Seit den Lockerungen der Coronamaßnahmen sind die Infektionszahlen wieder gestiegen. Grund für die Knappheit ist aber vor allem das Aussteigen eines Herstellers aus dem Markt.
Produktion in Ulm
Ratiopharm ist neben Bene der einzige verbliebene Hersteller für den deutschen Markt.
Frankfurt Fieber- und schmerzstillende Säfte für Kinder sind in vielen Apotheken kaum zu bekommen. Waren zunächst die flüssigen Zubereitungen mit dem Wirkstoff Paracetamol betroffen, sind mittlerweile auch die Säfte mit dem Wirkstoff Ibuprofen knapp.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) erwartet erst im Herbst eine Besserung. Der Hauptproduzent Ratiopharm hingegen kann derzeit keine verlässliche Prognose geben. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Produktion der Fiebersäfte auszubauen und den steigenden Bedarf zu decken“, sagt Andreas Burkhardt, General Manager Teva Deutschland und Österreich. Seit der Übernahme durch Teva ist der Ulmer Hersteller Ratiopharm Teil des weltgrößten Generikakonzerns aus Israel.
Lieferengpässe kommen in Deutschland immer wieder vor, im Januar etwa sorgte die Knappheit des Krebsmedikaments Tamoxifen für große Sorgen bei Patientinnen und Ärzten. Im Unterschied zu damals, als ein Präparat knapp war, für das es keine Alternative gab, geht es bei den Säften für Kinder um eine bestimmte Darreichungsform. In anderen Zubereitungen wie Zäpfchen und Tabletten sind Paracetamol und Ibuprofen verfügbar.
Gerade Kinder brauchen aber oft besondere Darreichungsformen und Wirkstärken, da sie oft nicht die Tabletten für Erwachsene schlucken dürfen oder können. „Ein solcher Lieferengpass ist deshalb eine ganz besonders große Herausforderung für Apotheken und Eltern“, heißt es bei der Deutschen Apothekenvereinigung ABDA. Laut Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels gibt es grundsätzlich noch ein gewisses Angebot an fiebersenkenden Säften für Kinder, allerdings nicht genug für den derzeitigen Bedarf.
Seit Wochen verschärft eine Welle an Atemwegserkrankungen die Situation. Seit dem Auslaufen der Covid-19-Schutzmaßnahmen ist nicht nur die Zahl der Corona-Infektionen gestiegen, auch andere Atemwegserkrankungen, verursacht durch Grippe- oder Rhino-Viren, treten laut Robert Koch-Institut verstärkt auf.
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Der Engpass bei den Fiebersäften geht aber auf eine Marktentwicklung zurück, die bereits Wochen vor der aktuellen Erkrankungswelle entstanden ist. Im Frühjahr gab der zur Novartis-Tochter Sandoz gehörende Generikahersteller 1a Pharma bekannt, sich ab Mai aus Wirtschaftlichkeitsgründen aus der Produktion von paracetamolhaltigen Säften für Kinder zurückzuziehen. Den Saft hatte das Unternehmen ausschließlich in Deutschland angeboten, wie Sandoz dem Handelsblatt bestätigte.
Ab Mai also musste der Hersteller Teva/Ratiopharm als letzter verbliebener Hauptanbieter im Markt die Hauptlast der Versorgung mit paracetamolhaltigen Säften für Kinder übernehmen.
„Eine dramatische Marktverengung“ nennt der Branchenverband Pro Generika die Situation. Vor zwölf Jahren hatte es noch elf Anbieter flüssiger Paracetamol-Zubereitungen gegeben. Heute bestreitet neben Hauptanbieter Teva/Ratiopharm noch Hersteller Bene einen kleinen Teil des Marktes.
Dass sich die Anbieter aus dem Markt zurückgezogen haben, liegt laut Pro-Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer am Festbetrag: Seit zehn Jahren auf demselben Niveau, führe er dazu, dass der Hersteller gerade mal 1,36 Euro pro Flasche erhalte. Die innerhalb dieser Zeit gestiegenen Preise für Energie, Logistik und Wirkstoffe konnten nicht weitergegeben werden.
Der Festbetrag eines Arzneimittels ist der maximale Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen für dieses Arzneimittel bezahlen. Festbeträge wurden erstmals im Jahr 1989 für Arzneimittel und Hilfsmittel eingeführt, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu begrenzen. Ist der Verkaufspreis eines Medikaments höher als der Festbetrag, tragen gesetzlich versicherte Patienten in der Regel die Differenz zum Festbetrag selbst oder erhalten ein anderes, therapeutisch gleichwertiges Arzneimittel ohne Zuzahlung.
Gleichbleibende Festbeträge bei steigenden Wirkstoff- und Produktionspreisen führen zu einem Verlustgeschäft bei der Produktion von Arzneimitteln. „Für Unternehmen ist das kein attraktives Modell und auf Dauer nicht zu stemmen“, sagt Teva-Deutschlandchef Burkhardt. Das aktuelle Beispiel der Paracetamol-Säfte zeige, wie Preissysteme, die sich kontinuierlich nach unten entwickeln, die Marktverengung vorantreiben.
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Teva wolle trotz der geringen Marge die Versorgung mit dem Medikament sicherstellen und den Markt beliefern, so Burkhardt. Als globaler Konzern habe Teva die Möglichkeit, dabei entstehende Defizite auszugleichen.
Sollte Hersteller Bene wie bisher seinen Paracetamol-Saft zu einem über dem Festbetrag liegenden Preis anbieten, so geht Ratiopharm davon aus, künftig 90 Prozent des Marktes versorgen zu müssen. Bis zu dem Rückzug von 1a-Pharma waren es rund 60 Prozent. „Wir produzieren bereits doppelt so viel Paracetamol-Fiebersaft wie vor einem Jahr“, heißt es aus Ulm. „Aber der Bedarf ist noch höher.“
Genau deshalb schwenken Ärzte und Eltern seit einigen Wochen auf die Fiebersäfte mit dem Wirkstoff Ibuprofen um, bei dem es zeitweise ebenfalls zu Engpässen kam. Hier hat Hauptanbieter Zentiva laut Branchenangaben seine Produktion mittlerweile deutlich ausgebaut.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht den Engpass bei den ibuprofenhaltigen Darreichungsformen für Kinder inzwischen als weitestgehend behoben an. Mittlerweile stellen auch viele Apotheker selbst fieber- und schmerzstillende Säfte als Rezeptur her. Zudem kann auch auf fiebersenkende Zäpfchen ausgewichen werden.
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