Der radikale Schwenk zur Elektromobilität verstört die Konkurrenten. BMW und Daimler wollen den Verbrenner retten. Der Lobbyverband VDA gerät zwischen die Fronten.
Elektromotorenfertigung bei Bosch
Deutlich weniger Komponenten als für einen Verbrennungsmotor.
Bild: Bosch
Berlin, Frankfurt, München, Düsseldorf Wenn Harald Krüger am Mittwochmorgen die Jahresbilanz von BMW präsentiert, dann ist er schon auf dem Sprung. In Berlin wartet auf den BMW-Chef ein Treffen mit seinen Kollegen aus Wolfsburg und Stuttgart.
Gemeinsam mit Verbandspräsident Bernhard Mattes wollen Krüger, Daimler-Chef Dieter Zetsche und VW-Boss Herbert Diess die Zukunft der deutschen Autoindustrie klären. Es ist ein eilig einberufenes Treffen, heißt es aus Kreisen der Autohersteller. Es gebe „akuten Redebedarf“ zwischen den Herren.
Anders ausgedrückt: Es herrscht dicke Luft in der deutschen Autoindustrie. Der Grund: Ein 23-seitiges Konzeptpapier aus dem Hause Volkswagen, das dem Handelsblatt vorliegt. Darin fordert Diess einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie steuerliche Vorteile für Stromautos. An sich teilen seine Kollegen von BMW und Daimler diese Pläne.
Allerdings will Diess zugleich die milliardenschweren Steuervorteile für den Diesel eindampfen. Damit gefährdet Diess das Geschäftsmodell seiner süddeutschen Kollegen, die mit ihren tendenziell größeren Autos noch lange auf Benzin und Verbrennungsmotoren angewiesen sind. Auch zahlreiche Zulieferer fühlen sich von Volkswagen vor den Kopf gestoßen.
„Es ist ein radikalerer Ansatz, als ihn BMW und Daimler gehen“, heißt es selbstbewusst aus dem VW-Konzern. Schon ist von einer „Lex Volkswagen“ die Rede. Volkswagen, so heißt es aus dem Kreis der süddeutschen Konkurrenten, wolle eine maßgeschneiderte Subventionspolitik zulasten der übrigen Branche.
Es ist eine Zeitenwende. Deutschlands Autokonzerne sind zwar erbitterte Wettbewerber um jedes verkaufte Fahrzeug. Wenn es aber um das Entwickeln gemeinsamer Interessen ging, standen Daimler, BMW und Volkswagen stets auf derselben Seite. Gegenüber der Politik und den Behörden herrschte Einigkeit, vertreten durch den mächtigen Branchenverband VDA.
Mit ihrer Geschlossenheit konnte die Industrie ihre Interessen durchsetzen, der Einfluss der Autoindustrie durchtränkte Parteien und Verwaltungen – so weit, dass es dem Staat bisweilen schwer fiel, öffentliche Anliegen wie die Luftreinhaltung wirkungsvoll zu vertreten, wie Kritiker stets bemängelten.
Doch mit der Einstimmigkeit ist es vorbei. Und auch der VDA kann die divergierenden Interessen kaum noch austarieren. Zwar dementierte Volkswagen Zeitungsberichte vom Wochenende, nach denen das mit Abstand größte Mitglied den Verband verlassen könnte. Dennoch verlangt der Volkswagen-Konzern mit seinen zwölf Marken (unter anderem Skoda, Audi, Porsche, Scania, MAN, VW) einen neuen Auftritt der Branche.
Statt am Verbrenner festzuhalten und die milliardenschweren Steuervergünstigungen für den Diesel zu verteidigen, sollen alle Förderungen radikal auf die Elektromobilität umgeleitet werden, lautet die Forderung aus Wolfsburg. Nachdem VW selbst in den vergangenen Wochen einen radikalen Schwenk zur Elektromobilität beschlossen hat, sollen nun die Rahmenbedingungen angepasst werden.
Ganz neu ist das Ansinnen nicht. Bereits Ende 2017 hatte Diess‘ Vorgänger Matthias Müller im Handelsblatt-Interview eine Abkehr von den Dieselsubventionen zugunsten der Elektromobilität gefordert und sich schon damals den Zorn der Branche zugezogen.
Seitdem hat sich aus Sicht der Wolfsburger die Notwendigkeit zum Antriebswechsel aber eher noch verstärkt. Wegen der neuen Klimaziele der EU geht VW davon aus, dass 2030 rund vierzig Prozent der Neuwagenflotte einen Elektromotor haben müssen. Und auch in Deutschland wächst der Druck auf die Bundesregierung, die Kohlendioxid-Emissionen im Verkehrssektor drastisch zu senken.
Volkswagen legt sich auf Elektroautos fest. Das verunsichert die Zulieferer: Für Bosch, ZF und andere geht es um Milliardeninvestitionen und Jobs.
Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte „Plattform Zukunft der Mobilität“ geht davon aus, dass die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 bis 42 Prozent gesenkt werden müssen, damit Deutschland die Pariser Klimaziele einhalten kann. Dafür müssten 2030 sieben bis zehn Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren und der Anteil der Elektroautos an den Neuzulassungen bei 75 Prozent liegen. Ein weiter Weg: Im Januar 2019 lag der Wert bei 1,7 Prozent.
Mit seiner E-Offensive will VW-Chef Herbert Diess das Unternehmen aus der Defensive holen. Seit Jahren kämpfen die Wolfsburger mit dem Makel des Abgasbetrugs, der den Konzern viel Vertrauen und bislang 28 Milliarden Euro an Strafen gekostet hat. Der rasche Wechsel auf Elektroantriebe ist für VW-Chef Diess daher nur folgerichtig. Die Kosten für den Schwenk bezifferte er zuletzt auf 30 Milliarden Euro, die der Konzern für die Entwic
lung der neuen Modelle und die Umstellung der Produktion veranschlagt. Erst vergangene Woche hatte Diess die Latte noch einmal höher gelegt. Statt 15 Millionen Stromautos will VW bis 2030 rund 22 Millionen Elektrofahrzeuge auf der Straße haben. Den Anfang macht Ende dieses Jahres die I.-D.-Familie mit einem Auto in der Größe eines VW Golf.
Es ist eine Investition mit hohem Risiko. Die bisherige Bilanz ist ernüchternd, selbst der Elektropionier Tesla schiebt Milliardenverluste durch die Bilanz. Bislang weiß niemand, wie viele Elektroautos von den Kunden gekauft werden. Von dem Ziel, in Deutschland rund eine Million Elektroautos bis 2020 auf die Straßen zu bekommen, hat sich die Bundesregierung längst verabschiedet.
Diese Unsicherheit lastet auf VW. Schon kleinste Abweichungen summieren sich bei einem jährlichen Verkauf von elf Millionen Autos schnell auf Milliardenbeträge, die verloren gehen könnten. VW könne das Geld nur einmal ausgeben, daher müssten die Investitionen geschickt eingesetzt werden, sagt ein Manager.
Nach eigener Einschätzung steht der von Diess geführte Konzern vorne bei der Entwicklung und der Vermarktung von Elektroautos. Aber alleine kann selbst der Weltmarktführer diesen Weg nicht beschreiten. Denn der Schwenk weg vom Verbrenner kann nur gelingen, wenn die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird und die Förderung stimmt.
Je mehr Firmen Elektrofahrzeuge in den Markt drücken, desto schneller wird dessen Aufbau gehen, meinen Branchenexperten. „Die Fokussierung von Diess auf eine ganzheitliche Betrachtung weltweit verdient Respekt“, sagt Autoprofessor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM). „Der VW-Chef erhöht damit den Druck auf alle, nicht nur auf die Zulieferer, sondern auch auf die Regulatorik, Politik und Infrastruktur.“
Aber auch Bratzel sieht die Nachteile einer zu raschen Transformation. „Das verschärft die Auswirkungen auf die Beschäftigung.“ Tatsächlich will alleine die Marke VW in den kommenden Jahren mehr als 20.000 Stellen abbauen.
Doch Daimler und BMW geht die reine Fokussierung auf Elektroantriebe zu weit. Vor allem die BMW-Manager haben viel Lehrgeld bei dem Versuch bezahlt, Elektroautos im Schnellgang einzuführen. So erfreut sich der 2013 eingeführte „i3“ zwar weiter steigender Absatzzahlen, doch im Vergleich zu den großen BMW-SUVs mit ihren mächtigen Dieselmotoren ist der Stromer ein Nischenprodukt, das seine Entwicklungskosten in Höhe von drei Milliarden Euro niemals wieder einspielen wird.
Deshalb pochen die Münchener auf eine „technologieoffene“ Förderpolitik, die auch Hybride, den Diesel sowie synthetisch erzeugte Kraftstoffe miteinbezieht. Das von VW geforderte abrupte Ende der Dieselsubventionen wäre für BMW und Daimler fatal, da in Europa immer noch mehr als die Hälfte der Neuzulassungen mit Selbstzünder fahren.
Vor allem die großen Geländewagen und Limousinen dürften noch auf Jahre vornehmlich mit Dieselmotoren unterwegs sein. Die beiden Premiumhersteller investieren Milliarden in die Weiterentwicklung dieser Motoren. Denn ohne den relativ verbrauchsfreundlichen Dieselmotor sind die Klimaziele für Daimler und BMW mit ihren Oberklassemodellen nicht zu erreichen.
Viel Arbeit für VDA-Präsident Bernhard Mattes, der am Mittwoch eine Kompromisslinie zwischen Krüger, Zetsche und Diess finden muss. Der oberste Lobbyist genießt in der Branche überschaubaren Rückhalt. Zu unscheinbar und zu blass sei sein Auftreten, heißt es aus verschiedenen Mitgliedsfirmen. Die Lobbyarbeit werde immer mehr von den Unternehmen selbst übernommen.
Damit wird auch die Frage nach dem Sinn des Verbands aufgeworfen. Auch wenn VW weder schriftlich noch mündlich einen Rückzug angedroht haben soll, so steht doch dieses Risiko im Raum.
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