Es ist eine neue Welt für die etablierten Hersteller. Nicht nur bei Volkswagen, auch bei anderen Herstellern lag der Fokus lange darauf, leistungsfähige Motoren in möglichst schick designte Bleche zu hüllen. Die Integration von IT-Elementen geschah eher nebenbei. „Wir haben einfach neue System an die anderen geschraubt“, berichtet ein hochrangiger Entwickler von Mercedes dem Handelsblatt.
Auch bei VW ist das ein Problem. In seinen Premiumfahrzeugen baut der Konzern bislang bis zu 70 Steuergeräte ein, die mit Software von 200 Zuliefern laufen. „Wir wollen das radikal verschlanken, hin zu einer Architektur mit nur noch drei leistungsfähigen Rechnern im Fahrzeug“, sagt VW-Softwarechef Christian Senger.
Mit weniger Prozessoren verbraucht ein Fahrzeug weniger Strom. Gerade bei der Kombination aus Elektroantrieb und autonomem Fahren, wie es Tesla seit jeher praktiziert, ist das ein wichtiger Vorteil. Ein Entwickler berichtet, dass die Prozessoren für die autonome Steuereinheit eines Elektrofahrzeugs ein Drittel des Batteriestroms fressen könnten – wenn sie nicht verbessert würden. Die aktuelle Reichweite eines E-Autos von VW, BMW oder Daimler würde sich damit um rund 150 Kilometer verringern.
Mit der Software rückt das mechanische Produkt Auto in den Hintergrund. Stattdessen geht es um Anwendungsfreundlichkeit, Reaktionsschnelligkeit, Sparsamkeit und vor allem um eine Gesamtlösung für alle VW-Marken. Das kommt für den Konzern einer Revolution gleich. Audi oder Porsche führen bei VW ein starkes Eigenleben, die Autonomie wird vehement verteidigt. So war auch die Softwareentwicklung bei den Marken angesiedelt, als ein „Wettbewerb um die besten Lösungen“, wie es Senger sagt. Der Softwarechef der Marke VW weiß um die Nachteile der Dezentralität: Doppelentwicklungen, hohe Kosten.
Also baut der Konzern Volkswagen nun eine „einheitliche Architektur“ mit der neuen Einheit Car.Software.Org auf, die das Betriebssystem „vw.os“ erstellt. Senger hat große Pläne, er will die gut 5000 Softwareexperten von Volkswagen in den kommenden fünf Jahren mehr als verdoppeln. Der Anspruch: Bislang liefern VW-Mitarbeiter gerade einmal zehn Prozent der Software, die in einem Auto eingesetzt wird. Binnen fünf Jahren sollen daraus mehr als 60 Prozent werden.
Diess und sein Strategieteam träumen davon, dass Volkswagen eine einheitliche Software-Plattform für alle Konzernmodelle bekommen wird. Das sei zwar anfänglich mit hohem Entwicklungsaufwand verbunden, der in die Milliarden geht. Doch locken gewaltige Einspareffekte, wenn eine solche einheitliche Software-Plattform über Millionen von Autos verteilt werden kann.
Allein durch eine gemeinsame Entwicklung des Unterhaltungssystems an Bord könnte Volkswagen bis 2025 eine halbe Milliarde Euro einsparen. Und wenn es richtig gut läuft, kann Volkswagen das autogerechte Betriebssystem in einigen Jahren zusätzlich an andere Autohersteller verkaufen, so lauten zumindest die Gedankenspiele in Wolfsburg.
Doch das sind vorerst nur Pläne. „Wir dürfen nicht warten, bis alle organisatorischen Fragen bis ins Letzte geklärt werden, sondern müssen loslegen“, mahnte Diess bei seiner Berliner Brandrede an. Die von VW-Softwarevorstand Senger geführte Organisationseinheit müsse möglichst bald operativ tätig werden können.
Das Problem: Senger arbeitet für die Marke Volkswagen, doch die „Car.Software.Org“ soll sich nicht nur auf Wolfsburg beschränken, sondern auch IT- und Softwareexperten etwa von Audi und Porsche mit einbeziehen. Solche Veränderungen berühren sofort Mitspracherechte von Betriebsrat und Gewerkschaft.
Unternehmen und Betriebsrat sprechen seit Monaten über einen eigenen Tarifvertrag für die neue Softwareeinheit. Darin sollen betriebliche Standards festgelegt werden, die es bei anderen Konzerntöchtern schon gibt. Tarifeingruppierung, Überstunden-Regelungen, Ergebnisbeteiligung, Rückkehrrechte zu den alten Unternehmen – all diese Details müssen geregelt werden.
Die Arbeitnehmerseite pocht darauf, dass diese Fragen vorab geklärt sind – bevor die neue Softwareeinheit ihre Arbeit aufnimmt und bevor Audi- und Porsche-Mitarbeiter zur „Car.Software.Org“ wechseln. Noch im alten Jahr hatten sich die Betriebsratschefs Bernd Osterloh (Volkswagen), Peter Mosch (Audi) und Werner Weresch (Porsche) per Brief an die Mitarbeiter der neuen Einheit gewandt. Dem Handelsblatt liegt das Schreiben vor.
„Bei der Klärung aller offenen Fragen gefährden wir lieber eine Frist, als dass Beschäftigte sich überfahren fühlen“, schreiben die drei Betriebsratschefs. Der Prozess zur Gründung der neuen Softwareeinheit werde dadurch nicht gebremst. Das Veto der Betriebsräte sorge vielmehr dafür, dass vor allem motivierte und überzeugte Mitarbeiter in die IT-Tochter wechselten. „Damit garantieren wir den Erfolg des ganzen Projektes“, heißt es weiter in dem Brief. Tempo sei zwar wichtig. Noch wichtiger sei jedoch die Zustimmung aller Beteiligten.
Im Management von Volkswagen stößt diese Argumentation auf Widerspruch. „Christian Senger hat keinen Durchgriff auf seine Organisation“, kritisiert ein Wolfsburger Topmanager die jüngsten Entwicklungen bei der geplanten Softwareeinheit. Verzögerungen wie beim ID.3 ließen sich viel eher vermeiden, wenn die organisatorischen Fragen geklärt wären.
Wie einfach hat es dagegen Tesla. Gewerkschaften spielen im Konzern kaum eine Rolle, ebenso wenig wie Betriebsräte. Musk kann durchregieren. Bei öffentlichen Auftritten macht Diess keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Musk und dessen Lebenswerk.
Bei verschiedenen Treffen mit dem Tesla-Frontmann soll er ihm eine Kooperation vorgeschlagen haben. Abgesehen hatte Diess es dabei unter anderem auf die Batteriesteuerung, die den Energiehaushalt im Fahrzeug regelt. Doch Musk habe dem VW-Chef einen Korb gegeben, heißt es in Konzernkreisen.
In Vorstand und Aufsichtsrat wird Diess noch deutlicher. Am liebsten wolle er sich an Tesla beteiligen, heißt es in der VW- Führungsetage. Der Weg allerdings ist angesichts der hohen Bewertung von Tesla und dem niedrigen Aktienkurs von Volkswagen verbaut. Außerdem will Musk eine möglichst große Unabhängigkeit für seine Unternehmen. Keine faulen Kompromisse: Das ist schließlich das Rezept, das Tesla groß gemacht hat.
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