Die hohen Energiekosten bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Zurück zu fossilen Brennstoffen also? Die Industrie macht klar, dass dies nicht die Lösung sein kann.
Katja Wodjereck
Die Deutschlandchefin des US-Herstellers Dow wünscht sich mehr Kooperationen von Firmen beim grünen Umbau.
Bild: Marc-André Hergenröder
Düsseldorf Die globale Erwärmung wird häufig als die womöglich größte Krise der Menschheit bezeichnet. Dennoch scheint das Thema angesichts der kurzfristigen Gefahren für den Wohlstand in Europa zuletzt in den Hintergrund gerückt zu sein. Statt des Wechsels zu klimaneutralen Produktionsverfahren steht nach dem Krieg in der Ukraine und der Unterbrechung russischer Gaslieferungen die sichere Versorgung mit fossilen Energieträgern weit oben auf den To-do-Listen von Politik und Unternehmen.
Doch die Situation ist komplexer, als sie scheint, vermittelten die Unternehmen auf der Handelsblatt-Jahrestagung „Dekarbonisierung in der Industrie“ am Donnerstag. „Wir wollen bis spätestens 2040 unsere komplette Lieferkette CO2-frei machen“, sagte etwa Klemens Haselsteiner, derzeit Vorstandsmitglied beim Baukonzern Strabag, der als Mitglied der Eigentümerfamilie im kommenden Jahr auf den Vorstandsvorsitz wechseln soll.
Die Teilnehmer der Tagung zeigten sich in einer Umfrage während der Veranstaltung fast durchweg überzeugt: Die grüne Transformation hat auf den Managementebenen nicht an Bedeutung verloren. Zweifel gab es hingegen bei der Beantwortung der Frage, ob der grüne Umbau gelingen und gleichzeitig der Wohlstand erhalten bleiben wird.
Die Hürden, die Unternehmen bei der Dekarbonisierung nehmen müssen, sind hoch. Die Baubranche etwa ist derzeit für rund 38 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes und für fast die Hälfte des globalen Rohstoffverbrauchs verantwortlich. Ihr Transformationsprozess steht aber noch ganz am Anfang. Eines der größten Probleme ist die Dekarbonisierung der Zementproduktion: Hier fällt CO2 bei der Produktion aktuell als Prozessgas an. Das lässt sich nicht durch einen Wechsel auf grüne Energie beseitigen.
In einer ähnlichen Lage befinden sich viele andere Industriebereiche. In der Produktion vieler Metalle etwa ist der Ausstoß von CO2 ebenfalls untrennbar mit dem Herstellungsprozess verbunden, bei Stahl zum Beispiel. Oder es wird eine große Menge Gas benötigt, um Metallprodukte für die Weiterverarbeitung zu erhitzen.
Dass eine Transformation technisch möglich ist, zeigt der Kupferhersteller Aurubis. Die Hamburger testen aktuell den Einsatz von sogenanntem blauen Ammoniak, um damit Erdgas zu ersetzen. Geliefert wird der Energieträger durch den staatlichen Ölkonzern Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc), der das Ammoniak aus Wasserstoff herstellt, der bei der Erdgasförderung entsteht.
Damit ist die Herstellung zwar nicht klimaneutral. Das blaue Ammoniak bietet der Kupferhütte jedoch eine Brücke. Aurubis kann die eigenen Prozesse so bereits für die Verwendung von grünem Ammoniak umstellen. Dieser wird unter Einsatz erneuerbarer Energien hergestellt, ist auf dem Markt aber noch nicht in ausreichender Menge verfügbar.
Dabei sei die größte Hürde nicht die Investition in die neuen Testkapazitäten selbst gewesen, sondern der bürokratische Aufwand im Vorfeld, erläutert Aurubis-Vorstandschef Roland Harings. „Als wir mit dem Projekt begonnen haben, wurde uns gesagt, das Genehmigungsverfahren würde mindestens zwei Jahre dauern.“ Zum Vergleich nannte er ein ungleich größeres Investitionsprojekt in den USA, das bereits nach sieben Monaten vollständig genehmigt war.
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Auch Strabag-Chef Haselsteiner sieht die deutsche und europäische Regulierung als häufiges Hindernis. „Der Föderalismus ist eine Bremse“, kritisierte der Familienunternehmer. Das gelte beispielsweise für Bauvorschriften, aber auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die undurchsichtige Förderungslandschaft, die es Unternehmen häufig schwer mache, ihre Investitionen langfristig zu planen.
Das erleben auch die Firmen aus der Chemieindustrie so. Doch auch dort herrscht die Überzeugung, den grünen Umbau mit voller Kraft weiter voranzutreiben – zumindest bei den großen Unternehmen. „Wir dürfen die Transformation jetzt nicht stoppen. Die Kunden fordern dies, die Talente und Mitarbeiter ebenso wie der Gesetzgeber“, sagte Katja Wodjereck, Deutschlandchefin des US-Chemiekonzerns Dow Chemical.
Sie sprach sich wie viele Managerinnen und Manager auf der Handelsblatt-Tagung für mehr Kooperation der Unternehmen beim grünen Umbau aus – innerhalb der Branchen, aber auch mit Blick auf Kunden und andere Industrien. „Wir stehen alle vor den gleichen Herausforderungen und können voneinander viel lernen.“
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