Rund zwei Drittel der gestrichenen Arbeitsplätze sollen auf Deutschland entfallen. Konzernchef Brudermüller rechnet mit der „Überregulierung“ in Europa ab.
BASF-Werk in Ludwigshafen
Die Einsparungen betreffen besonders das Stammwerk des Chemieriesen.
Bild: imago images/Hans-Günther Oed
Ludwigshafen Nach einem deutlichen Ergebnisrückgang im vergangenen Jahr und hohen Belastungen durch die Energiekrise streicht BASF weltweit 2600 Stellen. Zudem sind deutliche Einschnitte im Produktionsverbund am Standort Ludwigshafen geplant.
Dort will BASF mehrere Anlagen schließen, darunter auch eine erst vor wenigen Jahren gebaute Anlage für das Kunststoff-Vorprodukt TDI, wovon weitere rund 700 Stellen in der Produktion betroffen sind. Das Handelsblatt hatte darüber bereits am Mittwoch exklusiv berichtet.
„Die Wettbewerbsfähigkeit der Region Europa leidet zunehmend unter Überregulierung. Sie leidet auch immer mehr unter langsamen und bürokratischen Genehmigungsverfahren und vor allem unter hohen Kosten für die meisten Produktionsfaktoren“, erklärte BASF-Chef Martin Brudermüller am Freitag. Den Beschäftigten in der Produktion soll Arbeit in anderen Betrieben angeboten werden.
Arbeitnehmervertreter halten den Personalabbau für überzogen. Die Umstrukturierung dürfe nicht zulasten der Mitarbeiter gehen und zu einer weiteren Leistungsverdichtung führen, forderten Betriebsrat und IGBCE am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung.
IGBCE-Chef Michael Vassiliadis, der auch dem BASF-Aufsichtsrat angehört, sagte: „Anlagen abbauen und Stellen streichen ist noch kein Konzept für eine erfolgreiche Zukunft des größten Chemieareals der Welt.“ Der Standort stehe vor seiner ganz eigenen Zeitenwende. „Und die gestalten wir nur mit mutigen Innovationen und Investitionen – nicht mit dem Kostenhammer“, erklärte Vassiliadis.
IGBCE-Chef Michael Vassiliadis
„Die Zeitenwende gestalten wir nur mit mutigen Innovationen und Investitionen – nicht mit dem Kostenhammer.“
Bild: dpa
BASF-Betriebsratschef Sinischa Horvat forderte in dem Zusammenhang, die Transformation des Standorts zu forcieren: „Wir müssen in Ludwigshafen mehr in grüne Energie, grünen Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft investieren.“
BASF bekam im vergangenen Jahr als größter industrieller Gasverbraucher in Deutschland die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe stark zu spüren. Die Energiekosten erhöhten sich um 3,2 Milliarden Euro, wovon nach Angaben des Unternehmens 1,7 Milliarden auf das Hauptwerk Ludwigshafen entfielen. Zudem hat sich das wirtschaftliche Umfeld für den Chemieriesen ab dem zweiten Halbjahr deutlich eingetrübt.
Für 2023 rechnet BASF daher mit einem weiteren deutlichen Rückgang des bereinigten operativen Gewinns (Ebit) auf 4,8 bis 5,4 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr war das Ergebnis bereits um 11,5 Prozent auf 6,9 Milliarden Euro gefallen. Der Umsatz dürfte auf 84 bis 87 Milliarden Euro sinken von zuletzt 87,3 Milliarden. Vor allem bei Basischemikalien und Kunststoffen sind die Margen stark unter Druck geraten.
„Wir laufen in eine sehr schwierige Zeit“, sagte Brudermüller auf der Bilanzpresskonferenz. Er wolle indessen den Vorstandsvorsitz im kommenden Jahr in ruhigerem Fahrwasser an seinen Nachfolger übergeben.
Die BASF-Aktie weitete angesichts des schwachen Ausblicks am Freitag ihre Verluste aus und notierte am Nachmittag rund 7,5 Prozent im Minus bei etwa 48,30 Euro.
Bereits im vergangenen Oktober hatte der Konzern angekündigt, an seinen europäischen Standorten die Kosten in Verwaltung, Service und Forschung um 500 Millionen Euro zu senken. Diese Maßnahmen wurden nun präzisiert. Hinzu kommen deutliche Einschnitte in der Produktion.
Neben einer von zwei Anlagen für Ammoniak will BASF auch Anlagen für die Produktion von Düngemitteln und den Kunststoff-Vorprodukten Caprolactam und TDI stilllegen. Darüber hinaus plant der Konzern, die Kapazitäten für eine Reihe weiterer Chemikalien zu reduzieren. Ludwigshafen bleibe der größte und am stärksten integrierte Standort der BASF. Er werde sich in Zukunft jedoch stärker auf die Versorgung des europäischen Marktes konzentrieren, erklärte Brudermüller.
Die Einschnitte sollen die Fixkosten um weitere 200 Millionen Euro senken und sind ungewohnt heftig und schmerzhaft für die BASF. Zusammen mit Maßnahmen, die in den Vorjahren bereits eingeleitet wurden, will der Konzern seine Kosten um rund eine Milliarde Euro reduzieren.
Vor allem die Aufgabe der relativ neuen TDI-Anlage ist dabei ein herber Rückschlag für den Chemiekonzern. Sie wurde erst 2018 in Betrieb genommen und war mit Investitionen von etwa 1,5 Milliarden Euro verbunden, inklusive zahlreicher Nachrüstungsarbeiten aufgrund technischer Probleme. Das Projekt erweist sich damit als eines der größten Fehlinvestments in der Geschichte des Konzerns.
Der Konzern begründet die Stilllegung mit einer unerwartet schwachen europäischen Nachfrage und den gestiegenen Energiekosten. Darüber hinaus dürften aber die technischen Probleme eine Rolle gespielt haben, mit der die Anlage immer wieder kämpfte. TDI ist ein Vorprodukt für den Kunststoff Polyurethan. BASF betreibt außerdem noch TDI-Anlagen in den USA, Südkorea und China. Der Konzern gilt auf dem Gebiet als weltweit zweitgrößter Anbieter nach der Leverkusener Covestro.
Arbeitnehmervertreter sehen die Schließung der TDI-Anlage auch im Zusammenhang mit vorangegangenen Sparmaßnahmen. Denn der Konzern hatte bei dem Projekt stark auf externe Zulieferer und weniger auf eigene Ingenieure gesetzt. Unter anderem darauf wird ein Großteil der technischen Probleme zurückgeführt. Das sei „ein unfassbares Versagen von Management und Folge des Sparens an der falschen Stelle“, heißt es in der Erklärung der IGBCE.
Insgesamt betreffen die Bereinigungen in der Produktion nach Angaben der BASF zehn Prozent des Wiederbeschaffungswertes der Anlagen in Ludwigshafen. BASF betreibt an ihrem Hauptstandort insgesamt rund 200 eng vernetzte Chemieanlagen und beschäftigt dort rund 39.000 seiner insgesamt 111.500 Mitarbeiter. Betriebsbedingte Kündigungen sind hier laut der laufenden Standortvereinbarung bis Ende 2025 ausgeschlossen.
Ungeachtet der Schließungen in Ludwigshafen und der eingetrübten Konjunkturaussichten setzt BASF auf globaler Ebene eine ambitionierte Investitionsstrategie fort. Für die kommenden fünf Jahre plant der Konzern Sachinvestitionen von 28,8 Milliarden Euro, gegenüber 25,6 Milliarden im vorigen Planungszeitraum 2022 bis 2026.
Vor allem durch den Bau des neuen großen Werks im chinesischen Zhanjiang wird dabei der Anteil der Investitionen in Asien nach BASF-Angaben auf 47 Prozent steigen, während auf Europa nur 36 Prozent und auf Nordamerika 15 Prozent des Investitionsbudgets entfallen.
Das Großprojekt in China wird angesichts der wachsenden politischen Spannungen zwischen den USA und China von Investoren und Analysten zunehmend mit Skepsis beurteilt und war auch im BASF-Vorstand zuletzt umstritten. Top-Managerin Saori Dubourg, die sich gegen die Investitionen ausgesprochen hatte, verlässt den Konzern Ende Februar.
>> Lesen Sie dazu: Wechsel im BASF-Vorstand: Saori Dubourg verlässt den Chemieriesen
In das Großprojekt in China will BASF in den nächsten Jahren jeweils rund zwei Milliarden Euro investieren. Brudermüller verteidigte das Projekt am Freitag abermals vehement. Angesichts des erwarteten weiteren Wachstums des riesigen chinesischen Chemiemarkts sehe man darin weiterhin mehr Chancen als Risiken.
„Es ist nicht so, dass wir hier vaterlandslos sind“, sagte Brudermüller. Aber wir sind weiter überzeugt, dass das vom Markt her das richtige ist.“ Ohne profitable Aktivitäten außerhalb Europas sei die Transformation in Ludwigshafen nicht zu bewältigen.
Viele Investoren und Analysten waren bereits auf rückläufige Erträge bei dem Chemiekonzern eingestellt. Analysten erwarten das bereinigte Ebit für 2023 im Schnitt bei 5,2 Milliarden Euro. Zudem fiel der Nettoverlust der BASF mit 627 Millionen Euro geringer aus, als der Konzern Ende Januar angekündigt hatte.
Damals war das Unternehmen aufgrund der milliardenschweren Abschreibungen auf die Tochter Wintershall Dea noch von einem Verlust von knapp 1,4 Milliarden Euro ausgegangen. Die Abschreibungen auf Wintershall sind indessen etwas geringer ausgefallen als zunächst erwartet. Die BASF-Tochter beklagt eine faktische Enteignung ihrer Beteiligungen in Russland und plant einen vollständigen Rückzug aus dem Land. 2021 hatte BASF noch rund 5,5 Milliarden Euro nach Steuern verdient.
Trotz des Nettoverlusts auf Konzernebene will BASF eine konstante Dividende von 3,40 Euro je Aktie ausschütten. Die Summe ist durch den relativ soliden Free Cashflow von 3,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gedeckt. Allerdings gibt es Sorgen bei Analysten und Investoren, dass der Konzern angesichts schwacher Geschäftsaussichten, hoher Investitionen und eines voraussichtlich deutlich rückläufigen Free Cashflows im laufenden Jahr zu einer Dividendenkürzung gezwungen sein könnte.
Die vorzeitige Beendigung eines Aktienrückkaufprogramms gab diesen Sorgen am Freitag zusätzliche Nahrung. In Kombination mit dem Verzicht auf eine Dividendenerhöhung und dem Hinweis des Managements, dass die künftige Ausschüttung vom jeweiligen Free Cashflow abhänge, setze dies „ein Fragezeichen hinter die Nachhaltigkeit der BASF-Dividende“, schreibt Markus Mayer von der Baader Bank.
Ähnlich sieht es Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Investment: „Die Unsicherheit bei der Dividende und stark steigende Investitionsaufwendungen belasten den Aktienkurs. Die gute Nachricht für die Aktionäre liegt darin, dass Herr Brudermüller die Zeichen der Zeit erkannt hat und den Standort Ludwigshafen rechtzeitig an die neuen Realitäten anpasst“, so Rautenberg.
Erstpublikation: 24.02.23, 06:57 Uhr (zuletzt aktualisiert am 24.02.23, 16:15 Uhr).
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