Daimler treibt den Umbau zur E-Mobilität voran. In Untertürkheim werden verstärkt Batterien und Stromantriebe gebaut. Das kostet auch Jobs.
Elektroauto-Produktion in Untertürkheim
Daimler will sein Stammwerk mit 18.500 Mitarbeitern schnellstmöglich in einen Elektro-Campus transformieren.
Bild: Daimler AG
Sindelfingen Vor 136 Jahren entwickelte Gottlieb Daimler gemeinsam mit dem Ingenieur Wilhelm Maybach in einem Gartenhaus in Bad Cannstatt die sogenannte „Standuhr“. Ausgehend von diesem Einzylinder-Motor entstand ein Weltkonzern. Noch heute produziert der Mercedes-Hersteller unweit seiner Geburtsstätte vornehmlich klassische Verbrennungsmotoren. Das Fertigungsvolumen dürfte in den kommenden Jahren aber erheblich schrumpfen.
Der Grund: Daimler will seine Keimzelle, das Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim mit seinen 18.500 Mitarbeitern, schnellstmöglich in einen Elektro-Campus transformieren. Konkret sollen an dem wichtigsten Motorenstandort des Konzerns drei Kompetenzzentren aufgebaut werden: eines für Batterien, eines für elektrische Antriebe und Achsen sowie eines für Motoren.
„Mercedes-Benz plant Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe für die Transformation des Standorts“, kündigte Daimler am Freitag an. Untertürkheim stelle sich damit für die Zukunft und „Electric first“ auf.
Daimler will sich von einem Hardwareanbieter verstärkt zu einem Softwarekonzern wandeln und bei der Elektromobilität führend werden. Der Verbrenner wird dagegen zum Auslaufmodell. Nach Handelsblatt-Informationen könnte sich der Konzern weit früher vom Verbrennungsmotor verabschieden als bisher geplant.
Das setzt insbesondere die Motorenstandorte des Konzerns massiv unter Druck. Zumal Daimler-Chef Ola Källenius einen strammen Sparkurs fährt, um die Fixkosten zu senken. Mehr als 20.000 der weltweit 300.000 Stellen sollen bis 2025 gestrichen werden. Aus dem Motorenwerk in Berlin-Marienfelde wird ein Digitalcampus.
Neben zwei Akkumontagen sollen in Untertürkheim neue Prüfstände, eine Anlauffabrik für Akkus, ein „Safety Lab“ sowie eine Kleinserienfertigung von Lithium-Ionen-Zellen in der größten Powertrain-Fabrik der Marke Mercedes-Benz angesiedelt werden. Auch die nächste Generation von Elektromotoren wird hier gefertigt, ab 2024 kommen zusätzliche Teile des elektrischen Antriebsstrangs (eATS) mit doppelt so hohem Volumen wie ursprünglich vorgesehen hinzu.
Im Gegenzug werden allerdings die Fertigungstiefe und die Stückzahlen konventioneller Diesel- und Benzinaggregate und deren Komponenten „schrittweise reduziert“, erklärte Daimler. So werden beispielsweise schon dieses Jahr Teilvolumen der Kurbelwellenproduktion, die für Untertürkheim vorgesehen war, ins polnische Jawor verlagert. Auch der Aufbau einer Kleinserienfertigungslinie für Vierzylinder-Motoren entfällt in Stuttgart. Darauf haben sich Management und Betriebsrat geeinigt.
Dass Horrorszenario, wonach bis zu 4000 der 18.500 Jobs in Untertürkheim gestrichen werden könnten, ist mit dieser Einigung zwar vom Tisch. Gleichwohl führt die Reduktion der Verbrennerumfänge „schrittweise zu personellen Anpassungen“, erklärte Daimler.
Wie viele Jobs der Konzern in den nächsten Jahren genau in seinem Stammwerk abbauen möchte, ist noch unklar. Es dürfte aber eine vierstellige Zahl werden, heißt es in Konzernkreisen. Der Arbeitsaufwand bei Elektrokomponenten ist einfach deutlich geringer als beim Verbrenner. Dem müsse man Rechnung tragen.
„Die Details zur Umsetzung der geplanten strukturellen Anpassungen werden in den kommenden Wochen gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern weiter ausgearbeitet“, erklärte Daimler. Oberste Priorität habe dabei eine sozialverträgliche Gestaltung.
So sind die Beschäftigten von Daimler in Deutschland bis Ende 2029 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Personal abbauen kann der Konzern daher nur über freiwillige Maßnahmen wie Abfindungen, Vorruhestand oder Altersteilzeit.
„Mit der Implementierung eines eigenen Campus mit Fokus auf Batterie-, Batteriezellen- und Elektroantriebstechnik unterstreichen wir deutlich unseren Fokus auf die Elektrifizierung“, erklärte Werksleiter Frank Deiß. Sein Ziel ist klar: „Beim Antrieb der Zukunft auch weiterhin den Ton anzugeben ist oberste Prämisse.“
Auch Michael Häberle, Betriebsratschef in Untertürkheim, ist zufrieden: „Mit dem Verhandlungspaket forcieren wir konsequent den Ausbau der E-Mobilität und werden den Veränderungen durch den Technologiewechsel gerecht – gleichzeitig bleiben wir im konventionellen Antrieb handlungsfähig.“
Der Einigung vorausgegangen waren monatelange Verhandlungen. Laut Betriebsrat hätten sich die seit September 2020 laufenden Gespräche mit der Werksleitung über die Zukunft des Standortes „noch nie“ so schwierig gestaltet wie dieses Mal. Das Management warf den Arbeitnehmern immer wieder eine Blockadehaltung vor. Umgekehrt pochten die Betriebsräte auf bestehende Zusagen und den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze.
Das nun erzielte Verhandlungsergebnis ist der Versuch, behutsam, aber zugleich so schnell wie möglich den Bau von Verbrennungsmotoren herunter- und jenen von Elektroantrieben hochzufahren.
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