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24.03.2021

16:54

CO2-Ausstoß

Autoindustrie will Klimaziele hochschrauben – erwartet dafür aber eine Gegenleistung

Von: Martin Murphy, Daniel Delhaes, Hans-Peter Siebenhaar

Die Fahrzeugbauer galten lange Zeit als Blockierer des Klimawandels. Jetzt preschen BMW, Daimler und Co. bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes vor.

Um die Klimaziele zu erreichen, baut die Automobilindustrie ihr Angebot an Elektrofahrzeugen massiv aus. dpa

Neufahrzeuge des Typs ID.3 und ID.4 von Volkswagen

Um die Klimaziele zu erreichen, baut die Automobilindustrie ihr Angebot an Elektrofahrzeugen massiv aus.

Frankfurt, Berlin, Brüssel Es geht ein Ruck durch die Automobilindustrie, wie jüngst nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Autogipfel bemerken durfte. Auch bei einem Treffen der Spitzen der Automobilindustrie mit Vertretern der Europäischen Kommission klagten die Manager nicht etwa über strengere Umweltvorgaben, sondern zeigten sich sogar offen für neue Grenzwerte.

Auf einer gemeinsamen Sitzung am vergangenen Freitag hätten sich die Autobauer bereit erklärt, den Kohlendioxidausstoß ihrer in der EU verkauften Fahrzeuge deutlich zu reduzieren, erfuhr das Handelsblatt aus Teilnehmerkreisen. Über die gesamte Flotte soll dieser Wert bis zum Ende der Dekade demnach um die Hälfte gesenkt werden.

Bislang hatte die EU-Kommission eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von 37,5 Prozent im Vergleich zu 2020/21 verlangt. Die Branche hatte diese Vorgabe jahrelang immer wieder als zu hoch kritisiert – vergeblich. Allerdings hatten die Hersteller eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 50 Prozent bislang erfolgreich verhindert. Einen solchen Wert hatte etwa Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) gefordert und war dafür 2018 vom heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zurückgepfiffen worden.

Seit diesem Jahr müssen die Unternehmen Bußgelder zahlen, wenn die durchschnittliche CO2-Emission ihrer in der EU verkauften Autos über 95 Gramm pro Kilometer liegt. Die meisten Hersteller haben diese Vorgabe gerissen und mussten zahlen.

Bei der Sitzung waren die Chefs aller Autokonzerne aus Europa sowie EU-Klimakommissar Frans Timmermans zugeschaltet. Das bisherige Ziel von 37,5 Prozent sei zwar erst zwei Jahre alt, sagte BMW-Chef Oliver Zipse laut Teilnehmerkreisen. Er sprach dort in seiner Funktion als Präsident des europäischen Herstellerverbands ACEA. „Der Verband hat aber realisiert, dass es ambitionierte Ziele geben muss, um den Klimawandel zu stoppen.“ In einer Runde mit Kanzlerin Merkel am Dienstag zeigte sich die Branche ebenfalls offen für eine schnelle CO2-Reduktion. Bis 2050 müsse die Industrie klimaneutral sein, hieß es.

Mit ihrer Bereitschaft, die Emissionsziele für 2030 zu verschärfen, greift die Branche zwar einer anstehenden Entscheidung der EU-Kommission vor. Die Töne sind aber trotzdem neu. Bislang hatte der Industriezweig mit dem Verweis auf seine europaweit 2,7 Millionen Mitarbeiter jede Verschärfung der Umweltgesetze verhindern wollen. Er könne sich nicht erinnern, dass die Automobilbranche jemals eine Debatte über gesetzliche Regulierung so progressiv angegangen sei, sagte Zipse laut Teilnehmern.

Autobauer fordern Hilfe beim Aufbau der Ladeinfrastruktur

Die EU wird voraussichtlich im Juni ihre Pläne für strengere Emissionswerte vorstellen. Laut informierten Kreisen ist ebenjene Verschärfung auf 50 Prozent im Gespräch. In einer Stellungnahme betonte Timmermans am Mittwoch, dass der Transportsektor möglichst schnell seine CO2-Emissionen auf null senken müsse.

Dies ist Teil des „Green Deals“, mit dem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die europäische Industrie CO2-frei machen will. Zu konkreten Zielen machte Timmermans bei der Sitzung mit den Autochefs keine konkreten Angaben, wie ein Teilnehmer berichtete.

Um diese Ziele zu erreichen, baut die Automobilindustrie ihr Angebot an Elektrofahrzeugen massiv aus. Die neuen Zielwerte könnten nur über batterieelektrische Autos erreicht werden, sagte ein Vertreter der Branche. „De facto müsste bis 2030 der Anteil von Elektroautos an den Gesamtverkäufen auf 75 Prozent steigen.“ BMW, Daimler und vor allem Volkswagen rüsten ihr Portfolio derzeit um, um diese Maßgaben zu erfüllen.

Die neue Offenheit der Branche für einen Wandel ist aber nicht ohne Hintergedanken. Zipse und die anderen Vorstände machten in dem Gespräch mit Timmermans deutlich, dass sie Hilfe beim Aufbau der Ladeinfrastruktur bräuchten. Bislang ist diese nur unzureichend entwickelt. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen europaweit über drei Millionen E-Tankpunkte installiert werden, ein Drittel davon in Deutschland.

Die Zahlen sind zwar gewaltig, allerdings ist dies nicht ausreichend. In einigen EU-Regionen in Süd- und Osteuropa sind Ladestationen Mangelware. Binnenmarktkommissar Thierry Breton bezeichnete am Mittwoch in einer Videobotschaft für den Verband der Automobilindustrie (VDA) die Bereitschaft der Fahrzeugbauer als „ermutigend“. Er sprach sich für eine enge Zusammenarbeit aus.

Die EU ist offenbar auch bereit, das drängende Problem anzupacken. „Ohne die notwendige Infrastruktur werden wir die Verbrauchernachfrage nicht ausreichend stimulieren“, sagte Breton. Die Arbeitsteilung ist aus Sicht von ACEA-Präsident Zipse klar: „Wenn wir die Elektroautos liefern, dann müssen Sie für die nötige Infrastruktur sorgen“, sagte er laut Teilnehmern bei dem Treffen mit Timmermans.

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