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30.01.2023

14:21

Miltenyi Biotec

Heimlicher Biotech-Star nähert sich der Umsatzmilliarde

Von: Siegfried Hofmann

Mit 5000 Mark Startkapital und innovativer Technik für die Zellforschung schuf Stefan Miltenyi einen Biotech-Konzern. Das Expansionstempo ist auch im internationalen Vergleich beachtlich.

Miltenyi Biotec Getty Images

Biotech-Forschung

Miltenyi Biotec ist in Deutschland die Nummer drei hinter Biontech und Qiagen.

Frankfurt Neuartige Zell- und Gentherapien sorgen seit einigen Jahren in der Medizin für Furore. Deutsche Pharmakonzerne spielen hier noch keine große Rolle. Aber eine in der Öffentlichkeit kaum bekannte Biotechfirma zählt zu den Wegbereitern der neuen Verfahren. Miltenyi Biotec ist dabei nicht nur zu einem globalen Technologielieferanten herangewachsen, sondern engagiert sich auch mit mehreren eigenen klinischen Projekten selbst in der Entwicklung von Zelltherapien.

Anders als die Mainzer Biontech ist Miltenyi eher ein heimlicher Star der deutschen Biotechszene. Dabei ist das Expansionstempo auch im internationalen Vergleich beachtlich. Im vergangenen Jahr steigerte das Unternehmen aus Bergisch Gladbach bei Köln seinen Umsatz um ein Viertel auf 880 Millionen Euro. Seit 2012 haben sich die Erlöse mehr als versechsfacht. Der Aufschwung dürfte sich die kommenden Jahre fortsetzen.

„2023 streben wir über eine Milliarde Euro Umsatz an“, sagt Firmengründer und Inhaber Stefan Miltenyi dem Handelsblatt. Das 1989 gegründete Unternehmen ist damit nach Biontech und Qiagen aktuell die Nummer drei der deutschen Biotechbranche. Weltweit beschäftigt Miltenyi 4500 Mitarbeiter in 28 Ländern, davon 900 alleine in den USA. Rund 93 Prozent der Erlöse stammen aus dem Ausland, Tendenz steigend.

Miltenyi Biotec leistete Pionierarbeit bei Zellseparation

Die Basis für den Erfolg legte Firmengründer Miltenyi mit seiner Pionierarbeit auf dem Gebiet der Zellseparation. Die von ihm noch während seines Physikstudiums in Köln entwickelte MACS-Technologie („Magnetic Activated Cell Sorting“) ermöglicht es, einzelne Zelltypen aus einem Gemisch zu isolieren, indem man kleine Magnetpartikel mithilfe von Antikörpern an spezifische Rezeptoren der Zellen koppelt. In einem starken Magnetfeld können die so markierten Zellen vom Rest des Gemisches getrennt werden.

Auf diesem Gebiet sieht sich Miltenyi bis heute als Weltmarktführer. Genutzt wird die Technik auf breiter Front in der biopharmazeutischen Forschung und teilweise auch in der medizinischen Praxis, so etwa bei Blutwäscheverfahren, Stammzelltransplantationen oder auch zur Herstellung der neuen Car-T-Zelltherapien, bei denen genmodifizierte Immunzellen gegen Krebs eingesetzt werden.

Miltenyi auch im Bereich Mikroskopie aktiv

Rund um die MACS-Technik hat das Unternehmen inzwischen ein breites, Tausende Einzelprodukte umfassendes Sortiment an Geräten und Reagenzien für die biomedizinische Forschung entwickelt, darunter weitere Verfahren für die Zellsortierung. Über Zukäufe und Eigenentwicklungen stieg Miltenyi zudem in den Bereich Mikroskopie ein.

Auch in der Entwicklung neuer Gensequenzierungstechniken ist das Unternehmen inzwischen engagiert. „Uns treibt die Vision, mit unseren Technologien schwere Krankheiten heilbar zu machen und Zelltherapien weltweit vielen Patienten zugänglich zu machen“, beschreibt Miltenyi die strategische Ausrichtung.

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Angesichts des Booms in der Zellforschung ist ein Ende des Aufschwungs für das Unternehmen vorerst kaum in Sicht. Erste Zelltherapien, etwa gegen Krebs, sind inzwischen zugelassen, und die Zahl der Forschungsprojekte in dem Bereich wächst seit Jahren rapide.

Über die Krebsbehandlung hinaus wird inzwischen intensiv auch an regenerativen Zelltherapien gearbeitet, etwa gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Parkinson. Marktforscher gehen daher davon aus, dass sich das Marktvolumen für Zellseparierungs-Technologien bis 2028 auf mehr als 25 Milliarden Dollar verdreifachen wird.

Miltenyi setzt auf „multidisziplinäre Innovationskraft“

Miltenyi konkurriert in diesem Umfeld unter anderem mit Großkonzernen wie Thermo Fisher, Becton Dickinson oder auch der deutschen Merck-Gruppe. Eine maßgebliche Stärke seiner Firma sieht der Gründer in der großen technologischen Breite und dem engen Zusammenwirken von Biotechnologen, Physikern, Chemikern, Medizinern, Pharmazeuten sowie Ingenieuren.

Miltenyi, der neben Physik auch Medizin studierte, spricht von einer „multidisziplinären Innovationskraft“. Man nutze gentechnologische Methoden ebenso wie Kunststofftechnik, Mikrostrukturtechnik, Optik oder Instrumentendesign. „Wir können genauso komplexe Medizingeräte bauen wie auch neuartige Biomoleküle oder Genvektoren entwerfen und diese pharmazeutisch herstellen.“

Der Einstieg in die eigene Zelltherapieforschung im Jahr 2019 war aus seiner Sicht daher ein logischer Schritt. „Wir hatten alle Komponenten entwickelt, um solche Therapien möglich zu machen, und sitzen quasi an der Quelle, um neue Therapien zu entwickeln, indem wir verschiedene Wissenschaftsdisziplinen zusammenbringen", sagt Miltenyi.

Das Tochterunternehmen Miltenyi Biomedicines testet inzwischen mehrere Zelltherapien in klinischen Studien in den USA und Europa. Erste zulassungsrelevante Daten für das am weitesten vorangeschrittene Projekt werden bis Ende kommenden Jahres erwartet.

Wir können genauso komplexe Medizingeräte bauen wie auch neuartige Biomoleküle oder Genvektoren entwerfen und diese pharmazeutisch herstellen. Stefan Miltenyi, Gründer Miltenyi Biotec

Eine Reihe weiterer Produkte befindet sich in frühen Stadien der klinischen Entwicklung, darunter zum Beispiel auch eine Therapie für die schwere Immunkrankheit Lupus Erythematodes. Auch hier habe man erste Patienten bereits erfolgreich behandelt.

Die Konkurrenz von Pharmariesen wie Gilead, Novartis, Bristol-Myers Squibb oder Bayer, die ebenfalls stark in die Zelltherapien investieren, schreckt Stefan Miltenyi wenig. Er verweist auf die starke Vernetzung des Unternehmens innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft und die große Expertise in der Entwicklung von Zelltherapien, die man bereits seit Langem mit den Kunden teile. „Wir sind davon überzeugt, mit unseren Ansätzen eine weitere Verbesserung bei der Behandlung von Krebserkrankungen anbieten zu können“, sagt er.

Der Aufsteiger aus dem Rheinland gehört damit zu den ganz wenigen Biotechzulieferern, die sich gleichzeitig selbst in der klinischen Forschung engagieren. Ob man die Produkte im Erfolgsfall tatsächlich auch in eigener Regie oder eher in Kooperation mit Partnern aus der Pharmaindustrie vermarken werde, habe man noch nicht entschieden.

Miltenyi begann mit 5000 Mark und einer Diplomarbeit

Ungewöhnlich ist der Werdegang des Unternehmens auch in anderer Hinsicht: Anders als die meisten Biotech-Start-ups war Miltenyi selbst in der Anfangsphase nie auf Risikokapital von externen Geldgebern angewiesen. „5000 D-Mark und die Entwicklung aus meiner Diplomarbeit haben gereicht“, sagt er. „Wir haben immer Gewinn gemacht und diesen aber wieder investiert.“

Die starke Expansion und den Ausbau der Produktionsanlagen konnte das Unternehmen bisher komplett aus dem eigenen Cashflow und über Bankkredite finanzieren. Für 2021 wies das Unternehmen bei 699 Millionen Euro Umsatz einen Reingewinn von 68 Millionen und einen operativen Cashflow von 114 Millionen Euro aus.

Firmengründer Miltenyi ist bis heute 100-prozentiger Eigentümer. Eine Aufnahme externer Finanziers, etwa über eine Notierung am Kapitalmarkt, ist für ihn kein Thema. „Ein Börsengang ist nicht geplant und ist auch nicht Teil der Zukunftsüberlegungen“, sagt er. „Es ist Teil des Unternehmenserfolges und eine große Freiheit, ohne Investoreninteressen im Blick unsere Vision zusammen mit und für unsere Kunden voranzutreiben.“

Erstpublikation: 23.01.2023, 11:43 Uhr.

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