Der neue VW-Chef Oliver Blume will den Konzern dezentraler führen und den einzelnen Einheiten mehr Verantwortung geben. Vor allem zwei Marken profitieren.
Oliver Blume
Der VW-Chef will den Konzern künftig dezentraler führen.
Bild: Porsche AG
Stuttgart Volkswagen-Chef Oliver Blume will den Konzern dezentraler als sein Vorgänger Herbert Diess führen und überträgt einzelnen Marken wie Audi oder Porsche mehr Verantwortung. „Ende Januar kommen wir mit allen Vorständen zu einer Zieleklausur zusammen“, kündigte Blume im Handelsblatt-Interview an. Unter Diess war die VW-Zentrale massiv gestärkt worden, was zu Unmut und Reibungen geführt hatte.
Neben Zielen sollen sich die Konzerneinheiten künftig zu klaren Kennzahlen bekennen und auf dieser Basis sogenannte „virtuelle Equity Stories“ entwickeln, also simulierte Börsengänge. Vorbild für dieses Vorhaben ist der IPO von Porsche im September 2022. Die Aktien des Sportwagenbauers sind inzwischen mehr wert als die von Volkswagen.
Im Topmanagement hatte der 54-jährige Blume zuletzt wichtige Schlüsselfunktionen mit Markenmanagern besetzt und die konzernweite Verantwortung für wesentliche Bereiche auf einzelne Einheiten verteilt. So kümmert sich die Kernmarke VW um Produktion und Einkauf für das gesamte Unternehmen, Audi um Vertrieb und Qualität, Porsche um Entwicklung und Design. Dadurch will Blume den Konzern näher an das operative Geschäft rücken. „Unsere Kunden kaufen Marken, keinen Konzern“, betont Blume.
Neu ist auch: Bei der Entwicklung des autonomen Fahrens werden alle Marken stärker an die Softwareeinheit Cariad angebunden. Etwa auch die VW-Nutzfahrzeugtochter, die bislang eigenständig an Robotaxis gearbeitet hat.
Blume führt den Volkswagen-Konzern und die Marke Porsche seit September in Personalunion und hält an seiner Doppelrolle fest. „Beide Werte haben Potenzial“, sagte der VW-Chef mit Blick auf die Aktienkurse der beiden Unternehmen. Bei Volkswagen wolle man dieses Potenzial „noch stärker freilegen“.
Herr Blume, vor wenigen Tagen ist der langjährige VW-Chef Carl Hahn gestorben. Wie haben Sie ihn erlebt?
Wir alle trauern um Carl Hahn und fühlen mit seinen Angehörigen. Er war ein Visionär und eine großartige Persönlichkeit. Ich habe die persönlichen, inspirierenden Gespräche mit ihm sehr geschätzt. Über vier Jahrzehnte hat er bei Volkswagen die Weichen gestellt und Grundlagen für den heutigen Erfolg des Unternehmens geschaffen. Carl Hahn war, ist und bleibt fester Bestandteil der Volkswagen-Familie.
Seit September führen Sie den Konzern. Zunächst waren Sie vor allem damit beschäftigt, die Baustellen Ihres Vorgängers Herbert Diess abzuräumen. Was haben Sie sich für 2023 vorgenommen?
Es gibt viel Positives, aber auch Felder mit Handlungsbedarf. Mein Blick geht immer nach vorn. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr auf Basis eines Zehn-Punkte-Programms wichtige Entscheidungen getroffen. Ganz oben auf der Liste stehen die finanzielle Robustheit und die Produkte, deshalb haben wir die Kennzahlen für den Konzern geschärft und die Produktstrategien unserer Marken überarbeitet.
Was waren die größten Baustellen – und wie geht es weiter?
Wir haben die Software und die Fahrzeug-Plattformen unter technologischen Aspekten umfassend neu geordnet. Bei Batterie, Laden und den Mobilitätsdienstleistungen haben wir die Geschäftsmodelle weiter ausgearbeitet. Und in China und Amerika haben wir weitreichende Strategien und konkrete Programme erarbeitet, um nur einige Beispiele zu nennen. 2023 setzen wir das Programm systematisch mit allen Marken und Einheiten um, gemeinsam im Team.
Wie genau?
Ende Januar kommen wir mit allen Vorständen zu einer Zieleklausur zusammen. Jede Marke und Einheit stellt einen klaren Plan für 2023 vor – für Strategie, Produkte, finanzielle Kennzahlen und Nachhaltigkeit. Diese Vereinbarung gibt den unternehmerischen Rahmen für jeden Einzelnen und definiert, wo wir als Team hinwollen. Kurzfristig, aber auch langfristig.
Klingt so, als ob bei VW bald wieder die alten Markenfürsten regieren.
Darum geht es nicht. Wir müssen das Maximale aus jeder Marke herausholen – mit größtmöglicher Unterstützung des Konzerns. Unsere Marken sind das Fundament und unsere große Stärke. Es geht um klare Leitplanken und Führung. Unsere Kunden kaufen Marken, keinen Konzern. Aus meiner Erfahrung bei Audi, Seat, Volkswagen und Porsche weiß ich, wie wir Marken erfolgreich und unternehmerisch entwickeln.
Da spricht der Porsche-Chef Blume. Als Konzernchef müssen Sie aber schauen, dass die Zahlen stimmen.
Ich habe immer beide Welten präsent: Porsche und den Konzern. Das ist ein Vorteil für alle. Ich bin Unternehmer. Wir geben ein finanzielles Gerüst mit klaren Kennzahlen vor. Hier agiert der Konzern als Investor mit eindeutigen Erwartungen.
Neben den Renditekennzahlen liegt mein Fokus insbesondere auf dem Netto-Cashflow und dem Break-even-Punkt, der Messlatte der Profitabilität. Auf Basis dieser Kennzahlen und der jeweiligen Strategie entwickeln Marken und Einheiten sogenannte virtuelle „Equity Stories“. Das hat Porsche bei der Vorbereitung des Börsengangs extrem geholfen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen, die Positionierung im Markt zu schärfen und die Performance zu steigern.
Oliver Blume mit Porsche-Finanzchef Lutz Meschke
Der Börsengang des Sportwagenbauers wird Vorbild für den gesamten Konzern.
Bild: dpa
Und wenn eine Marke nicht liefert?
Dann müssen wir uns unterhalten. Mir geht es um Verbindlichkeit. Wir vereinbaren konkrete, ehrgeizige, realistische Ziele und kämpfen gemeinsam dafür, sie zu erreichen. Darüber entsteht Motivation, Teamgeist und Erfolg. Wie im Sport.
Wichtig für Ihre Ziele sind vor allem Ihre Produkte, die Autos. Dieses Jahr müsste der Porsche E-Macan fertig werden, über den Ihr Vorgänger gestolpert ist. Damals wurde das neue Betriebssystem nicht fertig. Wie sieht es heute aus?
Wir kommen voran. Der E-Macan fährt sich schon jetzt fantastisch. Unser Ziel steht: Der vollelektrische Macan und auch der Audi Q6 e-tron sollen dieses Jahr fertig und 2024 an unsere Kundinnen und Kunden ausgeliefert werden. Die Autos sind von der Hardware her so gut wie serienreif. Bei der Software ist es üblich, im Anlauf eine Reihe von Fehlern zu beheben. Ein markenübergreifendes Team testet die Autos täglich.
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Wo hakt es noch?
Das ist üblicherweise ein breites Spektrum: Mal ist eine Warnleuchte zu prüfen, mal eine Funktion zu optimieren oder ein Bedienelement intuitiver zu gestalten. Wir lösen alles im Team mit unserer Softwaretochter Cariad und den Marken.
Die Autos laufen erstmals auf einem neuen Betriebssystem, können Sie einmal ein Feature dazu herausgreifen, was die Autos nun besser können?
Die Reaktionszeit der Software ist vergleichbar mit einem Tablet. Das System reagiert in Sekundenschnelle. Wenn Sie zum Beispiel die Navigation eintippen, bekommen Sie die Route sofort angezeigt. Zudem gibt es vielfältige Applikationen und Services – und das gleichzeitig auf verschiedenen Bildschirmen.
Bei einem Auto, das je nach Ausstattung schnell über 100.000 Euro kostet, darf man das erwarten. Was ist mit der Ladezeit?
Die Ladezeit ist wichtig. Ebenso wie ein präzises Fahrwerk, zeitloses Design und Performance. Bei Porsche arbeiten wir daran, perspektivisch in 15 Minuten auf rund 80 Prozent der Ladekapazität zu kommen. Aktuelle Modelle wie der Taycan erhalten ein Update mit mehr Reichweite und kürzerer Ladezeit.
Sie brauchen die neuen Autos mit einer funktionierenden Software, um damit auch in Zukunft ausreichend Geld zu verdienen. Wie sehr ärgert es Sie, dass die Software Sie immer wieder ausbremst?
Wir wären gern schneller gewesen. Bei Porsche sind wir gleichzeitig in der Situation, dass sich der aktuelle Macan mit Verbrennungsmotor weiterhin sehr gut verkauft. Mehr als 80.000 Bestellungen im Jahr sprechen für sich. Grundsätzlich bringt es nichts, sich über Verzögerungen zu ärgern.
Macan-Produktion in Leipzig
Im kommenden Jahr soll eine elektrische Version des Modells an den Start gehen.
Aber Sie haben doch nicht nur Zeit, sondern auch Geld verloren. Die Umsätze aus E-Autos wären sicherlich on top gekommen, oder?
Darüber spekulieren wir nicht. Wir richten den Blick nach vorn.
Wir wüssten trotzdem gerne noch, was aus Ihrer Sicht schiefgelaufen ist.
Wir haben uns beim Aufsetzen der Cariad zu viel vorgenommen, das haben uns auch andere erfahrene Softwareentwickler bestätigt. Nicht einmal Softwareunternehmen entwickeln zwei Betriebssysteme zugleich. Das gilt erst recht für ein Unternehmen wie Volkswagen, das weit weniger Erfahrung in der Entwicklung von Software hat.
Wird es Ende 2023 Cariad als zentrale Softwareeinheit noch geben?
Mit Sicherheit. Ich halte es für die absolut richtige Entscheidung, die Softwarekompetenz an einer Stelle im Konzern zu bündeln. Wir hatten einiges an Strukturierung zu erledigen. Zum Beispiel haben wir verschiedene Softwaregenerationen neu sortiert. Aktuell optimieren wir mit der Cariad Zuschnitt, Partner und Schnittstellen zu den Marken. Ein Re-Design, bei dem wir tief in die Organisation leuchten.
Wenn ich Cariad-Mitarbeiter wäre, würden mich solche Worte nicht unbedingt beruhigen.
Das Beruhigende ist: Wir machen dieses Re-Design gemeinsam mit der Cariad. Solch ein komplexes Unternehmen von null aufzubauen, gelingt nicht von einem auf den anderen Tag. Es ist normal, immer wieder zu justieren. Ich bekenne mich zu 100 Prozent zur Cariad als Teil des Volkswagen-Konzerns.
Messeauftritt der VW-Tochter Cariad
„Ich halte es für die absolut richtige Entscheidung, die Softwarekompetenz an einer Stelle im Konzern zu bündeln“, sagt VW-Chef Blume.
Bild: imago images/Arnulf Hettrich
Wann kann man mit der Version 2.0 rechnen?
In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Im Moment konzentrieren wir uns auf die neue Softwaregeneration 1.2, die in den kommenden Jahren kontinuierlich weiterentwickelt wird. Einzelne Bestandteile übertragen wir später in die zukünftige Architektur 2.0.
Sind die Entwickler nicht frustriert, weil sie vom großen Software-Zukunftsprojekt 2.0 abgezogen worden sind?
Überhaupt nicht, es geht in beiden Fällen um technologische Spitzenprodukte. Es gibt nur einen wesentlichen Unterschied der Softwareversionen: Die 2.0 wird für das voll automatisierte Fahren vorbereitet. Hier gehen wir schrittweise vor, wie die gesamte Automobilbranche. Das voll automatisierte Fahren wird technisch und regulatorisch noch Zeit brauchen. Unsere Entwickler sind hochmotiviert, mit der 1.2 eine Spitzensoftware für Porsche und Audi zu entwickeln.
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Ihr Vorgänger wollte künftig 60 Prozent der benötigten Software selbst entwickeln. Halten Sie an dieser Vorgabe fest?
Ich halte in diesem Zusammenhang nichts von starren Zielen. Bei der Wertschöpfungstiefe müssen wir uns fragen: Was ist intern sinnvoll? Welche Kompetenzen benötigt die Cariad? Was entwickeln wir mit Partnern? Im Ziel geht es um eine offene Plattform, die mit spezifischen Anwendungen verknüpft werden kann. Etwa beim Infotainment mit Apple Car Play oder Google-Applikationen.
Und das Ziel, dass Cariad bis 2025 etwa 10.000 Mitarbeiter bekommen soll, ist dann auch kassiert?
Die Zahl der Mitarbeiter ergibt sich aus den künftigen Aufgaben für die Cariad. Deshalb nenne ich auch hier keine konkrete Zielgröße.
Derzeit schreibt die Cariad noch Verluste. Wird sich das bald ändern?
Das ist ein normaler Zustand. In ein junges Unternehmen ist gerade am Anfang zu investieren. Sobald mehr Autos mit einer Cariad-Software unterwegs sind, wird sich das Bild ändern. Hier bietet der Volkswagen-Konzern große Skalenvorteile.
Herbert Diess hat Volkswagen häufig mit Tesla verglichen. Wer ist für Sie der Maßstab?
Immer der Beste in jedem Segment. Das können auch Unternehmen außerhalb der Automobilindustrie sein. Vergleiche sind wichtig, um die beste Lösung zu finden. Wir setzen auf unsere eigenen Stärken und verbinden sie mit innovativen Lösungen. Immer im Sinne unserer Kunden.
Ihr Projekt Trinity sollte mal der Tesla-Angreifer werden. Davon ist nichts mehr zu hören.
Das Projekt ist Bestandteil unserer nächsten Planungsrunde. Aufgrund der neu geordneten Meilensteine für Software und Plattformen wird das Projekt zeitlich etwas versetzt.
Was heißt denn zeitlich versetzt?
Da will ich der Planungsrunde nicht vorgreifen.
Und das geplante Trinity-Werk in Wolfsburg-Warmenau? Zuletzt klang es so, als ob Sie es nicht mehr bauen …
Die Entscheidung über das Werk in Warmenau werden wir in diesem Jahr treffen. Da das Trinity-Modell etwas später kommt, gewinnen wir zeitlichen Spielraum und könnten das Auto möglicherweise im vorhandenen Stammwerk produzieren. Die künftige Modellbelegung für Wolfsburg prüfen wir derzeit noch. Das Ergebnis wird in jeder Variante sichere Arbeitsplätze bieten.
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Die Kosten spielen dabei eine wichtige Rolle?
Wenn wir das Trinity-Modell besser im Stammwerk produzieren könnten, dann würden wir das wohl machen. Der Bau eines komplett neuen Autowerks wäre aufwendiger. Aber wie gesagt: Das Ergebnis steht noch nicht fest.
Bei der Entwicklung von Robotaxis hat die VW-Nutzfahrzeugtochter die hochgelobte Zusammenarbeit mit der US-Techfirma Argo AI beendet. Warum?
Robotaxis spielen für uns nach wie vor eine Rolle. Wenn man auf einem weißen Blatt Papier damit beginnt, gibt es auch Pfade, die nicht zum Ziel führen – wie mit Argo. Ich trenne mich von Themen, die nicht erfolgreich sind, bevor ich über Jahre weiter Geld hineinstecke. Da bin ich konsequent.
Wird es bei VW Nutzfahrzeuge weiterhin eine eigenständige Entwicklung des autonomen Fahrens geben?
Wer sich künftig auf welche Entwicklungsarbeiten konzentriert, haben wir bereits entschieden. Wir verbinden alles zu einem Netzwerk. Gemeinsam zwischen den Marken und der Cariad.
Bislang war die Nutzfahrzeugtochter in Hannover beim autonomen Fahren allein unterwegs. Damit ist es also künftig vorbei?
Alle Stränge des autonomen Fahrens werden eng an das Cariad-System gekoppelt. Die Zuständigkeit für die unterschiedlichen Stufen des automatisierten Fahrens verbinden wir mit der Marke, die die Technologie als Erstes einsetzt.
Wird das autonome Fahren also viel länger brauchen, als viele bislang gedacht haben?
Ja. Das betrifft sowohl die technologische Entwicklung als auch die Gesetzgebung. Wir müssen das assistierte Fahren Schritt für Schritt weiterentwickeln, um eines Tages beim voll automatisierten Fahren anzukommen – also Level 4. Zentraler Punkt ist die Sicherheit der Kunden.
Und was ist mit der höchsten autonomen Stufe auf Level 5? Das kommt nicht vor 2050?
Das wird man sehen. Level 5 hängt von sehr vielen Faktoren ab. Irgendwann wird es kommen, daran glaube ich schon.
Reicht Ihr Glaube auch dafür, dass Volkswagen Ende des Jahres an der Börse mehr wert sein wird als Porsche?
Natürlich freuen wir uns darüber, wie gut sich die Porsche-Aktie in den vergangenen Wochen entwickelt hat. Mir geht es darum, dass sich beide Unternehmen und die entsprechende Börsenbewertung gut entwickeln. Beide Werte haben Potenzial. Für den Volkswagen-Konzern wollen wir dieses Potenzial noch stärker freilegen. Unsere Investoren interessieren neben den Kennzahlen eine schnelle Umsetzung unserer Elektrostrategie, die richtige Kapitalallokation und das Heben von Synergien auf Marken- und Produktebene. Diese Themen adressieren wir konsequent.
Herr Blume, vielen Dank für das Interview.
Erstpublikation: 19.01.2023, 14:23 Uhr.
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