Linde-Aufsichtsratschef Reitzle will mit der nun bewilligten Praxair-Fusion sein Lebenswerk krönen. Doch damit ist bei Linde längst noch nicht alles geregelt.
US-Behörden genehmigen Fusion
Linde und Praxair wären nach einem Zusammenschluss der größte Industriegase-Konzern der Welt mit 80.000 Mitarbeitern und 24 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Bild: dpa
München Nach mehr als zwei aufreibenden Jahren ist Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle am Ziel: Die US-Wettbewerbsbehörde FTC hat Linde und Praxair unter Auflagen grünes Licht für die Fusion zum weltgrößten Industriegase-Konzern erteilt. Auch die EU-Kommission genehmigte den Zusammenschluss.
Die Bescheide kamen auf den letzten Drücker: Bis zum 24. Oktober mussten alle Kartellgenehmigungen vorliegen, andernfalls wäre der Zusammenschluss erneut gescheitert.
Der neue Konzern soll Linde plc heißen. Sitz der Holding ist Dublin, doch operativ soll das Unternehmen von Praxair-Chef Steve Angel aus den USA heraus geführt werden. Arbeitnehmervertreter sehen in dem Zusammenschluss auch deshalb eine heimliche Übernahme durch die US-Amerikaner.
Am Montag tagte nach Informationen des Handelsblatts bereits zum ersten Mal das Board der neuen Linde plc in London. Die Unternehmen gehen davon aus, dass die neue Linde im Dax bleiben wird. Mit einer Marktkapitalisierung von rechnerisch derzeit rund 90 Milliarden US-Dollar gehöre man sogar zu den Top-Werten im deutschen Leitindex.
Beide Aktien haben in den vergangenen Monaten angesichts der Pläne stark zugelegt. „Die Fusion von Linde und Praxair ist ein überzeugender und zukunftsweisender Zusammenschluss, mit dem sich einzigartige Möglichkeiten für unsere Kunden, Aktionäre und Mitarbeiter eröffnen“, sagte Reitzle. Er wertet es als Erfolg, dass ein globaler Spieler mit Sitz in Europa geschaffen wird.
Bis zu den versprochenen Kartellverkäufen müssen Linde und Praxair auf Forderung der US-Kartellbehörde FTC ihre Geschäfte getrennt voneinander führen. Das Tauschangebot der neuen Linde plc an die Linde-Aktionäre soll bis zum 31. Oktober vollzogen werden.
Die Fusion sei ein „langer und mühsamer Prozess“ gewesen, heißt es in Industriekreisen. Das Gasegeschäft sei aber sehr stabil, und beide Unternehmen hätten trotz des Fusionsprozesses operative Fortschritte gemacht.
Auf Druck der Wettbewerbshüter verkaufte Linde fast sein komplettes Gasegeschäft in den USA an den deutschen Konkurrenten Messer, Praxair wiederum die meisten Europa-Aktivitäten an die japanische Taiyo Nippon Sanso.
Reitzle will mit der Fusion sein Lebenswerk bei Linde krönen. Er hatte aus dem behäbigen Mischkonzern in seiner Zeit als Vorstandschef einen reinen Gasespezialisten gemacht und den Börsenwert von vier auf 28 Milliarden Euro gesteigert.
Im Umfeld wird aber betont, dass die schwierigste Arbeit für Reitzle erst noch bevorsteht: die Integration. Viele der Großfusionen in der Wirtschaftsgeschichte haben keinen Mehrwert geschaffen oder Kapital vernichtet.
„Die kulturellen Unterschiede zwischen Linde und Praxair sind schon groß“, sagte ein Insider. Allerdings passten die Geschäfte gut zusammen. Reitzle müsse als designierter Verwaltungsratschef darauf achten, dass einerseits die versprochenen Synergien von gut einer Milliarde Dollar geborgen werden, andererseits aber die Interessen der deutschen Seite nicht zu kurz kommen.
Reitzle steht dabei unter besonderer Beobachtung. Die Fusion ist sein Projekt, das er gegen alle Widerstände durchgesetzt hat. Bis heute sind einige bei Linde davon überzeugt, dass der Traditionskonzern auch allein die Zukunft gut hätte meistern können.
Weil das operative Geschäft in den USA gesteuert werden soll, sehen vor allem die Arbeitnehmervertreter die Fusion kritisch. „Dieser Zusammenschluss rechnet sich nicht – weder für die Aktionäre, noch für die Beschäftigten, noch für den Industriestandort Deutschland“, erklärte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Chemiegewerkschaft IG BCE, in Hannover.
Auch die IG Metall sieht durch die Fusion „deutlich mehr“ Arbeitsplätze gefährdet als bislang angenommen, nannte aber keine Zahlen. Linde beschäftigt nach Gewerkschaftsangaben in Deutschland etwa 7000 Menschen. „Die ökonomische Sinnhaftigkeit dieser Transaktion ist zweifelhaft, Ertrag und Kosten stehen in keinem Verhältnis“, kritisierten IG Metall-Chef Jörg Hofmann und Vassiliadis.
Immerhin war es in den vergangenen Quartalen gelungen, in vielen Bereichen das Profitabilitätsniveau von Praxair zu erreichen. Industriegase wie Stickstoff, Sauerstoff und Edelgase werden in vielen Branchen bei der Produktion eingesetzt. Die Margen sind in dem oligopolistisch geprägten Markt hoch. Doch die Zeit hoher Wachstumsraten ist vorbei.
Das erhöht den Konsolidierungsdruck. Der Linde-Rivale Air Liquide hatte mit der Übernahme von Airgas vorgelegt. Mit der Praxair-Fusion will Reitzle nun die Weltmarktführung zurückerobern und sich für schwierigere Zeiten solide aufstellen. Es entsteht ein Konzern mit rechnerisch 27 Milliarden Dollar Umsatz.
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