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15.03.2022

10:51

Cannabis-Legalisierung

Wie sich die Cannabis-Branche auf das neue Milliardengeschäft vorbereitet

Von: Maike Telgheder

Eine Freigabe von Cannabis für den Freizeitkonsum könnte in Deutschland einen neuen Wirtschaftszweig entstehen lassen. Doch es gilt noch ungezählte Probleme zu lösen.

Die Cannabisbranche ist in Aufbruchstimmung. Getty Images, Bloomberg, dpa, Imago (M)

Milliardenmarkt Cannabis

Die Cannabisbranche ist in Aufbruchstimmung.

Frankfurt Übergroße Hanfblätter hängen neben anderem Grün von der Decke der Bezirksapotheke von Melanie Dolfen in Berlin am Alexanderplatz. Sichtbares Zeichen dafür, dass Patienten bei der 45-jährigen Pharmazeutin medizinisches Cannabis erhalten können. Dolfen versorgt schon viele Jahre per Ausnahmegenehmigung schwer kranke Menschen mit Medizinalhanf – lange bevor 2017 Cannabis für den therapeutischen Einsatz in Deutschland freigegeben wurde.

Die neue Bundesregierung will nun bald auch den Freizeitkonsum von Cannabis für Erwachsene legalisieren. Wenn es nach Melanie Dolfen geht, sollten Apotheken die Abgabe an die Konsumenten übernehmen. „Ich bin für Cannabis-Stores in den Apotheken, damit es eine unabhängige Instanz gibt, die für Qualitätskontrolle, Transparenz, Jugendschutz und Regeln bei der Abgabe verantwortlich ist“, sagt sie.

Seit die Pläne der Ampelkoalition im vergangenen November veröffentlicht wurden, wird das Thema Cannabis-Legalisierung heiß diskutiert. Während die einen die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums loben, warnen andere vor der Verharmlosung gesundheitlicher Risiken, Abhängigkeit und der Gefahr psychischer Störungen insbesondere bei Jugendlichen.

Cannabis-Legalisierung: Eine Branche im Umbruch

Wirtschaftsexperten argumentieren, dass ein neuer legaler Milliardenmarkt entstehen werde, der dem Staat stattliche Steuereinnahmen bringen könnte. Die Cannabisbranche ist entsprechend in Aufbruchstimmung: Viele Unternehmen könnten profitieren.

Darunter ist Finn Age Hänsel, Mitgründer und Geschäftsführer des Cannabis-Unternehmens Sanity Group. Die Firma residiert knapp zwei Kilometer von Dolfens Apotheke entfernt am Gendarmenmarkt und betreibt dort unter anderem eine Art Flagshipstore für CBD-Produkte vom Duschgel bis zum Schlaföl. Neben den Konsumgütern auf Basis des Cannabis-Inhaltsstoffs Cannabidiol vertreibt die Sanity Group über eine Firmentochter auch medizinisches Cannabis.

Künftig will das Unternehmen zudem bei Freizeitcannabis aktiv werden. „Wir können uns sehr gut vorstellen, hier auch ein System von lizenzierten Fachgeschäften aufzubauen und zu betreiben“, sagt Hänsel. Der 40-jährige Unternehmer hat sich schon als 17-Jähriger in der Jungen Union für die Entkriminalisierung von Cannabis eingesetzt.

Gesamtbedarf für Freizeit-Cannabis könnte 420 Tonnen pro Jahr betragen

Für die Legalisierung der derzeit noch illegalen Droge Cannabis sprechen verschiedene Gründe. Zum einen ist damit die Hoffnung verbunden, durch diesen Schritt den Schwarzmarkt auszutrocknen oder zumindest deutlich zu verkleinern. Die Qualität der Substanzen könne dadurch kontrolliert, die Weitergabe von verunreinigten Substanzen verhindert und der Schutz der Jugend gewährleistet werden.

Ein erheblicher Anteil der auf dem Schwarzmarkt zu kaufenden Drogen ist chemisch verunreinigt, sagt der Freiburger Toxikologe Volker Auwärter, der im Auftrag der Uniklinik Freiburg für Staatsanwaltschaften und Zoll beschlagnahmte Drogen untersucht. Schon von normalem Cannabis gingen Gefahren aus, synthetisches könne lebensgefährlich sein.

Der Ökonom Justus Haucap von der Universität Düsseldorf schätzt in einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie den Gesamtbedarf für Freizeit-Cannabis in Deutschland auf 380 bis 420 Tonnen pro Jahr. Bei einem Preis von zehn Euro je Gramm, der auf dem Schwarzmarkt eher im unteren Bereich liegt, entspricht das einem Wert von rund vier Milliarden Euro. Haucap errechnete, dass eine Legalisierung von Cannabis dem Fiskus durch zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge sowie Einsparungen bei Strafverfolgung und Justiz insgesamt mehr als 4,7 Milliarden Euro pro Jahr einbringen könnte.

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die kontrollierte Abgabe von Marihuana für den Freizeitkonsum an Erwachsene ermöglichen. imago/Christian Ohde

Cannabis-Blatt

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die kontrollierte Abgabe von Marihuana für den Freizeitkonsum an Erwachsene ermöglichen.

Cannabis-Legalisierung: Anbau in Deutschland

Aber woher sollen solche Mengen an Cannabis auf legalem Wege kommen? Das ist eine der größten Herausforderungen bei dem Vorhaben.

Denn ein Import von Cannabis zu Genusszwecken würde gegen internationales Recht verstoßen. Auch für Deutschland ist das 1961 geschlossene Einheitsabkommen der UN-Staaten über Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) bindend. Das verbietet den Handel, also auch Import und Export mit Cannabis für Genusszwecke, im Englischen als „recreational cannabis“ bezeichnet.

Wenn also die neue Regierung keinen Bruch mit den internationalen Verträgen will, müsste Cannabis in Deutschland vor Ort angebaut werden. Allerdings beschränkt das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel auch den Anbau und die Produktion von Cannabis auf ein medizinisches Produkt. Also müssten auch hierfür noch die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Verband fordert klare Rahmenbedingungen für Cannabis-Anbau

Burkhardt Blienert, seit Februar der neue Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, ist sich der großen Herausforderung wohl bewusst. Noch in dieser Legislaturperiode soll es ein Gesetz zur Cannabis-Legalisierung geben.

Viele seien diesbezüglich voller Ungeduld, doch gehe das nicht von heute auf morgen, schreibt der SPD-Politiker auf Anfrage des Handelsblatts. „Man darf ja nicht vergessen, dass es sich um nicht weniger als eine 180-Grad-Wende in der gesamten Cannabispolitik handelt. Da gibt es noch viel zu klären, damit wir keine Fehler machen. Dazu gehört auch, wie wir unsere Pläne mit internationalem Recht in Einklang bringen können“, so Blienert.

Nach Ansicht des Branchenverbands Cannabis ist die Schaffung von Produktionskapazitäten in Deutschland „entscheidend für die erfolgreiche Einführung eines Genussmittelmarktes für Cannabis“.

Es müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Erzeugung von Cannabis für den Genussmittelmarkt in hoher Qualität, zu wettbewerbsfähigen Preisen und mit staatlicher Kontrolle ermöglichen, fordert dem Verband, dem internationale Cannabisunternehmen wie Canopy Growth ebenso angehören wie Händler von CBD- und Hanfprodukten sowie Hersteller von Produktions- und Verpackungstechnik für den Anbau von Hanfpflanzen.

Das Know-how ist vorhanden

Grundsätzlich gibt es in Deutschland das Know-how, Hanf anzubauen. Seit 1996 ist der Anbau von Nutzhanfsorten, aus denen etwa Speiseöl oder Seile hergestellt werden, erlaubt. Der Gehalt des berauschenden Inhaltsstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) muss dabei unter 0,2 Prozent liegen. Bei rund 6400 Hektar ist die Anbaufläche von Nutzhanf im Freien laut Fachportal „Agrar heute“ im Vergleich zu anderen Kulturen aber sehr gering.

Grundsätzlich gibt es auch in Deutschland das Know-how, Hanf anzubauen. Bloomberg/Getty Images

Cannabis-Plantage in Kanada

Grundsätzlich gibt es auch in Deutschland das Know-how, Hanf anzubauen.

Mit der Freigabe von Medizinalhanf zu therapeutischen Zwecken wurde 2017 auch ein Verfahren angestoßen, dass den Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland ermöglicht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vergab im Mai 2019 die Lizenzen für die Produktion von 2,6 Tonnen Cannabis pro Jahr an drei Unternehmen: die kanadischen Unternehmen Aurora und Aphria, das mittlerweile mit dem kanadischen Konkurrenten Tilray fusioniert ist, sowie das deutsche Start-up Demecan.

Alle drei Firmen bauten Indoor-Anbauanlagen unter Hochsicherheitsbedingungen auf. Das Vorhaben erwies sich aber als schwieriger als gedacht: Bislang kann nur ein kleiner Teil der ursprünglich kalkulierten Menge geliefert werden.

Cannabis-Firma Demecan könnte Kapazitäten schnell ausbauen

Schon um den Bedarf an medizinischem Cannabis zu decken, muss deutlich mehr importiert werden: Im vergangenen Jahr wurden mehr als 20 Tonnen Cannabisblüten importiert, zeigt die Statistik des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der Aufbau einer Cannabis-Produktion in Deutschland, der dem von Ökonom Haucap errechneten Mengenbedarf an legalem Cannabis gerecht würde, dürfte Jahre dauern.

Beim Unternehmen Demecan in Ebersbach bei Dresden ist die Cannabis-Anlage in einem ehemaligen Schlachthof bereits auf Expansion ausgelegt. Wird der Stoff für Genusszwecke freigegeben, könnte Demecan seine Produktion für weiteres Cannabis schnell hochfahren. „Wenn der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen ändert, würden wir natürlich auch Cannabis für Genusszwecke anbauen“, sagt Mitgründer Cornelius Maurer. Das sei für das Unternehmen „eine Riesenchance“.

Demecan könnte seine aktuelle Produktionskapazität in Sachsen von jährlich rund eineinhalb Tonnen innerhalb von sechs bis neun Monaten auf vier Tonnen ausbauen, so Maurer. Mit weiteren Investitionen ließe sich die Kapazität auch auf zehn Tonnen Cannabis pro Jahr erweitern.

Zudem kann sich Demecan vorstellen, selbst Fachgeschäfte zu eröffnen. „Wir bilden bereits fast die gesamte Wertschöpfungskette ab und haben Erfahrungen als Anbauer, Weiterverarbeiter, Importeur und Großhändler. Es wäre für uns der nächste logische Schritt, auch auf die Konsumenten zuzugehen“, sagt Maurer.

Wird der Stoff für Genusszwecke freigegeben, könnte das deutsche Unternehmen seine Produktion für weiteres Cannabis schnell hochfahren. Demecan

Demecan-Gründer (v.l.) Adrian Fischer, Cornelius Maurer und Constantin von der Groeben

Wird der Stoff für Genusszwecke freigegeben, könnte das deutsche Unternehmen seine Produktion für weiteres Cannabis schnell hochfahren.

Cannabis-Legalisierung: Ein Blick in andere Länder

Wie Deutschland bei der Legalisierung vorgeht, wird international genau beobachtet werden. Denn auch in vielen anderen Staaten wird das Thema diskutiert. Deutschland hat dabei auch die Chance, die Fehler zu vermeiden, die andere Länder bei der Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken gemacht haben.

In den Niederlanden beispielsweise, wo Cannabis zwar nicht legalisiert wurde, aber seit Jahrzehnten von Coffeeshops für den Eigenbedarf an Erwachsene verkauft werden darf, wurde zwar die Abgabe geregelt, aber nicht der Einkauf. Die Coffeeshops hatten keine Möglichkeit, Cannabis legal einzukaufen – eine Lücke, die Drogenbanden nutzen, um ein großes Netzwerk aufzubauen, über das mittlerweile zunehmend Kokain verkauft wird.

In Kanada wiederum hatten viele Cannabisunternehmen in Goldgräberstimmung zum Start der Liberalisierung im Oktober 2018 Tonnen an Freizeitcannabis produziert, die dann allerdings nur zum Teil ihre Käufer fanden. Denn es mangelte an staatlichen Abgabestellen.

In der größten Provinz Ontario gab es Medienberichten zufolge den ersten Shop erst acht Monate nach der Freigabe. In der zweitgrößten Provinz Quebec entstanden im ersten Jahr insgesamt nur 23 sogenannte Dispensaries. Die zu schwache Infrastruktur sorgte dafür, dass die Konsumenten weiter auf dem Schwarzmarkt einkauften.

Mittlerweile, mehr als drei Jahre nach der Legalisierung, wird allerdings ein nennenswerter Anteil Cannabis legal verkauft: Die Verkäufe summierten sich laut Statistics Canada auf mehr als eine Milliarde kanadische Dollar (umgerechnet rund 750 Millionen Euro). Im vierten Quartal 2018 lagen sie noch bei 175 Millionen kanadische Dollar (rund 120 Millionen Euro).

Der Schwarzmarkt spielte allerdings weiterhin unter anderem wegen der höheren Zahl an differenzierten Produkten eine Rolle. Kanada hat mit 38 Millionen Einwohnern eine weniger als halb so große Bevölkerung wie Deutschland.

Wie die Legalisierung in Deutschland gestaltet werden soll, dazu lässt der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP viel Interpretationsspielraum. In dem Papier heißt es lediglich: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.“

Apothekerverband zeigt sich skeptisch

Der Drogenbeauftragte Blienert gibt allerdings gegenüber dem Handelsblatt schon einmal den groben Rahmen vor: „Was mir insgesamt wichtig ist, ist, dass wir den ganzen Prozess staatlich kontrolliert begleiten, vom Anbau bis hinein in den Handel und zum Konsumenten. Die Qualität muss überwacht werden, sie muss stimmen“, sagt er.

Ob dann die Abgabe in Apotheken oder speziellen Shops stattfinden werde, sei eher sekundär. „Wichtiger ist, dass vor Ort eine kompetente Beratung über Risiken und Nebenwirkungen stattfindet und nicht nur der Profit im Fokus steht. Wir brauchen dafür geschultes Personal, welches zur Not auch auf Suchtberatungsstellen verweist“, so Blienert weiter.

Sind Apotheken der richtige Ort für den Cannabis-Verkauf?

Apothekerin Dolfen in Berlin jedenfalls kann sich sehr gut vorstellen, diese Beratung auch bei Cannabis zu Genusszwecken zu übernehmen. Neben der Möglichkeit, ein neues Geschäftsfeld zu betreten, sieht sie auch die Chance, die Rolle der Apotheken in der öffentlichen Wahrnehmung zu schärfen. „Wir sind keine Schubladenzieher und Beipackzettel-Erklärer. Wir haben im pharmazeutischen Kontext eine wichtige Funktion als unabhängige Instanz zwischen Herstellern und Kundinnen und Kunden. Diesen Anspruch sollten wir auch bei ,recreational cannabis‘ vertreten“, sagt sie.

„Wir sind keine Schubladenzieher und Beipackzettel-Erklärer.“ Bezirksapotheke Berlin

Apothekerin Melanie Dolfen

„Wir sind keine Schubladenzieher und Beipackzettel-Erklärer.“

So wie Melanie Dolfen denken aber nicht alle in der Zunft. Nach einer Umfrage der Deutschen Apothekerzeitung unter mehr als 4400 Leserinnen und Lesern halten nur rund 34 Prozent der Befragten die Apotheke für den richtigen Ort, um Cannabis für den privaten Gebrauch zu verkaufen.

Die Präsidentin der Bundesvereinigung der Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening, hatte bereits vergangenen November Position bezogen: „Um es ganz klar zu sagen: Wir reißen uns nicht darum, künftig in unseren Apotheken Cannabis zu verkaufen. Im Fall einer Legalisierung sind wir aber davon überzeugt, dass es nur die Apotheken sein können, die ein Höchstmaß an Sicherheit für die Konsumenten gewährleisten.“

Die Unternehmen der Cannabiswirtschaft werden das Feld aber sicher nicht den Apotheken überlassen: Der Verband fordert die Vergabe unbegrenzter Lizenzen für die Fachgeschäfte über offene Antragsverfahren. Die Diskussion über die Cannabis-Legalisierung für den Freizeitkonsum hat gerade erst begonnen.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand, dass der Ökonom Justus Haucap den Gesamtbedarf für Freizeit-Cannabis in Deutschland auf 380 bis 420 Millionen Tonnen pro Jahr schätzt. Das ist falsch. Tatsächlich schätzt er ihn auf 380 bis 420 Tonnen pro Jahr. Außerdem beträgt die Anbaufläche von Nutzhanf im Freien in Deutschland nicht 6,5 Hektar, sondern rund 6400 Hektar. Wir haben die Fehler korrigiert.

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