Autosalons wie jene in Genf oder Paris waren für VW oder Mercedes einst Pilgerstätten. Nun wenden sich die Hersteller ab – und zweifeln selbst an der IAA.
Ausgediente Leistungsschau?
Als die IAA noch in Frankfurt gastierte, leisteten sich die deutschen Hersteller opulente Messestände.
Bild: Reuters
Düsseldorf, Wien Die Zeit der großen Automessen geht zu Ende. Schon Ende August musste der für den nächsten Februar geplante Genfer Autosalon mangels Masse abgesagt werden. Zu wenige Autohersteller wollten sich noch an der Veranstaltung beteiligen. Früher einmal war die Stadt in der Schweiz einer der weltweit wichtigsten Messeplätze für die Fahrzeugindustrie.
Die Misere geht in wenigen Wochen in Frankreich weiter. Auch dort machen immer mehr Hersteller einen großen Bogen um den Pariser Salon, wie Genf in der Vergangenheit eine bedeutende Automesse. Insbesondere die deutschen Hersteller verzichten auf den Auftritt in der französischen Hauptstadt. Die Veranstaltung droht zu einer Hausmesse für Renault und Peugeot zu werden.
Die reinen Pkw-Messen mit hohem Privatkundenanteil unter den Besuchern sind in einer Abwärtsspirale gefangen. Nicht nur die Aussteller bleiben aus, sondern auch die Besucher. Unter den wichtigsten europäischen Pkw-Messen hat ein harter Ausleseprozess eingesetzt. Das Überleben aller Veranstaltungen ist nicht mehr garantiert.
„Klassische Automessen gehören der Vergangenheit an“, konstatiert Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Es brauche neue Konzepte und Events mit Erlebnischarakter. „Die Autoindustrie muss sich als Teil der Gesellschaft positionieren und ihre Innovationen in einer multimodalen Mobilitätswelt zugänglich machen.“
Singulären Produktshows droht dagegen der Untergang. Einstige Pilgerstätten der Branche wie der Autosalon in Genf dürften für immer verschwinden. Das Konzept habe sich überlebt; der Werbewert der Veranstaltungen sei vergleichsweise gering, heißt es aus Branchenkreisen.
Niemand verspüre noch große Lust, zweistellige Millionenbeträge für eine „unnötige Leistungsschau“ auszugeben, ätzt ein hochrangiger Manager eines deutschen Autobauers. Mit eigenen Markenevents und digitalen Produktvorstellungen lasse sich zu geringeren Kosten ein größeres Medienecho erzielen.
Hinzu kommt, dass sich heimische Premiumanbieter wie Mercedes-Benz, BMW oder die Volkswagen-Tochter Audi zunehmend als Luxusmarken positionieren. Ein derart exklusives Image lasse sich aber nicht glaubwürdig darstellen, wenn ein paar Messestände weiter Billigmarken wie Dacia ihre neuesten Modelle feilbieten, bekundet eine Mercedes-Führungskraft.
In der kommenden Woche steht eine Ausnahme auf dem Programm, die „IAA Transportation“, die Internationale Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge. Hannover ist traditioneller Treffpunkt für Geschäftskunden, die sich über die neuesten Entwicklungen in Transport und Logistik informieren wollen. Das Besucherinteresse ist vergleichsweise groß.
Unter den Automessen funktioniert die „IAA Transportation“ als „Business-to-Business“-Veranstaltung immer noch vergleichsweise gut. In Hannover freuen sich sogar die Hoteliers. In der kommenden Woche ist die niedersächsische Landeshauptstadt so gut wie ausgebucht. Wer kurzfristig doch noch eine Übernachtung buchen muss, ist schnell mit 400 oder 500 Euro dabei. Hannover erlebt eine Messewoche wie aus guten alten Tagen – als ob es zwei harte Coronajahre nicht gegeben hätte.
Messehalle in Genf
Der renommierte Autosalon am Genfer See wird erneut ausfallen.
Bild: imago images/7aktuell
Jürgen Mindel gibt sich entsprechend zufrieden. „Alle Hallenflächen sind ausgebucht“, sagt der Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA) im Vorfeld der IAA in Hannover. Auch der Verkauf der Eintrittskarten entwickle sich in die richtige Richtung. Vor dem offiziellen Messestart in der kommenden Woche liege der Vorverkauf über den Vergleichszahlen der letzten IAA Nutzfahrzeuge von 2018.
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Der Verband der Automobilindustrie ist der Veranstalter der Messe in Hannover. Auch das Pkw-Gegenstück in München, die „IAA Mobility“, wird von Deutschlands wichtigstem Industrieverband ausgerichtet. Die Messen sind für den VDA nicht nur ein Konjunkturbarometer. Der Verband hat auch ein hohes Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg der Veranstaltungen, weil er damit einen großen Teil seines Jahresbudgets erwirtschaftet.
Gleichwohl ist die „IAA Transportation“ kein Selbstläufer. Gewisse Abstriche wird es in diesem Jahr geben, auch bei dieser „Business-to-Business“-Veranstaltung hat die Pandemie ihre Spuren hinterlassen. So wird die Dauer im Vergleich zur Messe von 2018 von acht auf sechs Tage reduziert.
Die Anzahl der Aussteller geht von rund 2200 auf etwa 1400 zurück. Der VDA hatte versucht, diesem Trend mit einer thematischen Ausweitung entgegenzuwirken: Es soll nicht mehr nur um Fahrzeuge, sondern verstärkt auch um Themen aus den Bereichen Transport und Logistik gehen.
Die Ausstellungsmacher in Genf wären froh, wenn sie sich mit den vergleichsweise kleinen Problemen ihrer deutschen Kollegen herumschlagen müssten. Am wichtigsten Messestandort der Schweiz herrscht Katzenjammer: Schon Ende August ist der für Februar 2023 angesetzte Genfer Autosalon ersatzlos gestrichen worden. „In diesen unsicheren Zeiten sind viele Marken nicht in der Lage, sich für die Teilnahme an einer Messe in Europa im Winter zu verpflichten“, begründete Messechef Sandro Mesquita die Entscheidung.
Vor der Coronapandemie wäre so etwas unvorstellbar gewesen. Wie aus Branchenkreisen verlautete, hatte sich beispielsweise Mercedes gegen Genf entschieden. Früher galt die Präsenz am neutralen Schweizer Messestandort als unverzichtbar. Dass es nun auch im kommenden Jahr keine Messe in der Schweiz gibt, wird in der Autobranche fast schon als ein grundsätzliches Statement gewertet.
„Die Genfer Messe kommt nicht wieder“, sagt ein Volkswagen-Manager. Im Ausleseprozess der wichtigsten europäischen Veranstaltungen habe die Schweiz wohl endgültig verloren.
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Im Oktober steht der Pariser Autosalon vor seiner entscheidenden Bewährungsprobe. Auch die in der Vergangenheit als unverzichtbar geltende Veranstaltung in der französischen Hauptstadt leidet unter schrumpfendem Besucher- und Ausstellerinteresse. Paris versucht in diesem Jahr eine Kombination mit einer zweiten zeitgleichen Veranstaltung für Autozubehör, was für höhere Besucherzahlen sorgen soll.
Trotzdem steht der Pariser Salon vor dem Problem, dass aus einer früher internationalen Veranstaltung eine regionale Hausmesse für die französische Automobilindustrie zu werden droht. Doch das dürfte den Ausstellerschwund kaum wettmachen. So ist beispielsweise der Volkswagen-Konzern überhaupt nicht in Paris vertreten. Sprecher der großen Marken VW, Audi und Porsche bestätigten auf Anfrage, dass sie in diesem Jahr auf dem französischen Salon nicht mehr vertreten sein werden.
Mercedes ist zwar in Paris präsent, aber nicht auf der Messe. Die Schwaben veranstalten in der Innenstadt der Metropole ein eigenes Event. Auch BMW, Opel und die Europatochter von Ford verzichten auf den Messeauftritt in Frankreich. Selbst Citroën wird nicht an die Porte de Versailles kommen.
Die lange Liste der Absagen zeigt: Viele Autohersteller sind nicht mehr vom automatischen wirtschaftlichen Erfolg eines Messeauftritts überzeugt. Der Bau eines Messestands geht schnell in die Millionen. Doch wenn die Besucherzahlen zurückgehen, tritt die erhoffte Multiplikatorwirkung nicht mehr ein. „Die Bedeutung des Autos als Statussymbol hat nachgelassen“, sagt ein Brancheninsider. Das sei der wesentliche Grund dafür, dass heute weniger Besucher zu einer Automesse als in der Vergangenheit kämen.
Mercedes Concept auf der CES
Technologiemessen gewinnen in der Außendarstellung an Bedeutung.
Bild: dpa
Autohersteller weichen zum Teil auch auf neue Formate oder kleinere Branchentreffs aus. Volkswagen überlegt beispielsweise, zum Mobile World Congress nach Barcelona zu gehen. Dahinter steckt der weiter zunehmende Digitalisierungsprozess: Fahrzeug und Mobiltelefon wachsen immer stärker zusammen. Deshalb wird VW mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr auch an der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas teilnehmen, der wichtigsten IT-Messe in den USA. Mercedes ist dort ohnehin bereits Stammgast.
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Ziemlich genau in einem Jahr muss die „IAA Mobility“ als große deutsche Pkw-Messe beweisen, dass sie dauerhaft eine Zukunft besitzt. Die Ausstellungsmacher müssen nicht befürchten, dass ihnen wie in Genf die Absage droht. „München wird es im nächsten Jahr geben“, bestätigt auch der neue VW-Vorstandsvorsitzende Oliver Blume.
Der veranstaltende VDA, die Stadt und die Messe München sind für das nächste Jahr noch vertraglich aneinander gebunden. Nachdem sich der VDA 2019 vom Traditionsstandort Frankfurt zurückgezogen hatte, sollte die neue Messe in München zunächst in zwei Durchläufen 2021 und 2023 getestet werden.
Auch die IAA leidet unter nachlassendem Interesse, deshalb waren grundsätzliche Mobilitätsthemen ins Messeprogramm aufgenommen worden. So waren auf dem Ausstellungsgelände beispielsweise auch Fahrräder zu sehen. Außerdem ist die Messe zusätzlich in die Münchener Innenstadt gegangen: Beim ersten IAA-Durchlauf vor einem Jahr erwiesen sich die Stände der großen Autohersteller auf Plätzen und Straßen in der City als echter Publikumsmagnet.
Der VDA gibt sich zuversichtlich, dass sowohl die Business-Veranstaltung in Hannover als auch die massenwirksame Ausstellung in München eine Zukunft haben. „Wir sind optimistisch, dass beide Konzepte funktionieren“, betonte Verbandspräsidentin Hildegard Müller. Die „IAA Transformation“ ist noch für Jahre gesichert.
Die letzte Entscheidung zur „IAA Mobility“ liegt allerdings bei den großen Konzernen. Sie müssen sagen, ob sie mit dem neuen Münchener Konzept zufrieden sind und ob sie sich auch von 2025 an eine IAA für Pkw in der bayerischen Landeshauptstadt vorstellen können.
Im Sommer hatte der Münchener Stadtrat einseitig eine Verkleinerung und eine Verlagerung von Ausstellungsflächen in der Innenstadt beschlossen. Eine Entscheidung, mit der die Stadt in der deutschen Automobilindustrie kaum Sympathiepunkte gesammelt hat.
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