Mit Daimler, BMW und Ford hat es die ersten getroffen: Die Coronakrise sorgt dafür, dass Ratingagenturen die Autokonzerne herabstufen. Es kann weiter abwärts gehen.
Einer der letzten Schichtwechsel bei BMW vor der Corona-Zwangspause
BMW-Mitarbeiter verlassen das Autowerk im bayerischen Dingolfing. Etwa 20.000 BMW-Beschäftigte sind von Kurzarbeit betroffen.
Bild: dpa
Düsseldorf, München, Frankfurt VW hat den Anfang gemacht, Daimler und BMW folgten kurz darauf: Die großen deutschen Autokonzerne haben vor Ostern an den Anleihemärkten Milliarden eingesammelt. Das Interesse bei den Investoren war groß. Bei allen Emissionen übertraf die Nachfrage der Anleger bei Weitem das Volumen, das die Konzerne anboten.
Doch die erfolgreichen Neuemissionen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für die Autohersteller in der Coronakrise ungemütlich wird. Sie kommen zwar noch an frisches Geld – doch zu deutlich höheren Kosten. Die durchschnittliche Rendite des „Bank of America Euro Autogroup Index“, des wichtigsten Anleiheindexes der europäischen Autobranche, ist zuletzt auf mehr als drei Prozent hochgeschnellt. Daimler, BMW und Ford sind von den Ratingagenturen bereits herabgestuft worden.
Anleihen der großen Autokonzerne galten bis vor Kurzem noch als sichere Papiere, nur wenig riskanter als Staatsanleihen. Das hat sich mit der Coronakrise geändert, sagt Paula Weißhuber, die bei der Bank of America das Geschäft mit der Emission von Unternehmensanleihen in Europa verantwortet: „Die Risikoaufschläge sind im historischen Vergleich sehr hoch.“
Dennoch hätten Unternehmen mit guter Bonität weiterhin einen starken Zugang zum Anleihemarkt, sagt Weißhuber. „Viele der Unternehmen, die seit Ende März aktiv waren, hatten das für den jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt geplant“, berichtet sie. „Die Firmen haben jedoch Finanzierungspläne vorgezogen, um die Liquidität vorsorglich zu stärken.“ Reserven, falls sich die Krise länger hinziehen sollte.
Die Liquiditätspuffer sind es vor allem, die die Ratingagenturen im Blick haben, bestätigt Falk Frey, Experte für den Automobilsektor bei Moody’s. „Die Autokonzerne haben sicherlich einen erheblichen Teil ihrer Cashreserven verbrannt, während die Fixkosten weiterlaufen“, sagt er mit Blick auf die Werkschließungen von Volkswagen, Daimler und Co. Allein beim VW-Konzern fallen in jeder Woche Fixkosten von zwei Milliarden Euro an. Dem stehen zumindest zeitweise kaum Einnahmen gegenüber.
Beispiel Volkswagen: Zwar sind in China 32 von 33 Konzernwerken wieder in Betrieb, dafür steht seit Ende März die Produktion in Europa und den USA. BMW hat nach dem Shutdown in China im ersten Quartal über zwanzig Prozent weniger Autos verkauft, im zweiten Quartal dürfte der Stillstand in Europa und den USA noch einmal einen deutlichen Einbruch bescheren. Allein für die deutsche Autoindustrie prognostiziert das Institute for Customer Insight der Universität St. Gallen für das Jahr 2020 eine Überkapazität von 25 Prozent verglichen mit den Werten von 2018. Bei dieser Auslastung schreibt die Branche hohe Verluste.
Allerdings bescheinigt Frey den großen europäischen Herstellern eine gute Ausgangsituation. „Im Vergleich zur Finanzkrise 2008 und 2009 sind sie besser mit Liquidität versorgt“, sagt er. Daher habe Moody’s die meisten Autokonzerne wegen der Coronakrise zunächst nur „unter Beobachtung“ gestellt. In der Nomenklatur der Ratingagenturen bedeutet das eine eingehende Prüfung der Unternehmensratings in den kommenden drei Monaten. „In den nächsten Wochen wird sich klären, ob es zu einer Erholung kommt und ob die Autoproduktion bald wieder anläuft“, betont Frey.
Sollte sich die Krise jedoch länger hinziehen, steige auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Autobauer herabgestuft werden. Besonders im Fokus stehen jene Hersteller, denen der Verlust ihrer guten Bonität, ihres sogenannten Investment-Grade-Ratings, drohen könnte.
Der VW-Konzern, der das höchste Anleihevolumen der drei großen deutschen Autohersteller ausstehen hat, wird von den Ratingagenturen mit „A-“ eingestuft. Damit ist der Wolfsburger Konzern noch vier Stufen vom „Junk“-Rating entfernt, bei dem sich viele Anleger von VW-Anleihen trennen würden. Eine schnelle Herabstufung um drei Stufen gilt jedoch als höchst unwahrscheinlich. Daimler und BMW gelten ebenfalls als sehr solide.
Anders sieht es bei ausländischen Herstellern aus: So ist die Opel-Mutter PSA ebenso wie Nissan nur noch eine Stufe vom „Junk“-Rating bei Moody’s entfernt. Fiat-Chrysler, Renault und Ford gelten bereits heute als spekulative Titel im „Junk“-Bereich. Analyst Frey warnt: „Kleinere oder schwächer eingestufte Autohersteller dürften anfälliger sei. Einige Nischenproduzenten könnten ohne zusätzliche Hilfen von Aktionären oder der Regierung zusammenbrechen.“
Der Verlust eines Investment-Grade-Ratings träfe die Autohersteller hart. Denn viele Investoren könnten dann gezwungen sein, die Wertpapiere zu verkaufen. Viele Profi-Anleger dürfen nur eine begrenzte Zahl oder gar keine spekulativen Anleihen halten. Ein neuer Ausverkauf ließe Renditen und Risikoaufschläge weiter steigen – in einer Zeit, in der die Lage ohnehin prekär ist.
Unter den drei großen deutschen Autoherstellern weist Daimler aktuell die schwächste Bilanz aus. Gefloppte Modelle, schleppende Produktionsanläufe und jede Menge Altlasten im Dieselskandal drückten die Umsatzrendite des Mercedes-Herstellers 2019 auf magere 2,5 Prozent. Schulden und Rückstellungen stiegen deutlich an, während Eigenkapital und Cashflow merklich schrumpften. Nach dem Ausbruch der Coronakrise reagierten die Finanzer des Konzerns postwendend.
Anfang April stockte Daimler seinen Liquiditätspuffer mit einem Kredit und einer Anleihe um satte 13,5 Milliarden Euro auf. Das ist einerseits ein starkes Signal, dass der Konzern trotz aller Probleme abseits von Kurzarbeit nicht auf direkte Staatshilfe angewiesen ist. Andererseits zeigen die Transaktionen klar: Auch für Daimler wird es zunehmend teurer, sich mit Fremdkapital einzudecken. Der fünfjährige Bond mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro, den der Konzern jüngst ausgab, ist mit 2,625 Prozent verzinst. Zum Vergleich: Im November 2019 begab Daimler noch drei Anleihen mit Zinssätzen zwischen 0,25 und 1,125 Prozent.
Ende März stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Stuttgarter von „A-“ auf „BBB+“ herab. Der Ausblick verharrt auf „negativ“. Die Folge: „Unser aktuelles Rating ist weiter gefährdet“, konstatiert ein Daimler-Manager mit Zahlenkenntnis. Jede Herabstufung kann Daimler viel Geld kosten. Der Konzern verwaltet schließlich ein Portfolio von rund 162 Milliarden Euro an Finanzverbindlichkeiten, mehr als die Hälfte davon entfällt auf Anleihen, ein Viertel auf Kredite.
Weil die Kosten für die Refinanzierung steigen, muss andernorts wohl stärker gespart werden. „Wir müssen bei den Ausgaben maximal auf die Bremse treten“, sagt eine Führungskraft. Ursprünglich geplante Investitionen würden nun vielfach „gestreckt, gekürzt oder gestoppt“.
Auch Volkswagen hat die durch die Coronakrise verschärften Bedingungen an den Finanzmärkten zu spüren bekommen. In der vergangenen Woche hat die Leasing- und Finanzsparte VWFS neue Anleihen für gut zwei Milliarden Euro auf den Markt gebracht. Für das VW-Papier mit einer Laufzeit von drei Jahren bekommen die Käufer eine Verzinsung von 2,5 Prozent. Im Sommer vergangenen Jahres gab es schon einmal eine ähnliche Anleihe von Volkswagen Financial Services. Damals gaben sich die Anleger noch mit einem bescheidenen Zinssatz von 0,5 Prozent zufrieden.
Der Wolfsburger Autokonzern stellt sich auf härtere Zeiten ein, was die eigene Refinanzierung in den nächsten Monaten betrifft. Im Moment profitiert Volkswagen noch vom sehr ordentlichen Geschäftsjahr 2019 und einem umfassenden Bestand an liquiden Mitteln. Zu Jahresbeginn stand eine Nettoliquidität von gut 21 Milliarden Euro in den Büchern. Das könnte reichen, um schwierige Monate überstehen zu können.
Allerdings läuft nicht mehr alles ganz so reibungslos wie noch vor wenigen Wochen. VW-Finanzvorstand Frank Witter hatte sich gewünscht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) kurz laufende „Commercial Paper“ nicht mehr nur von Banken, sondern auch von klassischen Industrieunternehmen wie Volkswagen aufkauft. Inzwischen hat die EZB angekündigt, dass genau das künftig passieren soll. „Davon erwarten wir positive Liquiditätseffekte am gesamten Markt“, heißt es dazu in Wolfsburg.
Während sich andere Autohersteller wie Daimler bereits zusätzliche Kreditlinien zusichern ließen, kann der Volkswagen-Konzern aktuell darauf verzichten. VW hatte schon viel früher einen Kreditrahmen von mehr als 20 Milliarden Euro mit wichtigen Geldhäusern vereinbart. Diese Kreditlinien stammen aus der Zeit der Dieselaffäre, als Volkswagen das letzte Mal in größerem Stil Liquiditätssicherung betreiben musste.
VW nennt keine konkrete Zahl, wie hoch der Refinanzierungsbedarf im Krisenjahr 2020 ist. Ein Sprecher sagte lediglich, dass „der Volkswagen-Konzern grundsätzlich mit einem Refinanzierungsbedarf von 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr“ kalkuliere. Wie aus der neuesten Konzernbilanz hervorgeht, hat der Wolfsburger Autohersteller allein im vergangenen Jahr Anleihen im Wert von fast 20 Milliarden Euro getilgt.
Auch ein Automobilzulieferer wie die fränkische Schaeffler-Gruppe versucht derzeit, sich ein ausreichendes Liquiditätspolster anzulegen. Konzernchef Klaus Rosenfeld sieht den Zulieferer vergleichsweise gut gerüstet: „Wir halten lange durch, wenn das notwendig ist.“ Der Wälzlagerspezialist habe eine gute Liquiditätssituation, mehr als zwei Milliarden Euro ungenutzte Kreditlinien und müsse in den nächsten 24 Monaten keine Kredite zurückzahlen.
Die gute Position der Franken geht auch auf glückliches Timing zurück. Vor einem Jahr gelang es Rosenfeld, erstmals Investment-Grade-Anleihen am Kapitalmarkt zu platzieren und damit kürzer laufende Bonds abzulösen. Die drei neu platzierten Tranchen über 750, 800 und 650 Millionen Euro sind zwischen 2022 und 2027 fällig, der Zinscoupon lag zwischen 1,125 und 2,875 Prozent. Mit dem Erlös von 2,2 Milliarden Euro konnte Schaeffler unter anderem drei Anleihen mit einem Volumen von 1,4 Milliarden Euro vorzeitig zurückzahlen.
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