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04.07.2018

06:07

„Das klingt sehr nach Schweigegeld“

In der Dieselaffäre trennte sich Audi von Managern – dabei flossen Millionen

Von: Sönke Iwersen, Volker Votsmeier

Die VW-Tochter hat sich in der Dieselaffäre von hochkarätigen Managern getrennt und ihnen Millionen gezahlt. Nun schweigen sie.

Abfindung für Top-Manager

Abgasskandal: Audi zahlt Millionen an verantwortliche Manager

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München, Düsseldorf Der Abschied klang herzlich. „Im Namen des gesamten Vorstands danke ich ihm für sein langjähriges Engagement und seine professionelle Leidenschaft“, huldigte Audi-Chef Rupert Stadler seinem Vorstandskollegen Ulrich Hackenberg am 3. Dezember 2015.

Und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Matthias Müller schwärmte: „Vor allem das System der modularen Baukästen ist untrennbar mit dem Namen von Ulrich Hackenberg verbunden. Heute profitiert der ganze Konzern davon.“

Warum dann die Trennung? 2015 war Hackenberg zwar schon 65 Jahre alt, sein Vertrag lief aber noch bis 2018. Einen Grund für seinen vorzeitigen Abgang nannte weder Stadler noch Müller. Was sie auch nicht erwähnten: Zum Zeitpunkt der freundlichen Verabschiedung war Hackenberg seit zehn Wochen beurlaubt.

Es lag am Diesel. Hackenberg war Vorstand für technische Entwicklung der Audi AG. Interne Unterlagen legen nahe: Er wusste schon 2007, dass Audis Dieselmotoren die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nicht einhielten. Und Hackenberg soll gewusst haben, wie sein Unternehmen damit umging: Audi ließ sich von Bosch eine Software programmieren. Diese manipulierte die Motoren aus Kostengründen so, dass sie bei Tests sauber liefen, auf der Straße aber nicht.

Bosch warnte seinen Geschäftspartner vor dem Einsatz der Schummelsoftware und bat im Juni 2008 um Haftungsfreistellung. Der größte Automobilzulieferer der Welt programmierte also eine Problemlösung, lieferte sie einem Kunden – und wollte dann nicht verantwortlich gemacht werden, falls dieser Kunde sein Problem wirklich löste, die illegale Abschalteinrichtung also einsetzte. Auch dieses Geschäftsgebaren von Bosch gehört zu den Erkenntnissen im Dieselskandal.

Audi jedenfalls wollte die Schummelsoftware nutzen, man hatte sie ja bezahlt. Mehr noch: Technik-Vorstand Hackenberg soll Martin Winterkorn „fortlaufend über die Abschalteinrichtung unterrichtet“ haben, wie es in den Unterlagen heißt. Winterkorn wurde 2002 Vorstandschef von Audi und stieg 2007 zum Konzernchef von VW auf. Er bestreitet bis heute jede Kenntnis von den Manipulationen, die den Konzern und seine Aktionäre Milliarden kosteten.

Winterkorn trat am 23. September 2015 zurück, Hackenberg wurde kurz danach beurlaubt. Offiziell schied Hackenberg im Dezember 2015 aus dem Audi-Vorstand aus. Seitdem musste er zwar nicht mehr arbeiten, Geld erhielt er aber weiter. Nach Informationen des Handelsblatts zahlte Audi Hackenbergs Vertrag komplett aus. Mehr als fünf Millionen Euro soll der Ex-Vorstand bekommen haben. Die letzte Rate soll im Juni geflossen sein.

Audi honorierte damit einen Mann, der bei der Staatsanwaltschaft München II zu den wichtigsten Beschuldigten gehört. Das scheint in Ingolstadt inzwischen so üblich.

Als Hackenberg ging, verpflichtete Audi als seinen Nachfolger Stefan Knirsch. Schon im September 2016 musste er wieder gehen, wenn auch nicht mit leeren Händen. Audi gab dem Topingenieur 3,8 Millionen Euro mit auf den Weg – für das „vorzeitige Ausscheiden aus dem Vorstand“, wie es im Geschäftsbericht hieß.

Gegen Knirsch laufen Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft vermutet Betrug und strafbare Werbung. Seit 2009 lieferte Audi in Europa und den USA mehr als 200.000 Autos aus, deren Dieselmotoren nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprachen. Auch Beschaffungsvorstand Bernd Martens gehört wegen des Verdachts auf Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zu den Beschuldigten – eine besondere Peinlichkeit im Konzern. Martens war bei Audi für die Aufklärung der Dieselaffäre zuständig.

Die Zahl der Beschuldigten in Ingolstadt liegt inzwischen bei 20, darunter die absolute Unternehmensspitze. So zapften Ermittler auch das Telefon des Vorstandsvorsitzenden Stadler an. Als sie hörten, was er über einen Mitarbeiter sagte, der zuvor bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt hatte, sahen die Beamten Handlungsbedarf.

Sie hatten Sorge, Stadler könnte Zeugen beeinflussen oder Dokumente verschwinden lassen. Fachbegriff: Verdunkelungsgefahr. Stadler kam in U-Haft. Audi beurlaubte ihn. Bezahlt wird er natürlich weiter.

Der Audi-Vorstand wurde zwei Jahre lang bezahlt, ohne zu arbeiten. Einberger für Handelsblatt

Ulrich Hackenberg

Der Audi-Vorstand wurde zwei Jahre lang bezahlt, ohne zu arbeiten.

Juristen stehen fassungslos vor dem, was sich beim einstigen Vorzeigeunternehmen abspielt. Audi manipulierte seine Motoren, um Zulassungsbehörden, Politik und Kunden zu täuschen. Als die Behörden nachfragten, stritt die Führung jedes Fehlverhalten ab. Riesige Schadensersatzklagen stehen an. „An sich müsste Audi alles tun, um die Verantwortlichen haftbar zu machen“, sagt ein Anwalt, der gegen VW klagt. „Aber das ist bis heute nicht passiert.“

Audi steckt in einer Zwickmühle. „Ein Unternehmen kann nicht behaupten, man habe nichts gewusst, und zeitgleich eigene Mitarbeiter in derselben Sache vor die Zivilgerichte zerren“, sagt Manuel Theisen, emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität München. „Momentan wäre ein solches Vorgehen extrem kontraproduktiv.“

Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. „Ein Vorstand muss den eigenen Stall sauber halten, also gegebenenfalls auch gegen seine Mitarbeiter klagen“, sagt Corporate-Governance-Experte Theisen. „Wenn er das nicht tut, müsste der Aufsichtsrat seinerseits gegen den Vorstand auf Schadensersatz klagen.“

Unmengen von Anwälten

Noch wagt dies keiner. Viele Mitarbeiter knirschen mit den Zähnen, wenn sie über die Millionenzahlungen an die Dieselverantwortlichen sprechen. „An Verträge muss man sich halten, das steht außer Frage“, sagt ein Sprecher des Audi-Gesamtbetriebsrats. „Trotzdem setzen sich die Arbeitnehmervertreter dafür ein, dass in diesen Fällen mögliche Schadensersatzansprüche fortlaufend geprüft werden. Und das passiert.“

So sind Unmengen von Anwälten im Haus. Kein Manager will ein Wort zu viel sagen. Gegenüber Journalisten beschränken sich Audi-Vertreter meist auf freundliche Zurückhaltung.

Die jüngste Anfrage des Handelsblatts beantwortete ein Sprecher so: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir wegen der laufenden Ermittlungen und aus Datenschutzgründen zu fast allen Ihrer Fragen nicht Stellung nehmen können. Was das Thema Schadensersatz angeht, so wird der Sachverhalt laufend durch den Aufsichtsrat geprüft. Eine Entscheidung dazu gibt es bisher nicht.“

Bis es so weit ist, wirken die Beschuldigten in der Dieselaffäre wie in Watte gepackt. Als Technik-Vorstand Hackenberg ging, soll sein Arbeitgeber ihm eine ganz besondere Klausel in seinen Aufhebungsvertrag geschrieben haben. Audi äußert sich dazu nicht. Doch Eingeweihte berichten, Audi und die Konzernmutter VW hätten sich verpflichtet, nach Abschluss der Ermittlungen für Hackenberg eine „umfassende Ehrenerklärung“ abzugeben.

Andere müssen sich mit Geld begnügen. Davon aber reichlich. Wolfgang Hatz kam 2001 zu Audi, wurde Leiter der Aggregateentwicklung und damit verantwortlich für die Dieselmotoren. Er galt als Vertrauter von Martin Winterkorn, der ihn 2007 mitnahm zur Konzernmutter Volkswagen. Im Februar 2011 wurde Hatz Vorstand für Forschung und Entwicklung bei Porsche.

Er hatte damit den kompletten Überblick über die Dieseltechnik im Konzern. Es dürfte nur wenige Manager geben, die bei Deutschlands größtem Fahrzeughersteller mehr wissen über diese Motoren – und über deren Manipulation.

Der Ex-Audi-Manager saß neun Monate in Untersuchungshaft. © argum / Thomas Einberger für Handelsblatt

Wolfgang Hatz

Der Ex-Audi-Manager saß neun Monate in Untersuchungshaft.

Im Frühjahr 2016 schloss Hatz einen Aufhebungsvertrag mit der Porsche AG, bei der er zuletzt wirkte. Der Vertrag brachte ihm mehr als zwölf Millionen Euro ein. Im September 2017 nahm man Hatz fest. In seinen Vernehmungen gab er sich zugeknöpft.

Seine Untersuchungshaft währte neun Monate – eine ungewöhnlich lange Dauer. Der dringende Tatverdacht gegen Hatz besteht weiter, aber im Juni 2018 durfte er das Gefängnis gegen eine Kaution von drei Millionen Euro verlassen. Das Geld hatte er ja.

Auch Audi geht es weiterhin gut, 2017 machte die VW-Tochter 3,5 Milliarden Euro Gewinn. Das Unternehmen ist stolz darauf, dass die Geschäfte so gut laufen – trotz Dieselkrise. Und gerät doch ein Insider ins Erzählen, zahlt die Führung halt nach.

Die Wahrheit ist zu riskant

Ulrich Weiß war Leiter der Dieselmotorenentwicklung, als ihn Audi im November 2015 freistellte. Mitte Februar 2017 wurde Weiß fristlos gekündigt. Er klagte gegen seinen Rauswurf und legte dem Arbeitsgericht Heilbronn Unterlagen vor, die den damaligen Audi-Chef Rupert Stadler schwer belasteten. Sechs Millionen Euro Abfindung soll Weiß in dem Streit gefordert haben. Im September 2017 einigte er sich mit Audi. Seitdem schweigt Weiß.

So hält es auch sein ehemaliger Mitarbeiter Giovanni Pamio. Lange Jahre als Botschafter der „sauberen Dieseltechnik“ im Konzern unterwegs, wurde Pamio 2017 in den USA mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Amerikanische Ermittler hatten Unterlagen gefunden, die ihn als einen der Erfinder der Dieselmanipulationen auswiesen. Außerdem soll Pamio schon 2013 argumentiert haben, Audi dürfe den US-Behörden nicht offenlegen, wie die Dieselmotoren wirklich funktionierten. Dies sei „zu riskant“.

Pamio kam schließlich in deutsche Untersuchungshaft. In der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim schrieb er die Historie der Dieselmanipulationen aus seiner Sicht auf und übergab diese Dokumentation der Staatsanwaltschaft. Seitdem ist Pamio praktisch Kronzeuge gegen Audi. Trotzdem konnte er sein Wissen beim Konzern ummünzen.

Audi: Wie Rupert Stadler die Welt jahrelang mit „dem saubersten Diesel der Welt“ narrte

Audi

Wie Rupert Stadler die Welt jahrelang mit „dem saubersten Diesel der Welt“ narrte

Fast zehn Jahre trickste Audi bei den Diesel-Abgaswerten. Dabei nutzte Vorstandschef Stadler nicht nur Gesetzeslücken. Die Chronik einer großen Täuschung.

Im Frühjahr 2018 sollte das Arbeitsgericht Heilbronn Pamios Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber verhandeln. Doch der Gerichtstermin fiel aus. Audi zahlte Pamio einen Millionenbetrag, damit er das, was er niederschrieb, nicht in einem öffentlichen Gerichtssaal wiederholte.

Pamios früherer Kollege Carsten Nagel wurde ebenfalls im Zuge des Dieselskandals geschasst. Auch für ihn gab es einen Termin am Arbeitsgericht, nun gibt es ihn nicht mehr. Eine Gerichtssprecherin: „Das Verfahren hat sich außergerichtlich erledigt.“

Ist all dies mit dem deutschen Rechtsstaat vereinbar? „Die Beträge, die man hier hört, sind schon erstaunlich“, sagt Hans-Martin Buhlmann, Vorsitzender der Vereinigung Institutioneller Privatanleger. „Das klingt doch sehr nach Schweigegeld.“

Juristen halten dagegen: Man kann niemanden zwingen, einen Prozess zu führen. Es mag verdächtig wirken, mit wie vielen Beschuldigten sich Audi verglich. Aber: „Außergerichtliche Einigungen sind oft im Sinne beider Parteien“, sagt Arbeitsrechtler Oliver Grimm von der Kanzlei Vangard. „Gerichtsverfahren dauern oft viele Monate, und viele Details kommen auf den Tisch. Daran haben beide Seiten meist kein Interesse.“

Dabei war die Aufklärung angeblich einmal das allererste Anliegen bei Audi. „Es wird konsequent aufgeklärt, das ist auch mein Antrieb“, sagte Vorstandschef Stadler im September 2016 in einem Interview. Die Frage, ob er sich in der Dieselaffäre persönlich Vorwürfe mache, beantwortete Stadler ausweichend: „Zunächst müssen alle Fakten auf den Tisch, dann werden sie bewertet.“

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