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01.12.2022

17:50

Handelsblatt Industrie-Gipfel 2022

„Die Handelsbarriere ist da“ – Deutsche Industrie fürchtet um Marktzugang in den USA

Von: Isabelle Wermke, Kevin Knitterscheidt

PremiumDas Anti-Inflationsprogramm der USA stellt die Unternehmen vor neue Schwierigkeiten. Manager fordern eine europäische Antwort auf den Subventionswettlauf.

„Die Handelsbarriere ist da – und die Amerikaner werden von unserer Reaktion überhaupt nicht beeindruckt sein“, erklärt Rolf Najork.

Kirsten Ludowig im Gespräch mit Bosch-Manager Rolf Najork beim Industrie-Gipfel 2022

„Die Handelsbarriere ist da – und die Amerikaner werden von unserer Reaktion überhaupt nicht beeindruckt sein“, erklärt Rolf Najork.

Duisburg Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Handelskonflikte mit China und die Energiekrise setzen die Industrie zunehmend unter Druck. Die Unternehmen fordern eine europäische Antwort auf die multiplen Krisen. „Wir müssen von dieser Verhinderungsdebatte runterkommen – und wieder in technischen Chancen denken“, sagte Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork am Donnerstag beim Handelsblatt Industrie-Gipfel in Duisburg.

Zu den Schwierigkeiten für die deutsche Industrie kommt seit August auch das Anti-Inflationsprogramm der US-Regierung. Der „Inflation Reduction Act“ (IRA) soll Unternehmen milliardenschwere Subventionen und Steuervorteile in den USA garantieren – das könnte zum Nachteil für europäische Konkurrenten werden.

Der klimapolitische Teil des Programms sieht Investitionshilfen, Steuergutschriften und Abschreibungen im Gesamtumfang von 386 Milliarden Dollar vor. Sie sollen unter anderem in den Ausbau erneuerbarer Energien, eine wettbewerbsfähige E-Auto- und Batterieproduktion und in die Wasserstoffindustrie fließen.

Bosch-Manager Najork warnt vor Subventionswettlauf

Vor allem die sogenannten Lokalisierungsvorschriften in dem Paket sorgen für Spannungen. Denn die Auszahlung der US-Subventionen ist in vielen Fällen an eine Auflage geknüpft, die betroffenen Produkte ganz oder teilweise in den USA herzustellen.

Europäische Unternehmen fühlen sich dadurch massiv benachteiligt und fürchten um den Marktzugang. „Wir sehen das als Subventionswettlauf – und dazu haben wir auch ein Recht“, sagte Bosch-Geschäftsführer Najork. „Die Handelsbarriere ist da – und die Amerikaner werden von unserer Reaktion überhaupt nicht beeindruckt sein.“

Europa sei zudem wenig durchsetzungsfähig gegenüber Handelspartnern aus den USA und China. „Wir müssen die Unternehmen stärker machen und auch in den USA investieren, um Nutznießer dieser Programme zu sein“, sagte Najork im Gespräch mit Kirsten Ludowig, stellvertretende Chefredakteurin des Handelsblatts.

Niemand wird ein hochprofitables Chinageschäft aufgeben, wenn er da schon investiert ist. Rolf Najork, Bosch-Geschäftsführer

Die deutschen Unternehmer sind sich einig: Die europäische Industrie muss resilienter und unabhängiger werden, wenn man Exportnation bleiben will. „In einer globalen Welt braucht es einen globalen Footprint“, so Najork.

Vor allem die aktuelle Debatte über einen Abbau der Abhängigkeit von China sei in einem Punkt unrealistisch: „Wir stellen die Frage, ob man aus China rausgehen kann. Doch viele Unternehmen wären in Deutschland nicht so erfolgreich, hätten sie nicht so ein starkes Chinageschäft“, sagte der Manager. China sei zwar ein strategisches Risiko, allerdings auch eine Chance: „Niemand wird ein hochprofitables Chinageschäft aufgeben, wenn er da schon investiert ist.“

Auch für den Mittelstand ist der IRA problematisch. „Wir haben keinen globalen Fußabdruck als Unternehmen - das heißt, wir können nicht einfach unsere Kapazitäten ins Ausland verlagern“, sagt Anne-Marie Grossmann, Mitglied der Geschäftsführung bei Georgsmarienhütte.

Man sehe bereits einen signifikanten Rückzug von Investitionen in deutsche und europäische Werke. „Insofern kann ich auch nur in die gleiche Kerbe schlagen: Wir müssen uns als Industrieland anders aufstellen, um diesen Abzug abzuwehren,“ forderte Grossmann.

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, bezeichnete das US-Programm auf dem Handelsblatt Industrie-Gipfel gar als „unfreundlichen Akt“ gegenüber Europa. Allerdings müsse man den Vorstoß auch als gutes Zeichen in der Klimakrise interpretieren: „Die USA machen endlich Ernst mit dem Klimaschutz“, sagte die SPD-Politikerin.

Für eine europäische Reaktion gebe es drei Möglichkeiten:

  • Zum einen etwa protektionistische Maßnahmen, die einen neuen Handelskrieg zur Folge haben könnten.
  • Zweitens könne man beispielsweise die eigene Wasserstoffindustrie subventionieren.
  • Als dritte Option nannte Barley eine Einigung mit den USA: „Europa könnte in dem Maße in den IRA miteinbezogen werden wie etwa Kanada und Mexiko.“

Für eine Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO), wie sie EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton angedroht hat, sprach sich Barley jedoch nicht aus. Ein solcher Schritt werde am Ende keine Lösung bringen, stattdessen müsse es eine Annäherung mit den USA geben – und eine stärkere Anstrengung Europas selbst. „Eine Eskalation kann in keinem Interesse liegen – auch nicht im amerikanischen“, erklärte Barley. Vor dem Hintergrund anderer Systemrivalen wie etwa Russland und China dürfe sich das Verhältnis zwischen den USA und Europa nicht verschlechtern.

Barley vermisst „Willkommenskultur für Fachkräfte“

Von China werde sich die deutsche Industrie allerdings nicht völlig abkoppeln können, sagte auch Barley. „Wichtig ist, dass die in Deutschland betriebenen Standorte weiterhin eine Zukunft haben. Das hängt am Energie- und auch am Fachkräftethema“, sagte Barley.

Vor allem hinsichtlich des Fachkräftemangels in der Industrie müsse Deutschland sich aktiv bemühen: „Eine Willkommenskultur für Fachkräfte haben wir nicht.“

Die europäische Politik ist nun unter Zugzwang. „Wir müssen geopolitisch eine Position einnehmen, wir können nicht mehr neutral sein“, so Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Es müsse nun vor allem in Europa investiert werden, um in der geopolitischen Ordnung nach wie vor Bedeutung zu haben. Angesichts des Ziels, Chinas wirtschaftliche Macht einzudämmen, müsse man mit den USA kooperieren.

Auch der Fachkräftemangel sei mithilfe des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zu thematisieren, erklärte Hüther. „Wir müssen die Bildungsinvestitionen und die Integrationsleistung des Landes erhöhen – aber zugleich an vielen Stellen rationalisieren“, sagte Hüther.

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