Der Mangel an Halbleitern wird der Branche auch im kommenden Jahr erhalten bleiben. Zugleich prognostizieren Experten erneute Rekordverkäufe bei Elektroautos.
Branchenausblick Auto
Auch 2022 gibt es keine Garantie dafür, dass die Chip-Versorgung wirklich besser wird.
Bild: dpa (4), Reuters, Getty Images
Düsseldorf Wieder einmal ruhen alle Hoffnungen auf dem neuen Jahr. Schon vor zwölf Monaten hatten die meisten Autohersteller darauf gesetzt, dass die schlimmste Zeit hinter ihnen liegen würde und dass die Coronapandemie beendet wäre. Doch dann kam die Versorgungskrise bei Halbleitern dazu – und vieles wurde noch schlimmer. Auch 2022 gibt es keine Garantie dafür, dass die Chipversorgung wirklich besser wird.
Viele Automanager verbreiten Zuversicht für das neue Jahr. Es sei davon auszugehen, „dass sich die Versorgungslage stabilisiert“, sagt beispielsweise Ralf Brandstätter, Vorstandschef von Volkswagen Pkw. Die Wolfsburger hätten direkten Kontakt mit großen Chipherstellern aufgenommen und verließen sich bei der Halbleiterversorgung nicht mehr allein auf zwischengeschaltete Automobilzulieferer wie Bosch und Continental. „Wir haben aus der Not eine Tugend machen müssen“, ergänzt Brandstätter. „Im zweiten Halbjahr 2022 sollte sich die Situation hoffentlich entspannen“, meint auch Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Von einer durchgreifenden Verbesserung der Lage dürfte im neuen Jahr allerdings keine Rede sein. Bei Volkswagen wird das besonders deutlich am Beispiel des Wolfsburger Stammwerks. Eigentlich können dort jährlich gut 800.000 Pkw gefertigt werden. Doch wegen fehlender Halbleiter ist es im fast beendeten Jahr 2021 gerade einmal knapp die Hälfte geworden. Für 2022 plant Volkswagen mit 570.000 Fahrzeugen, also immer noch deutlich unterhalb der möglichen Kapazität.
Aus Sicht von Branchenexperten sollten sich die Autohersteller auf anhaltende Versorgungsprobleme einstellen. „Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage von Halbleitern wird immer größer“, sagt Michael Alexander, Partner bei Roland Berger. Eine baldige Besserung sei nicht in Sicht. Der Engpass habe strukturelle Gründe, es gebe einfach zu wenig Halbleiter. Die Knappheit bei Chips werde bis in das Jahr 2023 – und wahrscheinlich darüber hinaus – bestehen bleiben. „Die angekündigten zusätzlichen Kapazitäten reichen nicht aus, um den Bedarf zu decken“, betont Alexander.
Doch der Chipmangel trifft nicht alle Autohersteller gleich. Manche Unternehmen sind mit der Versorgungskrise besser zurechtgekommen, andere schlechter.
Software und Halbleiter haben in Wolfsburg in der Vergangenheit keine allzu große Rolle gespielt, umso härter wurde Volkswagen von der Versorgungskrise bei Chips getroffen. Der VW-Konzern dürfte auch länger brauchen, um aus dem Tal herauszukommen. „Volkswagen muss bei der Umsetzung seiner Pläne schneller werden“, sagt Patrick Hummel, Automobilanalyst der Schweizer Großbank UBS.
Tesla ist das Gegenbeispiel zu Volkswagen. Der amerikanische Elektrohersteller hat gezeigt, dass sich die Autoproduktion trotz Chipmangels deutlich steigern lässt. Endgültige Ergebnisse liegen zwar noch nicht vor, aber Tesla könnte im zurückliegenden Jahr bei der Zahl produzierter Autos erstmals die Millionengrenze geknackt haben – doppelt so viel wie 2020.
Bei Tesla sind Chips und Software von Beginn an als fester Bestandteil der Autoproduktion gesehen worden. Tesla entwickelt seine Halbleiter zum Teil auch selbst. Die Versorgungskrise konnte deshalb bei den US-Amerikanern längst nicht so zuschlagen wie in Wolfsburg. 2022 stehen die Zeichen bei Tesla weiter auf Expansion. Denn im neuen Jahr wird die Autofabrik in Grünheide bei Berlin ihre Produktion aufnehmen.
Auch andere etablierte Autohersteller sind besser durch die Chipkrise gekommen als Volkswagen, allen voran gilt das für BMW und Toyota. Der Münchener Autohersteller hatte sich umfassender mit den unverzichtbaren Halbleitern eingedeckt und größere Reserven angelegt. Auch im neuen Jahr dürften die Versorgungsprobleme längst nicht das Wolfsburger Niveau erreichen. Bei Toyota stellt sich die Lage ähnlich dar: Die Japaner pflegen enge Kontakte zu großen Chipherstellern aus Asien. Deshalb ist Toyota vergleichsweise unbeschadet durch die Krise gekommen.
Ferdinand Dudenhöffer, Professor am Center Automotive Research (CAR) in Duisburg, rechnet weltweit mit einer leichten Verbesserung auf den Automärkten. Im Jahr 2021 seien rund um den Globus 70,5 Millionen Pkw verkauft worden, so Dudenhöffer. Für das neue Jahr rechnet er mit einem Absatz von 75,2 Millionen Pkw. Damit liegt die Branche weiterhin deutlich unter ihrer Bestmarke aus dem Jahr 2017, als weltweit 84,4 Millionen Pkw verkauft wurden.
„Nicht alles, was an Verkäufen durch die Pandemie ausgefallen ist, kann zügig aufgeholt werden“, folgert Dudenhöffer. Wegen der Alterung der Fahrzeugbestände könne auf längere Sicht jedoch wieder mit höheren Wachstumsraten gerechnet werden. Außerdem werden vermehrt Verbrennermodelle durch Elektroautos ausgetauscht.
Fehlende Halbleiter dürften einen fundamentalen Trend auch im neuen Jahr nicht aufhalten: den verstärkten Wandel hin zur Elektromobilität. „Der Anteil von Elektrofahrzeugen bei den Neuwagen steigt kontinuierlich an“, sagt Fabian Brandt, Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Allein schon wegen der verschärften CO2-Grenzwerte sind die Autohersteller weltweit dazu gezwungen, ihren Elektroanteil deutlich auszubauen. Andernfalls drohen empfindliche Geldbußen.
China, die USA und Deutschland entwickeln sich dabei zu den wichtigsten Absatzmärkten für Elektroautos. Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management (CAM) im rheinischen Bergisch Gladbach, kalkuliert damit, dass allein in der Bundesrepublik in diesem Jahr rund 350.000 rein batteriegetriebene Elektroautos verkauft worden sind. Für 2022 rechnet Bratzel mit einem weiteren Anstieg auf 450.000 E-Fahrzeuge. Die deutschen Autohersteller werden ihr Elektroangebot weiter ausbauen. Außerdem helfe die Zusage der neuen Regierung in Berlin, dass die staatliche Förderung von E-Autos im neuen Jahr unverändert fortgesetzt werde, so Bratzel.
Fortschritte sind im neuen Jahr auch beim autonomen Fahren zu erwarten. Anfang Dezember hatte Mercedes die staatliche Zulassung für seinen „Drive Pilot“ bekommen. 2022 werden dann auf deutschen Autobahnen die ersten S-Klasse-Modelle unterwegs sein, die tatsächlich autonom fahren können. Das dann allerdings wirklich nur auf den Autobahnen und bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde. Autofahrer dürften dieses „Level-3-System“ also vor allem in Staus und bei dichtem Verkehr einsetzen.
Beim autonomen Level 3 überlässt der Fahrer die Steuerung komplett dem Auto, muss aber in Problemsituation immer einspringen können. Bei Level 4 fährt das Auto unter vorab definierten Bedingungen komplett eigenständig, bei Level 5 wird überhaupt kein Fahrer mehr gebraucht. Nicht nur Mercedes, auch die meisten anderen Autohersteller werden ihre Anstrengungen beim autonomen Fahren im Jahr 2022 intensivieren.
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