Thyssen-Krupp und Tata haben sich auf eine Fusion ihrer europäischen Stahlsparten geeinigt. Am Freitag soll der Aufsichtsrat dem Deal zustimmen.
Berlin Auf diesen Freitag hat das Management um Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger lange Zeit hingearbeitet. Am Nachmittag soll der 20-köpfige Aufsichtsrat die Fusion der Stahlsparte mit Tata Steel Europe besiegeln.
In den vergangenen Tagen hätten die Unterhändler der beiden Konzerne intensiv über die strittigen Punkte verhandelt – und Lösungen gefunden, wie das Handelsblatt aus dem Umfeld der Gespräche erfahren hat. Offen waren zuletzt eine bessere Bewertung des Krupp-Stahlgeschäfts sowie die Frage, wie die niederländischen Mitarbeiter von Tata Steel besser eingebunden werden könnten.
In den Gesprächen seien für alle Seiten akzeptable Lösungen gefunden worden, hieß es im Umfeld der Verhandlungen. Die Unternehmen äußerten sich nicht dazu. Sie verwiesen darauf, dass ein Zusammenschluss für beide Unternehmen Vorteile brächte.
Stimmen die Kontrolleure am Freitag auf ihrer Sitzung in der Essener Konzernzentrale dem Fusionsvorhaben zu, dann entsteht der nach Arcelor-Mittal größte Stahlproduzent Europas. Thyssen-Krupp Tata Steel soll als neues Schwergewicht mit seinen Stahlwerken in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien besser gegen die Marktschwankungen abgesichert sein.
Seit zwei Jahren verhandelt Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger über ein mögliches Bündnis mit Tata. Von der Landesregierung in NRW bekommt er Rückenwind.
Eine berechtigte Erwartung, aus Sicht von Analysten. Die Stahlpreise schwanken zum Teil erheblich und reißen die Hüttenfirmen immer wieder in die roten Zahlen. Die Hoffnung ist, dass die neue Gemeinschaftsfirma ihre Anlagen besser auslasten und damit besser am Markt bestehen kann. Pro Jahr sollen damit die Kosten um einige Hundert Millionen Euro gedrückt werden können.
Mit der Stahlfusion will Vorstandschef Hiesinger sein langfristiges strategisches Ziel erfüllen. Bei seinem Amtsantritt im Januar 2011 hatte er versprochen, den damals maladen Konzern zukunftssicher aufzustellen.
Thyssen-Krupp hatte sich wegen missglückter Investitionen in neue Stahlwerke finanziell verhoben. Der Konzern stand zu der Zeit am Rande der Pleite. Mit einer Rosskur befreite sich das Unternehmen von defizitären Geschäften wie der Edelstahlsparte und den gerade erst errichten Stahlwerken in den USA und Brasilien.
Der Abschied vom Stahl sollte aber kein Selbstzweck sein. Hiesingers Fernziel war zu Beginn seiner Amtszeit schon, sich auf die Technologiebereiche wie den Bau von Anlagen und Aufzügen zu konzentrieren. Diese liefern stabile Gewinne, von dem zyklischen Stahlgeschäft wollte er sich trennen. Möglich sei das aber nur, wenn tragfähige Lösungen gefunden werden, sagte er im Kreise von Vertrauten.
Bis sich die Chance auf einen gangbaren Weg ergab, sollten fünf Jahre vergehen: Erst im Frühjahr 2016 nahm der Vorstand Gespräche mit Tata Steel auf.
Der indische Stahlkonzern war nach dem Erwerb der früheren Corus nach Europa vorgedrungen, hatte allerdings wenig Freude an seiner Neuerwerbung. Diese machte vor allem Verluste. Die in Tata Steel Europe umfirmierte Gesellschaft lag technologisch hinter Arcelor-Mittal, Voestalpine und Thyssen-Krupp. Hochfeste Stähle, wie die gut zahlende Automobilindustrie sie brauchte, konnte Tata nur bedingt liefern.
Kurz vor dem geplanten Abschluss des Joint Ventures mit Tata erhält der CEO Rückendeckung von den Stahlkochern. Doch es bleibt eine offene Frage.
Ein Rückzug kam für die Tata Gruppe nicht in Frage. Der vor bald 150 Jahren von Parsen Jamshedji Tata gegründete Mischkonzern will im Stahlgeschäft präsent bleiben – und fand nun mit Thyssen-Krupp einen möglichen Partner.
Schon zu Beginn stand das Fusionsvorhaben vor großen Hürden. Zum einen hatte Thyssen-Krupp noch eine Hütte in Brasilien, für die ein Käufer gefunden werden musste. Zum anderen waren die Werke von Tata Steel in Großbritannien in einem desolaten Zustand. Die Altlasten hatte keine Seite in das geplante Joint Venture einbringen wollen, wie es in Verhandlungskreisen hieß.
Die Unternehmen mussten aber nicht nur für ihre eigenen operativen Probleme Lösungen finden. Auch die Politik warf das Vorhaben zurück. Als die Briten im Juni 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union votierten, drohte das Projekt zu scheitern. Neben der Unsicherheit über die wirtschaftlichen Perspektiven waren damit von der britischen Regierung zugesagte Hilfen für den Pensionsfonds der englischen Stahlarbeiter hinfällig geworden.
In intensiven Verhandlungen loteten die Emissäre von Thyssen-Krupp und Tata Steel Wege für einen neuen Kompromiss aus. Parallel klopfte der Essener Konzern beim deutschen Rivalen Salzgitter an. Die Niedersachsen allerdings lehnten eine Fusion mit dem Ruhrkonzern ab.
Als letzte Option verblieb also der Zusammenschluss mit Tata Steel Europe. Gegen den allerdings stemmten sich die Betriebsräte und die IG Metall. Die Gewerkschaft befürchtete einen Ausverkauf an die Asiaten. Sie rangen Hiesinger schließlich die Zusage ab, dass Thyssen-Krupp zunächst an dem neuen Unternehmen beteiligt bleiben wird. Außerdem soll der geplante Stellenabbau geringer ausfallen als ursprünglich geplant.
Inzwischen haben sich die Betriebsräte mit dem Vorhaben arrangiert. „Das jetzt beschlossene Joint Venture ist besser als ein Joint Venture, das ohne Beteiligung der Arbeitnehmerseite zustande gekommen wäre“, sagte Betriebsratschef Wilhelm Segerath der Nachrichtenagentur Reuters.
Am Donnerstag hatte der Aufsichtsrat der Stahltochter Thyssen-Krupp Steel der Fusion zugestimmt. Absehbar ist damit, dass die Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium des Mutterkonzerns Thyssen-Krupp AG am Freitag für den Deal ebenfalls grünes Licht geben werden.
Ohne Kritik dürfte das Gremium dem Deal nicht zustimmen. Der Finanzinvestor Cevian dürfte über seinen Vertreter Jens Tischendorf einige Nachfragen haben. Der nach der Krupp-Stiftung zweitgrößte Aktionär hatte eine bessere Bewertung des Stahlgeschäfts gefordert.
In Nachverhandlungen mit Tata hatte Finanzchef Guido Kerkhoff zwar die Bewertung von Thyssen-Krupp Steel um einen Betrag in dreistelliger Millionenhöhe verbessern können. Fraglich ist aber, ob dies Cevian reichen wird. Stoppen kann der Investor die Fusion mit einer Stimme im Aufsichtsrat aber nicht mehr.
Mit der Ausgliederung der Stahlsparte wird der Konzern zwar im Stahlbereich investiert bleiben, erleichtert um Schulden und Pensionsverpflichtungen wird sich die Finanzausstattung von Thyssen-Krupp erheblich verbessern. Für den Vorstand um Hiesinger eröffnet sich damit erstmals die Möglichkeit, stärker zu gestalten. Denkbar werden auch mittelgroße Akquisitionen, um die Technologiesparten zu stärken, wie es in Konzernkreisen heißt.
In den kommenden Tagen wird Hiesinger erklären müssen, wie er den Spielraum nutzen will. „Zeit zum Ausruhen wird es da nicht geben“, sagte ein hochrangiger Manager. Nach dem Stahldeal müsse Thyssen-Krupp neu gestaltet werden. „Die Reise ist noch nicht zu Ende."
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