Die Tesla-Gigafactory bei Berlin ist eine Kampfansage an die deutsche Autoindustrie. Was Tesla in Grünheide plant – und was noch fehlt.
Elon Musk in Grünheide
Die Produktion des Model Y ist gestartet.
Bild: via REUTERS
Grünheide Selbst dem so toughen Tesla-Chef Elon Musk war die Erleichterung bei der Eröffnung der deutschen Gigafactory anzumerken. „Danke an Brandenburg, Grünheide und Deutschland“, sagte Musk auf Deutsch und übergab am Dienstag die ersten 30 Fahrzeuge an ihre neuen Besitzer. Musk war dafür extra aus Texas eingeflogen.
Denn der Start der Produktion in Grünheide eröffnet auch Tesla ganz neue Möglichkeiten. Künftig muss das Model Y nicht mehr aus China oder den USA nach Europa importiert werden, sondern kann in Grünheide lokal gefertigt werden. Nicht umsonst ist die Eröffnung politisch so hochrangig besetzt wie ein Staatsbesuch.
Kanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und diverse andere Minister des Bundeslandes, alle kamen sie nach Grünheide zur Eröffnung der Tesla-Fabrik. „Es ist ein Zeichen für Deutschland“, sagte Scholz.
Berlin und Brandenburg geht es um Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Für die deutsche Autoindustrie geht es um mehr. Mitten im Autoland Deutschland startet nun ein Werk, das Maßstäbe setzen soll. „In Grünheide entsteht ein neues Autozentrum in Deutschland“, sagt Branchenveteran Peter Mertens, früher Entwicklungschef von Audi.
Und Musk wäre nicht Musk, wenn er die Eröffnung nicht für sich nutzen würde. Es sollen Bilder entstehen, die beweisen, dass Tesla längst in der Liga der großen Konzerne angekommen ist. Für ein Unternehmen, das auf eine eigene Marketingabteilung verzichtet, ist das essenziell. „Wenn das erste Auto vom Band rollt, ist das eine Öffentlichkeitsshow“, sagt Heiko Weber, Partner in der Branchenberatung Berylls.
Doch die große Bewährungsprobe für Grünheide steht noch bevor. In den nächsten Wochen und Monaten muss Tesla die Produktion hochfahren. Erst dann zeigt sich, ob die Maschinen unter Belastung zuverlässig laufen, die Handgriffe der Mitarbeiter sitzen und die Lieferteile korrekt verbaut werden.
Nur mit Grünheide kann Musk sein vor wenigen Wochen selbst gestecktes Auslieferungsziel in diesem Jahr erreichen: 1,4 Millionen Fahrzeuge. Die Vorgaben für die Fabrik sind spektakulär. Alle 45 Sekunden soll ein Model Y produziert werden, deutsche Hersteller brauchen laut Berylls-Berater Weber 70 bis 90 Sekunden. „Für Elon Musk ist das eine Mission, im Kernland des Autobaus zu zeigen, wie man es macht“, sagt Clemens Schmitz-Justen von der Branchenberatung CSJ Schmitz Justen.
Experten gehen davon aus, dass es mindestens drei, wenn nicht sechs Monate dauern wird, bis Grünheide auf Hochtouren produzieren kann. „Beim Hochfahren einer Fabrik gilt Murphys Gesetz: Irgendwann geht alles schief, was nur schiefgehen kann“, sagt Schmitz-Justen, der früher die Produktion von BMW in den USA leitete. „Darüber redet keiner gern, aber ich habe es zu oft erlebt. Man kommt jeden Morgen ins Büro, und immer wieder gibt es eine neue Katastrophe.“
Und Tesla hat für die Produktion des Model Y in Grünheide einiges gewagt. Anders als in Schanghai soll die Gigafactory einen höheren Automatisierungsgrad haben. Auch bei der Produktion der Karosserie setzt Tesla auf eine Technologie, die so in der Autoindustrie außergewöhnlich ist.
Palettenweise stapeln sich die Aluminiumbarren in der Fabrikhalle. Dahinter sind zwei Maschinen, so groß wie ein Haus: Im regelmäßigen Takt spucken sie Gussteile aus. 700 Grad heißes Aluminium wird in die Druckgussmaschinen gespritzt, die das Metall dann mit 6100 Tonnen Druck formen.
Die zwei Gigapressen des italienischen Lieferanten Idra formen auf diese Weise das hintere Heck und den Unterboden des Model Y. Gewicht: rund 80 Kilogramm. In Zukunft soll auch das Vorderteil des Model Y so hergestellt werden. Es sind zwei weitere Gigapressen in Bau, insgesamt sollen es acht werden.
Während andere Hersteller das Hinterteil aus 70 Metallteilen zusammenschweißen, giesst Tesla sie aus einem Stück. Der Vorteil: weniger Nahtstellen, weniger Arbeitsschritte. Der Nachteil: Bei einem Unfall ist die Reparatur teurer, das ganze Stück muss ersetzt werden.
Die Gigapresse ist nur ein Beispiel für die Maxime von Tesla: die Produktion möglichst verkürzen und automatisieren, um eine höhere Produktionsgeschwindigkeit zu erzielen. „Die hohe Automatisierung hat Tesla vor einigen Jahren fast das Genick gebrochen“, sagt Ex-Audi-Entwicklungschef Mertens. „Jetzt zahlt sie sich aus, der Anlauf wird schneller gehen.“
Das ist auch nötig: Denn die Nachfrage ist bei Tesla aktuell deutlich höher als die Kapazität. Kunden müssen derzeit bis zu zehn Monate auf ihren Tesla warten. Auch zwei Preiserhöhungen in den vergangenen Wochen um bis zu zehn Prozent schrecken die Interessenten anscheinend wenig.
Proteste vor der Gigafactory in Grünheide
Umweltschützer hatten bis zuletzt den hohen Wasserverbrauch des Werks kritisiert.
Bild: Reuters
Schon optisch fällt die Gigafactory aus dem Rahmen. Die Endmontage ist komplett in Weiß gehalten von den Decken aus Stahlstreben, über den Betonboden bis zu den zahlreichen Pfeilern des Fabrikgebäudes. Noch vor wenigen Monaten stand hier nichts, jetzt bauen 1000 Arbeiter in der Endmontage an sieben Fertigungslinien mit insgesamt 300 Stationen das Model Y zusammen.
In einer Reihe sind es die Sitze, dann die Armaturen. Profis wissen, wie tückisch das Zusammensetzen ist. Denn selbst wenn die Maschinen optimal eingestellt sind und die Mitarbeiter gut ausgebildet sind, gibt es anfangs immer kleine Unstimmigkeiten.
So muss jedes neue Werkzeug durch fünf oder sechs Qualitätsschleifen gehen, damit beispielsweise Innenarmaturen bis auf den Millimeter genau gespritzt werden. „Die Türinnenverkleidung, das Armaturenbrett und die A-Säulen-Verkleidung sind ein Bermuda-Dreieck des Autos“, erinnert sich Schmitz-Justen an seine langjährige Produktionserfahrung.
Das Ergebnis ist bei vielen Fabriken, die hochfahren, das gleiche: die ersten Fahrzeuge haben meist Qualitätsprobleme. „Halb im Scherz: Wenn ich die Wahl hätte, würde ich kein Auto kaufen, das in den ersten sechs Monaten produziert wurde“, sagt Berylls-Berater Weber.
Derzeit sind viele Flächen in der neuen Gigafactory von Tesla noch leer. Das zeugt von einer Zwei-Produktionslinien-Strategie: Tesla baut aktuell nur Fließbänder mit einer Kapazität von bis zu 250.000 Fahrzeugen pro Jahr auf, im Fachjargon „Kammlinie“ genannt. Dort wird die Produktion beim Hochfahren perfektioniert, um das Gelernte dann in einer zweiten Linie zu spiegeln. Erst dann könnte die Gigafactory die geplanten 500.000 Autos pro Jahr bauen.
In Grünheide ist ein Drei-Schicht-Modell geplant, trotz der hohen Nachtzuschläge in Deutschland. Doch schon die Auslastungsquote bis auf 88 oder gar 90 Prozent zu steigern gilt als kleines Kunststück. Jeder Arbeitsschritt muss durchgegangen und verbessert werden. „Die Produktion steigt in einer Sättigungskurve an“, sagt Schmitz-Justen. „Die letzten Autos sind die Mühsamsten.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (3)