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21.01.2021

18:44

Pfizer und Biontech

Gerangel um Liefermengen beim Corona-Impfstoff

Von: Siegfried Hofmann, Bert Fröndhoff, Gregor Waschinski, Hans-Peter Siebenhaar, Christian Wermke

Ein Engpass bei den Impfstoff-Lieferungen von Pfizer und Biontech sorgt für Unruhe in der Politik. Aus den Kommunen kommt Kritik, die Kanzlerin versucht zu beruhigen.

In der Politik wächst die Kritik an den Herstellern des Corona-Impfstoffs. AFP

Impfstoff von Pfizer und Biontech

In der Politik wächst die Kritik an den Herstellern des Corona-Impfstoffs.

Frankfurt, Düsseldorf, Berlin, Brüssel, Rom Der Kampf gegen die Corona-Pandemie wird zusehends von einem Streit um Impfstoff-Lieferungen überlagert. Für Unmut in Teilen der Politik sorgt vor allem die Ankündigung des US-Konzerns Pfizer und der Mainzer Biotechfirma Biontech, die Produktion und die Auslieferungen ihres Covid-Impfstoffs vorübergehend zu reduzieren. Der Grund: Ausbauarbeiten am Pfizer-Standort im belgischen Puurs, um die Produktionskapazitäten zu erweitern.

„Das ist ein Thema, das verärgert“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Begründung sei zwar verständlich und auch gut. „Aber es ist sehr unbefriedigend, dass das über Nacht mitgeteilt wurde.“ Besonders heftige Kritik regte sich in Italien, wo die Regierung sogar rechtliche Schritte gegen Pfizer nicht ausschließt. 

Eher zurückhaltend äußern sich dagegen die EU-Kommission und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie verweisen auf Zusagen von Biontech und Pfizer, den ursprünglichen Zeitplan für die Lieferungen in einer Woche wieder einzuhalten und die Lieferungen ab Mitte Februar zu erhöhen. „Wir haben gewusst, dass wir am Anfang nicht so viel Impfstoff haben werden“, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag und verwies auf die begrenzten Produktionskapazitäten. Das Tempo werde aber zunehmen, vor allem wenn das Vakzin des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens Astra-Zeneca in der kommenden Woche wie erwartet die EU-Zulassung erhält

Der von der Mainzer Biontech entwickelte Covid-Impfstoff Comirnaty hatte am 23. Dezember als erstes Corona-Vakzin in der EU eine Zulassung erhalten und bildet seither das Rückgrat für die Impfkampagnen in der Europäischen Union. Die EU hat bei Biontech und Pfizer bisher 300 Millionen Dosen fest bestellt und Vorgespräche über einen Liefervertrag für weitere 200 Millionen Einheiten geführt. Seit 6. Januar ist außerdem ein vergleichbarer Impfstoff der US-Firma Moderna zugelassen, von dem die EU 160 Millionen Dosen geordert hat. Davon sollen zehn Millionen Dosen im ersten Quartal ausgeliefert werden. 

Insgesamt wurden in der EU bisher rund 6,9 Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft, 1,3 Millionen davon in Deutschland. Das entspricht nur etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung und vergleicht sich mit Impfquoten von mehr als 30 Prozent in Israel, 7,5 Prozent in Großbritannien und rund fünf Prozent in den USA. 

„Nach menschlichem Ermessen“ werde Deutschland im dritten Quartal so viel Impfstoff haben, dass es wahrscheinlich Dosen an andere Länder abgeben könne, so Merkel. Spätestens bis Ende des Sommers solle jeder Deutsche ein Impfangebot erhalten: „Also kalendarisch bis zum 21. September.“ Garantien zum weiteren Ablauf der Lieferungen wollte die Kanzlerin nicht abgeben. „Ich betreibe keine Produktionswerke für Impfstoffe“, sagte sie. Die Bundesregierung tue aber alles, um die Hersteller zu unterstützen. 

700.000 Dosen pro Woche in Aussicht

In Deutschland wurden nach Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium seit der Zulassung kurz vor Weihnachten bisher etwa 3,4 Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs ausgeliefert. In der kommenden Woche wird sich die Lieferung nach den neuen Plänen von Pfizer und Biontech auf 485.000 Einheiten reduzieren, um dann wieder schrittweise auf mehr als 700.000 Dosen pro Woche anzusteigen. 

Im Februar wird die Zahl der verfügbaren Impfdosen damit sogar höher liegen als ursprünglich erwartet. Dabei kommt den Herstellern zugute, dass die europäische Arzneimittelagentur Ema es jüngst erlaubte, sechs Dosen des Vakzins aus einem Impfstoff-Fläschchen zu ziehen, statt zuvor fünf. Zudem kann Pfizer in Puurs mehr Impfstoff abfüllen als bisher. Am 1. Februar rechnet Pfizer laut Gesundheitsministerium mit zwei Prozent, am 8. und 15. Februar mit je elf Prozent und am 22. Februar mit 36 Prozent mehr Impfdosen für Deutschland als zuvor geplant. 

Der Kritik an Biontech und Pfizer wegen der aktuellen Lieferengpässe schloss sich Merkel angesichts dieser Daten nicht an. Pfizer stehe zu seinen Lieferversprechen für das erste Quartal: „Ich habe nichts gehört, dass das nicht stattfinden kann.“ Sie verwies auch auf die neue Produktionsstätte von Biontech in Marburg, die im Februar den Betrieb aufnehmen könnte. Dann könne die EU-Kommission für das zweite Quartal noch einmal 75 Millionen Dosen für alle Mitgliedstaaten sichern, so Merkel. 

Biontech hat die biotechnische Produktionsanlage in Marburg vom Schweizer Pharmakonzern Novartis übernommen und will sie zur größten europäischen Fertigung von gentherapeutischen Impfstoffen ausbauen. Detaillierte Auslieferungsmengen für die EU wurden bisher nicht veröffentlicht. Biontech betonte am Donnerstag jedoch, dass man alle Liefervereinbarungen eingehalten habe. 

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An der „Impfbasis“ ist der Unmut über die Lieferverzögerungen deutlich zu spüren – vor allem bei den Kommunen. Die von ihnen eingerichteten Impfzentren sind ausgerüstet und stehen bereit, können aber nicht wie geplant beginnen.

So sollte etwa in Nordrhein-Westfalen am 1. Februar in den 53 Zentren mit der Erst-Impfung der über 80-Jährigen begonnen werden. Das hat die Landesregierung nun um eine Woche nach hinten verschoben. Die Termine sollen aber wie geplant ab dem kommenden Montag vergeben werden.

In anderen Bundesländern zeigt sich eine ähnliche Lage. So sollten in der fränkischen Stadt Schweinfurt die Impfungen mit bis zum 400 Injektionen pro Tag längst gestartet sein. Doch in den Zentren tut sich noch nichts. Bayern bekommt bis Mitte Februar rund 13 Prozent weniger Vakzine als ursprünglich eingeplant.

Allein in NRW fehlen wegen der Lieferverzögerung bei Biontech/Pfizer rund 100.000 Dosen. Die Landesregierung hat deswegen auch einen sofortigen Erst-Impfstopp in allen Kliniken erlassen, die mit diesem Vakzin arbeiten. Die vorliegenden Bestände sollen nun dazu genutzt werden, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen mit den notwendigen zweiten Impfdosis zu versorgen.

In Italien wächst die Kritik an den Impfstoffherstellern

Kritische Reaktionen kommen auch aus anderen europäischen Ländern, besonders aus Italien. „Jeden Tag kann man sich auf eine böse Überraschung von Pfizer freuen“, erklärte Domenico Arcuri jüngst, der als Sonderkommissar der italienischen Regierung die Coronakrise managt. Eigentlich sollten in Rom bis Ende Februar 3,36 Millionen Dosen des Biontech-Pfizer-Impfstoffs ankommen. Bislang klaffe aber eine Lücke von 29 Prozent bei den angekündigten Lieferungen.

In Italien wächst der Unmut über die Hersteller der Impfstoffe. dpa

Impfzentrum in Rom

In Italien wächst der Unmut über die Hersteller der Impfstoffe.

In dieser und der kommenden Woche kommen jeweils 165.000 Dosen weniger als geplant in Italien an. Diese Zahl könne sich nun noch einmal erhöhen. Von weiteren Hunderttausenden Dosen ist die Rede in Rom. 

Es gibt danach sogar einige Regionen in Italien, in denen bislang nur die Hälfte der versprochenen Dosen angekommen ist. Das könnte die gesamte Impfkampagne zum Wanken bringen, die Anfang des Jahres landesweit startete. Rund 1,25 Millionen Italiener sind bislang geimpft – rund zwei Prozent der Bevölkerung. Nach Schätzungen von Arcuri drohen durch die Lieferengpässe mindestens 54.000 Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten und zu den ersten Geimpften zählten, die zweite Dosis zu spät zu erhalten.

Wie die Kanzlerin demonstriert auch die EU-Kommission Zuversicht, dass die Lieferengpässe von Pfizer bald behoben sein werden. „Nach Gesprächen mit Biontech-Pfizer und den Mitgliedstaaten am 15. Januar hat das Unternehmen nun zugesagt, den ursprünglichen Zeitplan für die Lieferungen in einer Woche wieder einzuhalten und die Lieferungen ab Mitte Februar zu erhöhen“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Brüssel sei in täglichem Kontakt sowohl mit den Pharmakonzernen als auch mit den Mitgliedsländern, um die reibungslose Lieferung sicherzustellen. 

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Die EU-Kommission hat nach eigener Aussage vertragliche Sanktionsmöglichkeiten, um auf mögliche Lieferausfälle zu reagieren. „Alle Verträge enthalten Klauseln in Form von vertraglichen Haftungsklauseln und Kündigungsrechten“, so ein Sprecher der EU-Kommission. Genauere Angaben wollte er nicht machen. Die EU ist in die Verteilung der Impfstoffe allerdings nicht direkt involviert. Die Zeitpläne und Modalitäten der Lieferungen werden nach Angaben aus Brüssel vielmehr in spezifischen Verträgen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Hersteller geregelt. 

Weitere Zulassungen in Sicht

Auch die EU geht davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Monaten deutlich entspannen wird, wenn Biontech und Pfizer ihre Produktion weiter steigern und weitere Impfstoffe zugelassen werden. So will die Ema bis zum 29. Januar über den Astra-Zeneca-Impfstoff entscheiden. 

So nahm der österreichische Europaabgeordnete Andreas Schieder (SPÖ) nicht zuletzt auch mit Blick auf den britischen Impfstoff die EU-Kommission in Schutz. „Die Produktionsengpässe bei Biontech-Pfizer sind ungünstig, aber ich habe Vertrauen in die Europäische Arzneimittelbehörde Ema, dass der Impfstoff von Astra-Zeneca ordentlich geprüft und bald zugelassen wird“, sagte er vor den Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs über koordinierte Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie am Donnerstagabend.

Neben dem Vakzin der Briten streben zudem weitere Firmen Zulassungen für Covid-Impfstoffe an. So haben Vertreter des russischen Gamaleya-Instituts jüngst angekündigt, in Kürze die EU-Zulassung für ihren Impfstoff zu beantragen. 

Noch im ersten Quartal dürften ferner der US-Konzern Johnson & Johnson sowie das Tübinger Biotechunternehmen Curevac Daten aus großen klinischen Studien vorlegen, die Grundlage für Zulassungsanträge sein könnten. Alles in allem könnte damit im Laufe des zweiten Quartals ein halbes Dutzend Impfstoffe zur Verfügung stehen.

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