Daimler und BMW stutzen ihre Carsharing-Tochter zurück. Der kostenintensive Aufbau von Mietwagenflotten lohnt sich für die Autohersteller nur in wenigen Metropolen.
Autos von Drive Now und Car2Go
Die Skepsis gegenüber dem Geschäftsmodell nimmt zu.
Bild: obs
Düsseldorf, München Kein Jahr ist es her, da galt noch die Devise „The sky is the limit“. Die damaligen Chefs von BMW und Daimler, Harald Krüger und Dieter Zetsche, verkündeten die Fusion ihrer Mobilitätsdienste Car2go und DriveNow. In der noch jungen Sharing-Economy wollten sie Revolutionäre sein. Eine Milliarde Euro sollte investiert werden. Doch mit den Chefs änderte sich auch das Credo. Profitabilität hat nun Priorität. Die Konsequenz: eine Vollbremsung.
In Nordamerika machen Daimler-Chef Ola Källenius und BMW-Boss Oliver Zipse die gemeinsame Sharing-Plattform Share Now zu Ende Februar 2020 dicht. Eine Million Kunden aus New York, Vancouver oder Washington müssen sich neue Anbieter suchen, 3500 Fahrzeuge werden aus dem Verkehr gezogen. Selbst in der Kernregion Europa werden die Netze ausgedünnt: Die Standorte Brüssel, Florenz und London mit rund 1000 Fahrzeugen werden ebenfalls aufgegeben. Man habe mit „extrem schwierigen Realitäten“ zu kämpfen, heißt es kryptisch.
Car2go hatte sich schon vor der Fusion aus vielen Städten im In- und Ausland verabschiedet. Andere Anbieter sind ebenfalls auf dem Rückzug. General Motors stampfte seinen Maven-Service in acht Städten Nordamerikas ein. Ford gab seinen Shuttledienst Chariot ganz auf. Car Unity (Opel), Multicity (Citroën) und Mazda haben ihre Dienste ebenfalls eingestellt.
Für den Autobranchenexperten Ferdinand Dudenhöffer kommen die Streichkonzerte nicht überraschend. „Die großen Hoffnungen in Carsharing haben sich nicht erfüllt. Es war eine Nische, ist eine Nische und wird eine Nische bleiben“, sagte er dem Handelsblatt. Vor allem: Der private Pkw werde durch die neuen Mobilitätsdienste eben doch nicht verdrängt.
Dabei sind einige Zahlen beeindruckend: 90 Millionen Kunden haben Daimler und BMW nach eigenen Angaben für ihre Mobilitätsdienste gewonnen. Weltweit sind die beiden Autokonzerne in 1300 Städten mit Carsharing, Ride-Hailing (Taxi-Apps), Park- und Ladediensten aktiv. Allein Free Now (ehemals Mytaxi) macht über zwei Milliarden Euro Umsatz auf seinen Plattformen und hat bereits 300 Millionen Fahrten vermittelt.
Auch im autoverliebten Deutschland teilen sich laut Branchenverband inzwischen 2,5 Millionen Menschen ein Auto im Carsharing. 20.000 Fahrzeuge stehen inzwischen in deutschen Städten zum Einsteigen bereit. Das Problem: Niemand verdient Geld damit.
Daran ändert auch der „dynamische Wachstumskurs“ wenig, den das heimische Marktführerduo BMW und Daimler erst zu Wochenanfang verkündete und mit dem Hinweis auf die „nächste Ausbaustufe“ ihres Joint Ventures klarstellte, dass damit natürlich nur noch das „profitable Wachstum“ gemeint sei. So erklärt sich auch der kurz darauf bekanntgegebene Rückzug aus Nordamerika und die Konzentration auf Europa.
Der strategische Schwenk ist auch eine Folge des Führungswechsels in beiden Häusern. Daimler-CEO Dieter Zetsche wurde von Ola Källenius abgelöst. Oliver Zipse führt nun statt Harald Krüger BMW. Und beide Vorstandschefs sind sich einig, dass jetzt erst einmal das Kerngeschäft stabilisiert werden muss – und das heißt Automobilbau.
In Sachen Mobilitätsplattformen sind die Konkurrenten dicke Partner. Am 22. Februar dieses Jahres gaben sie den Zusammenschluss bekannt. Fünf Gemeinschaftsfirmen wurden unter der Dachmarke „Your Now“ gegründet – für Carsharing, Mitfahrdienste, Parken, Elektroladesäulen und Apps zur Reiseplanung. „Zusammen sind wir stärker“, frohlockte Ex-BMW-Chef Krüger damals. Inzwischen wurden auch diese Aktivitäten auf nur noch drei Geschäftsbereiche zusammengestutzt.
Verlustbringende Randgeschäfte und Experimente werden aussortiert oder reduziert. Die Portfoliobereinigung ist signifikant, Share Now wird künftig nur noch in 18 Städten vertreten sein. Zum Vergleich: Beim Start des gemeinsamen Carsharing-Dienstes im Februar war man weltweit noch in 30 Metropolen aktiv.
„Wir haben das Thema Shared-Mobility insgesamt zu sehr gehypt. Selbst die größten Anbieter haben erhebliche Probleme“, heißt es in Daimler-Konzernkreisen. Jetzt werde priorisiert, zumal sich die gewünschte Skalierung nicht so leicht und schnell realisieren lässt wie erhofft. Der Grund: Die Regularien unterscheiden sich von Region zu Region. Um jede Stadt und Kommune muss mit hohem Personaleinsatz einzeln gerungen werden. Darüber hinaus müssen etwa beim Carsharing Tausende Fahrzeuge gewartet, betankt und umgeparkt werden. Ein Geschäftsmodell wird daraus erst, wenn die Autos ständig in Bewegung sind.
In Daimler-Kreisen wird schon befürchtet, die Joint Ventures um Your Now könnten zum „neuen Smart“ werden, in Anspielung auf die Kleinwagentochter, mit dem die Stuttgarter seit zwei Jahrzehnten Geld verbrennen.
Gänzlich aussteigen will Daimler bei Mobilitätsdiensten aber nicht. „Es ist wichtig, eine Verbindung zu haben“, erklärte der zuständige Daimler-Finanzchef Harald Wilhelm Mitte November vor Investoren in London. Um das Geschäft weiter zu skalieren, sei man aber „offen für weitere Partner“, sagte Wilhelm. Im Klartext heißt das: Daimler wie BMW suchen nach Financiers, um das noch verlustreiche Mobility-Geschäft aufzubauen. Es dürfen auch Finanzinvestoren sein, heißt es in Unternehmenskreisen.
Passé ist auch die Vision des früheren BMW-Chefs Krüger, der in den Mobilitätsdiensten das künftige Kerngeschäft gesehen hatte. Für 200 Millionen Euro kaufte BMW die „Drive Now“-Anteile des Autovermieters Sixt, um den Carsharer dann in das große Bündnis mit Daimler einzubringen. Während Sixt die Expansion in den USA von Beginn an nicht mitgehen wollte, gab Krüger das Ziel aus, über Dienstleistungen mittelfristig 100 Millionen Kunden an den Autohersteller zu binden.
Nachfolger Zipse stellte die Weichen mit einer Analogie zur Flugzeugindustrie neu. BMW sei ein „Flugzeughersteller und keine Airline“, sagt Zipse. Hier sei BMW in der Vergangenheit nicht „präzise“ genug gewesen, ließ der neue BMW-Chef wissen. Intern ist die Botschaft verstanden, der Autobau wird wieder in das Zentrum gerückt, die Mobilitätsdienste müssen schnell profitabel werden, wenn sie eine Zukunft bei BMW haben wollen.
Der strategische Schwenk von BMW und Daimler zahlt auf eine Debatte ein, die Automobilprofessor Ferdinand Dudenhöffer vor einigen Wochen mit einer Studie befeuert hatte. Überschrift: „Die große Ernüchterung“. In seiner Zehnjahresbilanz kommt Dudenhöffer, Chef des CAR Center Automotive Research an der Uni Duisburg-Essen, zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Sharing-Autos an der deutschen Pkw-Flotte trotz des Wachstums bei kaum spürbaren 0,04 Prozent liege.
Unter den rund 2,46 Millionen Fahrberechtigten von Sharing-Anbietern vermutet Dudenhöffer ohnehin viele Karteileichen, möglicherweise angelockt durch Boni oder Incentives bei der Anmeldung. Mit anderen Worten: Die großen Zahlen der Sharing-Dienste sagen nichts aus.
Das konnte die Branche nicht auf sich sitzen lassen. Carsharing habe sein „Potenzial als Instrument der Verkehrswende längst bewiesen“, kontert Gunnar Nehrke, Geschäftsführer des Bundesverbands Carsharing. Privater Pkw-Besitz und der persönliche Dienstwagen seien in den letzten 50 Jahren aber politisch massiv gefördert und von der Industrie mit ungeheuren Marketingbudgets beworben worden. Das habe natürlich Wirkung gezeigt, stellt Nehrke fest.
Der Besitz eines Pkws sei für viele Deutsche zum Mobilitätsparadigma schlechthin geworden. Und direkt gegen Dudenhöffer gerichtet: „Es ist ein wenig unglaubwürdig, dass ausgerechnet ein den Automobilherstellern nahestehender Wissenschaftler wie Ferdinand Dudenhöffer sich davon nun überrascht zeigt.“
Skepsis über Sharing-Geschäftsmodelle verbreiten allerdings auch andere Quellen. Analysten der Deutschen Bank sind der Ansicht, „individuelle Mobilität zählt zur DNA freiheitlicher Gesellschaften“. Es gebe zwar viele Gründe für den Zuwachs der Verkehrsleistung. Individuelle Mobilität zähle aber zu den menschlichen Grundbedürfnissen, „für die es eine hohe Zahlungsbereitschaft gibt“.
Ein Avis-Budget-Mobility-Report kommt zu dem Ergebnis, dass es 80 Prozent der Deutschen wichtig sei, ein eigenes Auto zu besitzen. Dazu passt eine Yougov-Umfrage für das Handelsblatt vom Donnerstag: 86 Prozent der Befragten nutzen überhaupt kein Carsharing. Laut Avis-Report gäbe es nur einen wichtigen Grund für die Deutschen (58 Prozent), sich von ihrem geliebten Blech zu trennen: Sharing-Angebote müssten billiger sein.
Carsharing ist deshalb aber noch lange nicht abgeschrieben. Alexander Sixt, Juniorchef des gleichnamigen Münchener Autovermieters, sagte unlängst dem Handelsblatt: „Wir sehen im klassischen Freefloat-Carsharing keine Möglichkeit, signifikant Geld zu verdienen, da der Markt schlichtweg zu klein ist.“ Sixt ist aber zugleich überzeugt, dass nur die Kombination von klassischem Autovermietgeschäft und Carsharing „wirtschaftlich sinnvoll ist“. Vielleicht wird so doch noch ein Geschäft aus der geteilten Mobilität.
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