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Duell um die Zukunft

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Hipness bei Volkswagen

Aufgrund von Softwareproblemen sind Tausende Fahrzeuge fahruntüchtig. Volkswagen AG

Elektroauto ID.3

Aufgrund von Softwareproblemen sind Tausende Fahrzeuge fahruntüchtig.

Wissen Sie, warum die Lautstärkeregler im Unterhaltungsprogramm von Tesla bis elf und nicht wie sonst üblich bis zehn gehen? Es ist ein typischer Musk-Scherz, eine Referenz an den legendären Spielfilm „This is the Spinal Tap“, der 1984 als Pseudo-Dokumentation die fiktive Heavy-Metal-Rockband Spinal Tap auf einer Tournee begleitet. Dort preist der Gitarrist in einer Szene seine Verstärker an, die bis elf gehen: „Wir sind lauter als alle anderen.“

Kleine Späße wie diesen gibt es viele bei Tesla. Sie begeistern die Kunden, die sich dank ihres Autos besonders und avantgardistisch fühlen. Musk ist Ingenieur, Informatiker und Popkultur-Experte in einem. Er versteht es, einen Kult aufzubauen.
Beim biederen Hersteller VW ist das bislang kaum vorstellbar. Doch sprießen zarte Pflänzchen des Humors.

So heißt die hauseigene Software-Akademie „Fakultät 73“. Benannt nach der Lieblingszahl von Sheldon Cooper, dem Zahlen-Nerd aus der Fernsehserie „The Big Bang Theory“. Der liebt die 73 auch, weil sie im Binärsystem vorwärts wie rückwärts geschrieben 1001001 lautet.

Das kommt an bei Nerds und Softwareexperten. Und die braucht der Konzern mehr denn je. Volkswagen will Tausende von Softwareleuten einstellen. „Quasi jeder wird da genommen“, sagt ein Personaler. Volkswagen hat dazu sogar haushohe Plakate in Berlin platziert, um geeignetes Personal nach Wolfsburg zu locken.

Früh am Morgen seien einige Züge voll mit Leuten, die ihre Kapuze tief über das Gesicht gezogen hätten, hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil beobachtet. Der SPD-Politiker und VW-Aufsichtsrats pendelt regelmäßig über Wolfsburg zwischen der Hauptstadt und seinem Regierungssitz in Hannover.

Investoren werden zunehmend nervös, ob VW seinen Elektrofahrplan tatsächlich einhalten kann. Arndt Ellinghorst (Finanz- und Automobilexperte)

Wie wichtig Software für den Konzern ist, zeigte sich vor wenigen Tagen in Wolfsburg beim weltweiten VW-Händlertreffen. Eine ganz besondere Veranstaltung, die es zuletzt vor drei Jahren gegeben hatte. Bis Mitte März werden mehr als 17 000 Händler aus mehr als 50 Ländern in die Produktpipeline eingeweiht. 400 Menschen werden täglich über das Werksgelände geleitet.

Die Händler sollen vor allem mit den neuen Modellen vertraut gemacht werden, die in diesem Jahr erstmals in den Verkauf kommen. Dazu gehören an erster Stelle der neue Golf in der achten Generation und das erste rein batteriegetriebene Elektroauto aus der neuen ID-Produktfamilie, der ID.3.

Zu einem Vertriebstreffen gehören Testfahrten. Doch die lässt Volkswagen nur mit dem Golf 8 zu. Das neue Elektroauto ID.3 gibt es nur zum Ansehen und Anfassen. Jürgen Stackmann ist der Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen. Seine Erklärung: „Die Händler sollten ein Auto erst dann fahren, wenn es fertig ist.“

Tatsächlich herrscht bei Volkswagen Alarmstimmung. In sogenannten Bootcamps versuchen Experten, die Elektronik- und Softwareprobleme beim ID.3 in den Griff zu bekommen. Bis zum Frühjahr werden die ersten Elektroautos wahrscheinlich noch zu Tausenden ohne Software produziert. Bis auf Weiteres stehen die fabrikneuen ID.3 auf Parkplätzen. Dort müssen dann Zelte aufgebaut werden, in denen die Techniker die Software nachträglich und mit viel Aufwand aufspielen – sobald die neuen Programme endlich fertig sind.

Der Zeitdruck ist groß. Etwa 37.000 Bestellungen von Kunden sind bislang für die sogenannte „First Edition“ des ID.3 eingegangen. Darunter seien viele Kunden, die bislang keinen Volkswagen gekauft hätten. In seiner ersten Version kostet der ID.3 gut 30.000 Euro und ist damit noch etwas teurer als ein Golf Diesel.

Die Kunden mussten bei ihrer Bestellung eine Anzahlung von 1000 Euro hinterlegen. Das sorge dafür, dass die Erstauflage des Elektroneulings aus Zwickau nur an die Kunden gehe, die sich wirklich ernsthaft für das neue Auto interessierten, heißt es dazu aus Wolfsburg.

Allzu lange wird Volkswagen die Kunden des ID.3 allerdings nicht hinhalten können, auch wenn Wolfsburg sich nicht eindeutig festlegt, was das Versprechen einer Lieferung im „Sommer“ bedeutet. Die ersten 30.000 Exemplare müssen im Juni, Juli oder August an die Käufer gehen.

„Es wird ein heißer Ritt in diesem Jahr“, sagt ein Topmanager. „Unter Investoren registrieren wir eine zunehmende Nervosität, ob Volkswagen seinen Elektrofahrplan tatsächlich einhalten kann“, konstatiert Arndt Ellinghorst, bis vor Kurzem Automobilexperte beim Investmenthaus Evercore ISI in London.

In seiner Brandrede vor dem eigenen Topmanagement hat Diess ausdrücklich Bezug auf das neue Zwickauer Elektroauto genommen. „Der ID.3 muss auf die Straße. Dazu müssen wir die Herausforderungen im Anlauf bewältigen“, betonte der Konzernchef in Berlin. Diess war ziemlich verärgert, berichteten Teilnehmer im Anschluss an das Treffen.

„Er fand es unmöglich, dass beim ID.3 die Hütte brennt, und Hundertschaften an Entwicklern fahren Anfang Januar zur Computermesse CES nach Las Vegas“, so ein Manager. Das sei nicht das, was Diess unter Konzentration und Fokussierung auf die echten Probleme des Unternehmens verstehe.

Und dann auch noch das: Während VW mit dem ID.3 und seiner Software hadert, zieht Tesla quasi vor der Haustür von Volkswagen eine eigene Fabrik hoch. Das neue Werk in Brandenburg könnte die künftige Machtverteilung in der Autowelt kaum besser darstellen.

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