Schlecht funktionierende Bremsen machen der indischen Bahn zu schaffen. Nach einer Kollision steht der deutsche Zulieferer Knorr-Bremse in der Kritik. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.
Güterzug-Unfall im vergangenen Oktober im Nordosten Indiens
Im Bahnsystem des Landes kommt es immer wieder zu Unfällen.
Bild: IMAGO/Hindustan Times
Bangkok Indiens Eisenbahnnetz ist ein gefährlicher Ort: Allein für das Jahr 2021 zählten die Behörden des Schwellenlandes fast 18.000 Zugunfälle – vielfach mit tödlichem Ausgang. Für Passagiere ist der Sturz aus den oftmals überfüllten Waggons eines der Hauptrisiken.
Aber auch technische Mängel sorgen immer wieder für riskante Zwischenfälle. Für einen Teil der Probleme will der staatliche Bahnbetreiber nun angeblich den Grund gefunden haben: Technik aus Deutschland.
Der Zusammenstoß zweier Güterzüge im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh vor wenigen Wochen hat die Debatte um ein bereits länger umstrittenes Bremssystem neu angefacht. Zur Kollision kam es an einem Donnerstagmorgen, nachdem einer der beiden Züge vor einer Signalanlage nicht rechtzeitig halten konnte. Elf Waggons entgleisten, mehr als ein Dutzend Personenzüge mussten wegen des Unfalls umgeleitet werden oder ihre Fahrt ganz abbrechen.
Vorläufige Untersuchungsergebnisse sehen indischen Medienberichten zufolge Probleme mit der Bremstechnik eines deutschen Zulieferers als wahrscheinliche Ursache des Crashs: Diese habe an der Unfallstelle, die sowohl eine Kurve als auch ein starkes Gefälle aufweise, nicht funktioniert, zitiert die indische Nachrichtenagentur PTI aus dem Untersuchungsbericht.
Bei dem Zulieferer handele es sich den Medienberichten zufolge um den Münchener Bremsenhersteller Knorr-Bremse, der in Indien Güterzüge mit Bauteilen des Drehgestell-Bremssystems BMBS ausstattet. 39 Waggons eines der Unglückszüge von Uttar Pradesh hatten dieses Bremssystem demnach installiert.
Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück. „Unsere Produkte sind aus unserer Sicht und nach derzeitigen Erkenntnissen nicht die Ursache von Vorfällen, die angeblich auf unsere Produkte zurückzuführen sein sollen“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit.
Unsere Produkte sind aus unserer Sicht und nach derzeitigen Erkenntnissen nicht die Ursache von Vorfällen, die angeblich auf unsere Produkte zurückzuführen sein sollen. Sprecher von Knorr-Bremse
Die Produkte für indische Güterzugbremsen seien seit ihrer Einführung vor mehr als einem Jahrzehnt erfolgreich im Einsatz. „Im Betrieb unterliegen unsere Bauteile dabei dem komplexen Zusammenspiel mit umfangreicher weiterer Technik, die nicht von Knorr-Bremse, sondern aus anderen Quellen stammt.“ Komplette Bremssysteme habe das Unternehmen nicht geliefert.
Mit Blick auf die Güterzugkollision in Uttar Pradesh betont Knorr-Bremse, dass die gelieferten Bauteile „aus unserer Sicht und nach derzeitigen Erkenntnissen nicht die Ursache für den Vorfall“ seien. Man wolle dennoch „alles tun, was in unserer Macht steht, um gemeinsam zur Untersuchung der Unfallursache beizutragen“, und befinde sich „in engstem Austausch mit dem Betreiber, um in dieser Angelegenheit zu helfen“.
Beide Seiten führten derzeit umfangreiche gemeinsame Feldtests an Testzügen durch, um die Situation aufzuklären. Medienberichte, wonach das indische Eisenbahnministerium zumindest vorübergehend Zahlungen an Knorr-Bremse gestoppt haben soll, wollte das Unternehmen nicht kommentieren.
Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass es bei den Bahnverantwortlichen des Landes offenbar massive Zweifel an der BMBS-Technik gibt. Eine Untersuchung mehrerer Vorfälle habe ergeben, dass das von Knorr-Bremse gelieferte System „einen bekannten Mangel aufweise“, heißt es in einem Schreiben der Forschungseinrichtung RDSO, die zum Bahnministerium gehört. Dabei handele es sich um „eine geringere Bremskraft und uneinheitliche Bremswege“, heißt es in der Zusammenfassung des Untersuchungsberichts, die dem Handelsblatt vorliegt.
Knorr-Bremse
Der deutsche Zulieferer weist die in indischen Medien erhobenen Vorwürfe zurück.
Bild: Bloomberg/Getty Images
Einem Bericht der Zeitung „Indian Express“ zufolge haben Lokomotivführer innerhalb eines Jahres mehr als 80 Fälle gemeldet, bei denen Güterzüge mit BMBS-Ausrüstung an Signalanlagen nicht rechtzeitig zum Halten kamen.
Die Warnung vor den Problemen schickte RDSO bereits im vergangenen Jahr an die Geschäftsführer von Indiens 19 Eisenbahnzonen. Demnach wurden rund 69.000 Waggons mit der beanstandeten BMBS-Technik von Knorr-Bremse ausgestattet.
Sie alle aus dem Verkehr zu ziehen sei nicht möglich, hieß es in dem Schreiben. Stattdessen werde empfohlen, die Geschwindigkeit zu drosseln, um die Risiken zu begrenzen. Indiens Eisenbahn verhängte daraufhin Höchstgrenzen für das Tempo der Züge, deren Waggons mehrheitlich mit dem umstrittenen Bremssystem ausgestattet sind. Auf bestimmten Strecken dürfen sie maximal noch mit 30 Kilometern pro Stunde unterwegs sein.
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Neben Knorr-Bremse ist auch der indische Hersteller Escorts Lieferant der BMBS-Bauteile. Mit Blick auf die beklagten Probleme verweist die RDSO-Warnung aber ausdrücklich auf die von Knorr-Bremse bereitgestellte Technik.
Die Zweifel an der eigenen Technik auszuräumen ist für Knorr-Bremse in jedem Fall von großer Bedeutung. Das Unternehmen sieht das Land als wichtigen Wachstumsmarkt. „Asien ist ein Treiber, dort können wir unsere Technologie schneller in den Markt bringen als hier“, sagte Konzernchef Marc Llistosella vor wenigen Wochen im Handelsblatt-Interview. Dabei nannte er explizit Indien als ein Land, auf das sein Unternehmen blicke.
Ein Reputationsverlust durch die Eisenbahnvorwürfe könnte die Wachstumspläne zurückwerfen. Offiziell zeigt sich der Konzern aber unbeeindruckt: Man sehe in den kommenden Jahren in Indien große Geschäftspotenziale, um zu sicherer Mobilität beizutragen, heißt es aus dem Unternehmen.
Erstpublikation: 24.03.2023, 15:29 Uhr.
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