PremiumIndustriell hergestellte Medikamente wirken bei jedem Menschen anders. Ein Start-up will darum gezielte Therapien mit maßgeschneiderten Medikamenten entwickeln.
Tabletten aus dem Drucker
Die dünnen mit Wirkstoff bedruckten Plättchen links wurden im 2D-Druck-Verfahren hergestellt, die bunten Pillen im 3D-Druck.
Bild: Dihesys
Frankfurt Einmal am Tag eine Tablette exakt in der individuell benötigten Dosis – so könnte eines Tages der Medikamentenplan jedes Patienten aussehen, wenn es nach den Gründern des Start-ups Dihesys geht. Das 2018 gegründete Unternehmen will mit digital gedruckten Medikamenten die Arzneimitteltherapie verbessern. „Personalisierte Tabletten ermöglichen eine gezieltere Therapie mit weniger Nebenwirkungen. Denn sie sind auf den Patienten maßgeschneidert und jederzeit in Dosis und Wirkstoffzusammensetzung änderbar“, sagt Dihesys-Mitgründer Christian Franken.
Der 52-Jährige kennt die Probleme heutiger Medikamententherapien. Der studierte Pharmazeut hat als Krankenhausapotheker gearbeitet, war jahrelang Chefapotheker des Medikamentenversenders Doc Morris. Er weiß, dass die industriell hergestellten Medikamente bei jedem Menschen anders wirken und die verfügbare Dosis auch nicht immer den exakten Bedarf des Patienten trifft. „Schätzungen gehen davon aus, dass 60 Prozent der verordneten Medikamente nicht den erwünschten medizinischen Nutzen bringen“, sagt er.
Hinzu kommt das Problem der Multimedikation: Laut Daten des „Arzneimittelkompass 2022“ ist in Deutschland etwa jeder siebte gesetzlich versicherte Patient von mindestens drei chronischen Erkrankungen betroffen und nimmt dauerhaft fünf oder mehr Medikamente ein. Das kann zu negativen Wechselwirkungen der Mittel führen.
Viele Tabletten werden darüber hinaus falsch oder gar nicht eingenommen. Etwa 500.000 Krankenhauseinweisungen und rund 50.000 Todesfälle jährlich werden Branchenschätzungen zufolge auf eine inadäquate Arzneimitteltherapie zurückgeführt.
Digital gedruckte personalisierte Tabletten sollen diese Probleme lösen helfen. Aktuell kann Dihesys 2D-Tabletten drucken. Das sind dünne Plättchen, die an Esspapier oder kleine Oblaten erinnern. Auf diese können derzeit je nach Dosierung bis maximal vier Wirkstoffe aufgetragen werden.
Bei 3D-Tabletten setzt das Start-up auf das sogenannte Filamentverfahren, bei denen die Wirkstoffe in Polymere eingebaut werden. Erste Pilotprodukte in diesem Segment will Dihesys in etwa einem Jahr entwickelt haben.
Dihesys ist die Abkürzung für Digital Health System. Alle drei Gründer bringen langjährige Berufserfahrung in der Pharma- und Gesundheitsbranche mit. Gerald Huber, 56, hat in Pharmazeutischer Technologie promoviert, bei Firmen wie Roche und Boehringer gearbeitet, bevor er lange Jahre Geschäftsführer bei Ratiopharm (später Teva) war. Er hat verschiedene Digital-Health-Start-ups mitgegründet und ist heute größter Anteilseigner bei Dihesys.
Chemiker und Betriebswirt Markus Dachtler, 50, hat unter anderem beim Nestlé-Konzern und Ratiopharm gearbeitet. 2015 kaufte er von Ratiopharm Genplus, ein Unternehmen, das Forschungs- und Entwicklungsdienstleitungen für Pharmaunternehmen anbietet. Genplus mit Sitz in München liefert heute die Wirkstoff-Tinten für Dihesys. Dachtler ist neben Franken Co-CEO von Dihesys.
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Der Drucker von Dihesys wurde am Unternehmensstandort in Schwäbisch Gmünd entwickelt. Bei der Konstruktion unterstützt der Verpackungsmaschinenhersteller Harro Höflinger, der auch an Dihesys beteiligt ist.
Den Gründern ist wichtig, nicht als Druckerlieferant wahrgenommen zu werden. „Wir liefern ein System aus Hard- und Software und Wirkstoff. Ein System für personalisierte Therapien“, betont Franken.
Markus Dachtler, Christian Franken, Gerald Huber (von links)
Alle drei Dihesys-Gründer bringen langjährige Berufserfahrung in der Pharma- und Gesundheitsbranche mit.
Bild: Dihesys
Insgesamt 27 Wirkstoffe sind derzeit in der Formulierungsentwicklung, um sie druckbar zu machen. „Wir werden aktiv, wenn Mediziner auf uns zukommen, weil sie Bedarf an einem bestimmten Medikament haben“, sagt Huber.
Interesse kommt aus vielen Bereichen: von Kardiologen, die schnell wirkende Blutdrucksenker suchen, von Kinderärzten, die Tabletten mit niedriger Dosierung für die kleinen Patienten brauchen, aber auch von Neurologen, Transplantationsmedizinern und Onkologen.
In den USA beliefert Dihesys einen großen Gesundheitsanbieter, auch mit den Entwicklungsabteilungen großer und kleiner Pharmaunternehmen kooperiert man. Namen dürfen wegen Geheimhaltungsvereinbarungen nicht genannt werden. An Unikliniken laufen auch einige Projekte: In Heidelberg etwa wird der Einsatz von gedruckten Tabletten bei Kindern untersucht.
Flexdose-Drucker von Dihesys
Das Gerät kann Tabletten sowohl im 2D- und 3D-Verfahren drucken.
Bild: Dihesys
An der Uniklinik Düsseldorf will Kardiologe Ralf Westenfeld das Dihesys-System nutzen, um Menschen mit einem transplantierten Herzen bei der Medikamentengabe besser einstellen zu können. „Transplantationspatienten müssen eine Kombination aus mehreren Arzneimitteln nehmen. Dabei ist es sehr wichtig, dass jeder die richtige Dosis erhält“, sagt der Mediziner. Studien belegen, dass bis zu 20 Prozent der transplantierten Organe verloren gehen, weil Patienten die Tabletten vergessen oder falsch einnehmen. „Für sie ist es viel einfacher, wenn man alles in einem Streifen oder einer Kapsel hat“, so Westenfeld.
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Dihesys hat für seine Geschäftsidee bereits zahlreiche Start-up-Preise und Auszeichnungen gewonnen. Zwar ist die Idee, Tabletten zu drucken, nicht neu. Aber die Umsetzung ist anspruchsvoll. 2015 wurde in den USA erstmals eine im Pulverdruck hergestellte Tablette zugelassen, seitdem aber keine weitere. In Deutschland arbeitet der Pharmakonzern Merck in seiner Life-Science-Sparte unter anderem an einer Weiterentwicklung der Polymere für 3D-Druckverfahren, die er seinen Pharmakunden zur Verfügung stellen will.
„Viele Institute und Unternehmen arbeiten an Druckverfahren für Medikamente“, sagt Huber. Dihesys sieht sich in Deutschland im Wettbewerb vorn, weil man parallel 2D- und 3D-Druck in demselben Drucker anbiete. Auch der Rechtsrahmen ist abgeklärt: Die Aktivitäten des Unternehmens sind durch den Status des Rezepturarzneimittels abgedeckt. Der besagt, dass Apotheker eine bestimmte Menge Arzneimittel selbst herstellen dürfen, ohne dass dafür eine Herstellungserlaubnis oder Arzneimittelzulassung benötigt wird.
Aktuell kostet eine im 2D-Verfahren von Dihesys gedruckte Tablette je nach Formulierung von unter einem bis zu mehreren Euro je Stück. Das ist ein Vielfaches im Vergleich zu industriell hergestellten Pillen, die pro Stück schon für wenige Cent zu haben sind. Diesen direkten Vergleich findet Apotheker Franken nicht fair. „Wenn man die Verbesserung von Therapie und Lebensqualität der Patienten, die höhere Therapietreue und nicht zuletzt die Vermeidung von Pharmamüll mit einbeziehen würde, sähe die Rechnung ganz anders aus“, sagt er.
Bisher hat Dihesys etwas mehr als zehn Millionen Euro Kapital eingesammelt. Den Break-even will das Unternehmen mit seinen derzeit 27 Mitarbeitern laut Huber Mitte bis Ende 2025 erreichen. Wahrscheinlich braucht das Unternehmen bis dahin auch noch eine weitere Finanzierungsrunde. „Wir wären auch offen für neue Investoren, insbesondere wenn es einen strategischen Investor gäbe, der das Digitalisierungsthema besonders attraktiv findet“, sagt Huber.
Denn in Zukunft will Dihesys Teil eines digital vernetzten Ökosystems um den Patienten sein, in dem der Drucker in der Apotheke mit den Daten der digitalen Verordnung des Arztes gefüttert wird. Und der bei Patienten die Wirkung des ausgedruckten individualisierten Medikaments mit Sensoren und tragbaren digitalen Helfern überwacht.
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