen Maschinen. Sie machen in Deutschland fast 54 Prozent der Neuzulassungen bei motorisierten Zweirädern aus. Um möglichst lange an ihrer Verbrenner-Cashcow festhalten zu können, wirbt die Branche für den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen.
„Gerade auch für die Bestandsflotte sind E-Fuels sehr sinnvoll“, betont IVM-Hauptgeschäftsführer Brendicke. Wird der Kraftstoff mit grünen Energien erzeugt, lassen sich Ottomotoren damit theoretisch klimaneutral betreiben. Doch die Strategie birgt Risiken. „Woher soll der Strom dafür in Deutschland kommen?“, fragt Mobilitätsexperte Werner Hagstotz. Importiere man E-Fuels aus windreichen Ländern wie Chile würden hohe Zusatzkosten anfallen. „Es wird lange dauern, bis sich das rechnet.“
Anders als bei Elektroautos sieht die EU bis dato bei Motorrädern kein faktisches Verbrennerverbot im kommenden Jahrzehnt vor. Aber das könnte sich ändern. Üblicherweise schwappen Regulierungen und technische Entwicklungen aus der Pkw-Welt mit einem Zeitverzug von fünf bis sieben Jahren auf die Motorradindustrie über. Etablierte Zweiradhersteller dürften sich darum nicht ewig Zeit zu lassen, ihre Flotten auch mit batterieelektrischen Antrieben zu versehen.
Denn wie in der Autoindustrie werden auch bei den Motorrädern zahlreiche chinesische Anbieter versuchen, in Europa Fuß zu fassen, indem sie Premiumversionen ihrer elektrisch betriebenen Motorräder anbieten, prophezeit Branchenkenner Hagstotz. Noch profitieren westliche Marken wie BMW, KTM oder Harley Davidson zwar von ihrem guten Image. „Aber die Chinesen holen auf.“
Gerade die vier japanischen Volumenhersteller Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki könnten in einem ersten Schritt unter Druck geraten. China ist der größte Zweiradmarkt der Welt. In Fernost gibt es mehr als 200 verschiedene Anbieter wie Lifan, Hajoue, Zonhshen oder Loncin. Und bei elektrischen Antrieben sind die Chinesen nicht nur im Pkw-Bereich schon deutlich länger aktiv als westliche Marken.
Bei Akkumotorrädern werden die Karten neu gemischt. Abstiegsängste keimen auf. Es bestehe die ernsthafte Gefahr, dass einzelne Anbieter aus China die westliche Konkurrenz bald technologisch überholen könnten, heißt es in Industriekreisen. „Dann wird es ungemütlich.“
Erstpublikation: 07.02.23, 04:16 Uhr.
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