Straßenverkehr in Hanoi
Bald sollen die ersten Autos aus komplett vietnamesischer Produktion auf die Straßen kommen.
Bild: Bloomberg
Vietnam baut seine erste eigene Automarke auf. Deutschen Unternehmen sichert das Milliardenaufträge. Das haben sie vor allem einem Mann zu verdanken.
Haiphong Wenige Tage vor dem Pariser Autosalon werden am kommenden Dienstag zwei ungewöhnliche Autos vorgestellt: Das Land, aus dem sie kommen, brachte bisher niemand in Verbindung mit Automobilbau. Über den SUV und die Limousine der Marke Vinfast wird es heißen: Hier ist die erste vietnamesische Automarke; die ersten komplett in Vietnam gebauten Autos.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Autos wurden von deutschen Maschinen gefertigt. Sie basieren auf deutschen Modellen, bestehen zur Hälfte aus Teilen deutscher Firmen, und sie wurden von Arbeitern gebaut, die nach deutschen Standards ausgebildet wurden.
Das Vinfast-Projekt ist damit auch ein gewaltiger Erfolg für die deutsche Industrie: Die Werke bei Haiphong gelten als das derzeit größte Industrieprojekt der aufstrebenden südostasiatischen Volkswirtschaft. Insgesamt investiert der Mutterkonzern Vingroup rund 3,5 Milliarden US-Dollar. Laut Handelsblatt-Informationen fließt der Großteil davon zu deutschen Unternehmen. Die Auslandshandelskammer spricht von einem „Leuchtturm-Projekt“ der heimischen Wirtschaft.
Der Erfolg der Deutschen kommt überraschend: Wer sich von Hanoi auf den Weg zur Vinfast-Fabrik macht, zunächst über die verstopften Straßen und schließlich über eine neue, aber fast leere Autobahn, dem kommen fast nur koreanische, chinesische und japanische Autos entgegen. Auch in den Industrieparks reihen sich fast nur Werke asiatischer Unternehmen aneinander.
Weniger als drei Prozent der Importe in Vietnam kommen aus Deutschland. Mehr als die Hälfte der Einfuhren stammt aus China, Südkorea und Japan.
Asiatische Länder wollen den Konflikt zwischen China und den USA nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Deutsche Firmen passen sich der neuen Lage an.
Wer verstehen will, wie die deutsche Industrie die asiatische Dominanz durchbrechen konnte, der trifft am besten einen zierlichen Herrn mit Zahnlücke, der auf seine Sätze gerne ein schelmisches Lächeln folgen lässt. Vo Quang Hue steht in der nagelneuen Vinfast-Zentrale auf Cat Hai, die so kreisrund ist, dass sie wie ein gerade gelandetes Ufo aussieht.
„Wissen Sie, wer das Gebäude hier entwickelt hat?“, fragt der Vizechef der Vingroup. „Architekturbüro Henn. Auch ein deutsches Unternehmen.“ Auf seinem Handy zeigt er andere Projekte des Entwicklers: BMW Innovationszentrum München, Porsche Designstudio Weissach und so weiter: „Ich gebe eben weiter, was ich weiß“, sagt Vo.
Vo hat viel weitergegeben. Auf dem Gelände tummeln sich derzeit zahlreiche deutsche Ingenieure, die Produktionsanlagen aufbauen: Die Presse kommt vom Anlagenbauer Schuler, Eisenmann liefert die Fahrzeug-Montagelinie, Grob die Fertigungsanlage für Motoren. Für die Lackiererei ist Dürr zuständig, die Roboter kommen von ABB Deutschland, und Siemens vernetzt die Fabrik. „Die Fertigung ist fast zu 100 Prozent deutsch“, sagt Vo.
Nicht nur die: In einem Fortbildungszentrum direkt im Hauptquartier machen gerade 200 Vietnamesen eine Ausbildung, die von der Auslandshandelskammer zertifiziert worden ist. In der höchsten Stufe ist der Abschluss mit dem deutschen Industriemechaniker oder Kfz-Mechatroniker vergleichbar.
Natürlich erklärt auch die generelle Stärke des deutschen Automobilbaus, dass deutsche Firmen so viele Aufträge ergattern konnten. Doch der Erfolg ist auch das Ergebnis einer Kettenreaktion, die tief in die weit verzweigte Branche reicht. Am Anfang dieser Kettenreaktion steht Vo. Er sagt: „Ich sehe mich als Vermittler zwischen Deutschland und Vietnam.“
Vo Quang Hue
„Die Fertigung ist fast zu 100 Prozent deutsch.“
Bild: Frederic Spohr
Die Geschichte beginnt Anfang der 70er-Jahre. Die kommunistischen Vietcongs schießen sich durch den Dschungel Richtung Saigon, und die Eltern eines jungen Mannes aus dem Süden Vietnams beschließen, dass ihr Sohn besser nach Deutschland gehen sollte und dort Ingenieur werden soll. Er studiert in Köln und Aachen, macht Karriere bei BMW.
Vo wird deutscher Staatsbürger und baut auf der ganzen Welt für die Münchener Werke auf: Ägypten, Mexiko und natürlich auch Vietnam. Zuletzt arbeitete der 66-Jährige als Chef von Bosch in seinem ursprünglichen Heimatland. Dann kam der Anruf von Pham Nhat Vuong.
Pham ist Chef der Vingroup und gehört zu den reichsten Männern Vietnams. Seine ersten Millionen machte er kurz nach seinem Studium in der Ukraine mit Fertignudeln. 2002 kam er nach Vietnam zurück und baute ein mächtiges Konglomerat auf. Zur Vingroup gehören mittlerweile Einkaufszentren, Krankenhäuser und Schulen. Jetzt will er Vietnam zu einem Automobil-Land machen, und holte sich dafür unter anderem Vo.
Bei Vinfast war von Anfang an klar, dass man sich ein Großteil des Know-hows einkaufen muss. Das Design ließ man vom italienisch-indischen Studio Pininfarina entwickeln. Bei der Technik setzten Vinfast und Vo dagegen voll auf deutsche Kompetenz. Vo verhandelte mit mehreren deutschen Automarken – doch bei seinem Ex-Arbeitgeber BMW stimmte die Chemie. Die Bayern verkauften Vinfast die Lizenzen für einen Motor und die Basisarchitektur der alten 5er-Reihe, auf dem beide Vinfast-Fahrzeuge nun aufbauen.
Im Automobilgeschäft ist das ein ungewöhnliches Vorgehen: „Wir gehen damit neue Wege“, sagt Vinfast-Chef James Deluca, der zuvor beim Autobauer General Motors für die globale Produktion zuständig war. Das Geschäft umfasst auch die Details, zum Beispiel wie der Motor genau produziert wird. Bei BMW will man sich zu dem Deal nicht äußern.
Weil die Basis des Autos ein BMW ist, kamen nicht nur deutsche Maschinenbauer, sondern auch deutsche Zulieferer ins Spiel. Laut Vinfast-Chef Deluca stammen bis zu 45 Prozent der Teile von deutschen Unternehmen. Direkt neben dem Hauptwerk baut der Zulieferer ZF derzeit ein Werk und investiert dafür rund 18 Millionen Euro, wie das Unternehmen dem Handelsblatt mitteilte. Es ist die erste Fabrik der Süddeutschen in Vietnam überhaupt. Im Dezember soll sie fertig sein.
Die Herausforderungen in den aufstrebenden Märkten sind groß. In Südostasien müssen sich die Start-ups noch einmal neu erfinden.
Der Zeitplan für das gesamte Projekt ist eng. Schon im Sommer 2019 sollen die ersten Modelle vom Band laufen. Doch Vinfast geht schnell vor: Wo vor einem Jahr noch Meer war, ist heute Land aufgeschüttet, Kräne haben riesige Hallen errichtet. Einen alten Friedhof hat man kurzerhand zur Seite geräumt, neben einer Fabrik liegen die Grabmale wie umgeschossene Bowlingkegel.
Künftig will Vinfast nicht nur Benziner bauen. Mit Siemens hat das Unternehmen eine Lizenzvereinbarung für den Antrieb von geplanten Elektrobussen abgeschlossen. Der Ingenieurdienstleister Edag entwickelt außerdem gerade einen Prototyp für das erste Elektroauto von Vinfast. Es soll bereits im kommenden Jahr vorgestellt werden.
Branchenkenner geben Vinfast durchaus Chancen – vor allem, weil es stark auf internationale Partner setzt. „Mit der engen Kooperation mit BMW hat Vinfast einen großen Vorteil, zum Beispiel im Vergleich mit Proton“, sagt Titikorn Lertsirirungsun, Südostasien-Manager beim Beratungsunternehmen LMC Automotive. Proton, der vom malaysischen Staat ins Leben gerufene Autobauer, wurde nie zum erhofften internationalen Kassenschlager.
Auch Vinfast will seine Autos international verkaufen. Für Erfolg wird das auch nötig sein. In der entstehenden Fabrik können in einem Jahr 250.000 Autos produziert werden. Das sind fast so viele, wie derzeit in Vietnam jährlich verkauft werden. 2025 sollen es bereits eine halbe Million Fahrzeuge sein.
Mit mindestens 175 PS dürften die Wagen für die meisten Vietnamesen zudem unerschwinglich sein. Vinfast-Chef James Deluca will erst in Paris bekanntgeben, in welche Märkte exportiert werden soll. Das Auto werde als vietnamesisches Auto vermarktet, kündigt Deluca an. „Aber wir haben auch kein Problem damit, darüber zu reden, dass so viel deutsche Technik darin steckt.“
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