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31.01.2020

04:00

Duell um die Zukunft

Tesla gegen VW: Kann den Wolfsburgern die Aufholjagd noch gelingen?

Von: Sven Afhüppe, Alexander Demling, Thomas Jahn, Martin Murphy, Stefan Menzel

VW-Chef Herbert Diess will sein Unternehmen zu einem Digitalkonzern nach dem Vorbild von Tesla machen. Kann den Wolfsburgern die Aufholjagd noch gelingen?

Wer beherrscht die Zukunft des digitalen Autos besser? Smetek

Elon Musk (Tesla) und Herbert Diess (VW)

Wer beherrscht die Zukunft des digitalen Autos besser?

Das Treffen der obersten Führungskräfte von Volkswagen Anfang Januar hätte ein geselliges Beisammensein sein können. Personalvorstand Gunnar Killian lobte die 150-köpfige Mannschaft, eine Theatertruppe führte ein launiges Stück auf, und der Chef von Telefónica, María Álvarez-Pallete López, referierte über die Bedeutung von Daten für sein Geschäft. Die Veranstaltung im stillgelegten Gasometer im Berliner Stadtteil Schöneberg mäanderte zwischen Schulterklopfen und Routine – bis zum Auftritt von Herbert Diess.

Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen war gerade von Gesprächen mit Investoren und Analysten aus New York zurückgekehrt. Er hatte dort mächtig Druck bekommen. Für seine Strategie, Volkswagen zum führenden Hersteller von Elektroautos zu machen, erntete Diess bei den Kapitalvertretern zwar einigen Applaus. Aber sonst herrschte Unzufriedenheit.

„Denen in New York geht es nicht schnell genug“, sagt eine VW-Führungskraft. „Tesla. Immer wieder lobten die Analysten die Firma.“ Wenig hilfreich auch, dass die Aktie des Elektroautopioniers in diesen Tagen zum Höhenflug ansetzte – und VW in der Marktkapitalisierung sogar überholte.

Diess gab die Kritik der Anleger weiter und ging mit seinen Topleuten hart ins Gericht: „Was uns fehlt, das sind vor allem Schnelligkeit und der Mut zu kraftvollem, wenn es sein muss radikalem Umsteuern.“ Es war eine Brandrede. „Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei“, sagte er. Die Zukunft von VW liege im digitalen Technologiekonzern. „Und nur da.“ Das Vorbild sei: Tesla.

Der VW-Chef fürchtet um sein Milliardengeschäft. Bloomberg

Herbert Diess

Der VW-Chef fürchtet um sein Milliardengeschäft.

Die Botschaft war klar. VW ist trotz aller Anstrengungen, sich zu transformieren, immer noch in der Vergangenheit gefangen. Denken, Planen, Handeln drehen sich weiterhin um die Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren. Darin ist Volkswagen so erfolgreich wie kein anderes Unternehmen der Branche. Niemand sonst verkauft mehr Autos weltweit. Im vergangenen Jahr waren es knapp elf Millionen Fahrzeuge. VW ist die unumstrittene Nummer eins. Doch wie lange noch?

Tesla zeigte mit seinen jüngsten Geschäftszahlen eindrucksvoll, wie gefährlich es ist. Die Firma schrieb im abgelaufenen Quartal einen Gewinn, der Umsatz stieg 2019 auf rund 25 Milliarden Dollar – mehr als dreimal so viel wie vor drei Jahren. Die Aktie machte einen Freudensprung.

Die guten Tesla-Zahlen sind keine Überraschung für den VW-Chef. Er hält die Disruption im Autogeschäft für so gefährlich, dass er in der Rede vor seiner Mannschaft Volkswagen mit dem einst erfolgreichen Handy-Produzenten Nokia verglich. „Der Erfolg heute kann schon bald nichts mehr wert sein“, hat Diess kürzlich in kleiner Runde gesagt. „Die Anforderungen der Kunden an das Auto der Zukunft sind andere.“ Heute verdient VW noch rund 14 Milliarden Euro pro Jahr, doch das muss nicht so bleiben, sollten die Wolfsburger die Kundenwünsche nicht bedienen können.

Schon 2021 drohen Volkswagen aufgrund der EU-Auflagen zu den CO2-Emissionen Strafen von bis zu 4,5 Milliarden Euro, wie die Unternehmensberatung PA Consulting ausrechnete. Neue, vollelektrische Fahrzeuge sollen Abhilfe schaffen. Der ID.3 wird bereits im Werk Zwickau produziert. Aber fahrtüchtig ist er nicht – aufgrund von Softwareproblemen können Tausende von fertigen Fahrzeugen nicht ausgeliefert werden.

Ein empfindlicher Rückschlag, denn Software ist heute die Grundlage allen Wandels. Zugleich ist das Programmieren für VW immer noch ein wenig vertrautes Gewerk. Zwar beschäftigt VW ungefähr 5000 Softwareentwickler, während es bei Tesla nur rund 3000 sind. Aber die Zahlenstärke hilft wenig. Die Experten im großen VW-Reich verheddern sich, werkeln bei den VW-Marken Audi oder Porsche unkoordiniert vor sich hin. Doppelentwicklungen und hohe Kosten sind die Folge.

Der Tesla-Chef fordert erfolgreich die Autobranche heraus. AP

Elon Musk

Der Tesla-Chef fordert erfolgreich die Autobranche heraus.

Eine spartenübergreifende Organisation ist dringend nötig, doch die Betriebsräte von Audi, Porsche und VW bremsen die neue Einheit „Car-Software.org“. Dabei zählt jede Minute. „Tesla ist mit Innovationen deutlich schneller am Markt und sammelt wertvolle Erfahrungen“, warnt Alexander Wachtmeister, Partner und Automobilexperte bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG).

Diess‘ Vorbild und Konkurrent zugleich ist Elon Musk, Chef von Tesla. Der gebürtige Südafrikaner ist für seine Ungeduld bekannt. In seinem Reich im Silicon Valley kann er ganz anders agieren. Es herrschen flache Hierarchien. Schnelligkeit, Kreativität und Eigenverantwortung werden groß geschrieben.

Diese Firmenkultur bekommt derzeit Jörg Steinbach zu spüren. Der Wirtschaftsminister von Brandenburg betreut die Genehmigung und den Aufbau des ersten Tesla-Werks in Deutschland, spricht von „einer hohen Herausforderung“, staunt über das hohe Tempo und „diese unkonventionelle Denkweise“.

Musk und Diess pflegen eine gegenseitige Wertschätzung, obwohl oder gerade weil sie beide eher Einzelgänger sind. Beide tauschen sich regelmäßig aus. Musk ist angetan von den Elektroplänen der Wolfsburger, schon lange fordert er einen Wandel der Autobranche weg vom Verbrennungsmotor.

Diess ist vor allem beeindruckt von der Leistungsfähigkeit Teslas. Die ehemaligen Produktionsprobleme der Kalifornier sind gelöst, im Softwarebereich glänzt der Konkurrent. Tesla sah früh drahtlose Updates für die Autos vor – wie beim iPhone. Mit einem Unterschied: Tesla verlangt Geld dafür. Auch gelingt dem US-Konzern mit Software eine bessere Steuerung des Energieflusses in den Batterien. „Tesla ist uns bei der Software voraus“, warnte Volkswagen-Betriebsratschef Bernd Osterloh vor wenigen Tagen.

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Kein Wunder eigentlich, denn schließlich ist die Software, die das Auto steuert, für den bislang ersten und einzigen Autokonzern aus dem Silicon Valley von Anfang an Teil des Kerngeschäfts. Hier verlässt sich Tesla nicht auf Zulieferer, sondern setzt auf eigenes Know-how und hohe Fertigungstiefe.

Für Volkswagen bestand dieses Herzstück des Autos lange im Verbrennungsmotor und im dazugehörigen Antriebsstrang. Komponenten, die in Elektroautos ganz wegfallen oder zumindest unwichtiger werden. Nun muss Volkswagen lernen, stattdessen die Informationstechnologie als neue Kernkompetenz zu begreifen, die man sich nicht einfach zuliefern lassen kann.

Diess sieht nicht nur die Softwareexpertise des kalifornischen Konkurrenten, sondern auch die wachsenden Verkaufserfolge. Weltweit hat Tesla mittlerweile mehr als 800.000 elektrisch angetriebene Fahrzeuge verkauft. Wer in der deutschen Autobranche gehofft hatte, Tesla könnte an den Problemen mit der Serienproduktion der eigenen Autos kollabieren, wird nun eines Besseren belehrt. „Daran wird Tesla nicht scheitern“, hat Musk seinen Mitarbeitern prophezeit – und recht behalten.

Das Problem für VW: Mit jedem verkauften Auto wächst nicht nur die Bekanntheit und Popularität der Tesla-Modelle. Tesla ist zudem in der Lage, mehr und mehr Daten und Informationen zu sammeln, die für die Entwicklung autonom fahrender Fahrzeuge relevant sind. Immer mit dem Internet verbunden, generiert ein Auto dann Daten und damit jene harte Währung, an der die Firmen des Silicon Valley ihr Geschäftsmodell ausrichten.

Es bahnt sich ein Wettrennen an, ein neuartiges Duell um die Vorherrschaft im Automobilsektor. Volkswagens wichtigster Gegner heißt dabei nicht mehr Toyota und erst recht nicht General Motors. Sondern Tesla. Die Frage, die über den Ausgang des Kampfes entscheidet und damit auch über die Zukunft der deutschen Automobilbranche: Bekommt der Volkswagen seine Softwareprobleme schneller in den Griff, als Tesla seine Verkaufszahlen hochfahren kann?

PS für Pferdeanhänger

Nach Diess‘ Brandrede beobachteten die engsten Vertrauten des VW-Chefs sorgfältig die Reaktionen. In der Öffentlichkeit, in der Belegschaft, im Betriebsrat, im Aufsichtsrat, bei Investoren. Man hat genauso interessiert die Rede von Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh verfolgt wie die Reaktion von Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil.

„Die Rede ist typisch für Diess – Management per Provokation“, sagte ein Manager, der in Berlin im Gasometer mit dabei war. Ihn habe der Auftritt des Chefs nicht geschockt: „Es ist doch klar, dass sich etwas ändern muss, und zwar schnell.“ Es gibt aber auch die anderen, die die sich nun Sorgen machen. „Am Tag selbst und im Nachgang wurde intensiv über seine Worte diskutiert“, sagte eine andere Führungskraft. Einige Manager hätten nun durchaus die Angst, dass sie nicht mithalten könnten.

Diess spricht von Besitzstandswahrern und fordert eine neues Denken, prangert die überkommenen „Denkmäler des Alltags“ an. Keine Frage: Bei 670.000 Mitarbeitern und 83 Jahren Konzerngeschichte sind „Denkmäler des Alltags“ an allen Ecken und Enden des Konzerns zu finden. VW selbst wirkt wie ein Denkmal seiner selbst.

Der Erfolg heute kann schon bald nichts mehr wert sein. Herbert Diess (VW-Chef)

Wie schwerfällig der Kulturwandel bei Volkswagen läuft, zeigt sich am Beispiel Dienstwagen. So hatte VW-Chef Diess im Vorstand angeregt, dass auch die Fahrzeuge der Topmanager die CO2-Flottenziele des Konzerns einhalten sollten. „Wir sind Vorbilder, für uns kann es keine Sonderregeln geben“, lautete sein Argument. Die Rückmeldungen auf Diess‘ Vorstoß sollen verhalten bis ablehnend gewesen sein. Ein Manager soll darauf verwiesen haben, dass er ein PS-starkes Fahrzeug für den Transport eines Pferdeanhängers bräuchte.

Als Konsequenz arbeitet der Konzern nach Informationen des Handelsblatts nun an einer Regelung, die eine höhere Zuzahlung für einen Dienstwagen vorsieht, wenn dieser die CO2-Flottenziele von Volkswagen übersteigt. Diess, der privat unter anderem einen Ferrari fährt, nutzt als Dienstwagen einen e-Up in Wolfsburg und einen Golf GTI in München.

Weit schwerwiegender als die überkommenen Dienstwagen-Praktiken wirkt sich die Schwäche im Softwarebereich aus. Der Konzern ist in der Frage, wie das Internet ins Auto kommt, nicht wirklich handlungsfähig. Die Fähigkeiten der allermeisten VW-Programmierer bestehen darin, die verschiedenen IT-Komponenten von Zulieferern zu einem funktionierenden Softwaresystem umzuprogrammieren. Die Expertise, vernetzte Komponenten fürs Automobil der Zukunft selbst zu entwickeln, ist kaum vorhanden.

Das Missverhältnis zeigt sich bei Patenten und Innovationen. Dort führt Volkswagen regelmäßig die Rankings an, wie zuletzt bei einer Studie des Center of Automotive Managements. Danach kam der Konzern mit 462 fahrzeugtechnischen Innovationen in den Jahren 2016 bis 2019 auf Platz eins.

Herbert Diess tut mehr als jeder andere große Autohersteller für die Elektrifizierung. Elon Musk (Tesla-Chef)

Tesla landet mit 50 auf Platz vier, kein schlechtes Ergebnis für die vergleichsweise kleine kalifornische Firma. Aber Tesla forscht zudem effizienter und zielgerichteter. Von den 462 Erfindungen war bei VW nur rund jede siebte eine Weltneuheit, während es bei Tesla fast jede zweite war. „Die deutschen Automobilhersteller sind führend in vielen Technologiefeldern, insbesondere bei Bedien- und Anzeigekonzepten, Connectivity und Fahrer‧assistenzsystemen sowie bei Plug-in-Hybriden“, heißt es in der Studie. „Defizite bestehen dagegen im Bereich der reinen Elektromobilität.“

VW schwört Besserung. Bereits in den vergangenen Jahren hat der Konzern den Softwarebereich massiv ausgebaut. Aber die absoluten Zahlen der IT-Entwickler führen in die Irre, wenn am Ende nicht die richtigen Produkte herauskommen. Einige Programmierer von Tesla hat VW mittlerweile abwerben können. Ein wichtiges Signal, dass VW ein attraktiver Arbeitgeber für die begehrten IT-Experten ist.

Und es gibt weitere Maßnahmen: Vor wenigen Wochen übernahm Volkswagen den IT-Spezialisten Diconium in Stuttgart. Zusammen mit Amazon baut der Konzern seit Frühjahr 2019 eine Volkswagen Industrial Cloud auf, in der künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen Fabriken des Volkswagen-Konzerns zusammengeführt werden. Mit Microsoft arbeiten die Wolfsburger an einer Automotive Cloud sowie an vernetzten Fahrzeug-Diensten.

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