Hohe Erträge aus dem Corona-Geschäft machen vieles möglich: Für stärkeres Wachstum stemmt der Branchenführer eine Übernahme nach der anderen – und der Spielraum ist weiter groß.
Pfizer
Der US-Pharmariese investiert die Milliardeneinnahmen aus der Coronaimpfung in Übernahmen.
Bild: Reuters
Frankfurt Alle drei bis vier Monate ein Milliardendeal – in diesem Tempo übernimmt der amerikanische Pharmariese Pfizer derzeit vielversprechende Start-ups und Konkurrenten. Anfang der Woche setzte der US-Konzern und Impfstoff-Partner von Biontech seine Einkaufstour mit dem Erwerb des US-Biotech-Unternehmens Global Blood Therapeutics (GBT) für rund 5,4 Milliarden Dollar fort.
Pfizer verstärkt mit dieser Transaktion sein Engagement im Bereich seltener Erkrankungen. Hauptprodukt von GBT ist ein Medikament gegen Sichelzellenanämie, eine Erbkrankheit, die durch verformte rote Blutkörper und dadurch ausgelöste Blutarmut und Durchblutungsstörungen gekennzeichnet ist.
Für Pfizer ist es bereits der dritte derartige Deal im laufenden Jahr. Anfang Mai hatte Pfizer die Komplettübernahme des Partners Biohaven für 11,6 Milliarden Dollar vereinbart, an dem der Pharmariese im Rahmen einer Vertriebspartnerschaft zuvor schon mit einem kleineren Anteil beteiligt war. Biohaven hat ein neuartiges Migränemittel entwickelt, das im Rahmen der Partnerschaft bereits von Pfizer vertrieben wird.
Vorangegangen war die Übernahme der kleinen Forschungsfirma Reviral, die an Medikamenten gegen Infektionskrankheiten arbeitet, darunter insbesondere Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial Virus (RSV). Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Pfizer mit dem Kauf des Krebsforschungsspezialisten Trillium und der Übernahme der Biotech-Firma Arena verstärkt, die diverse Projekte im Bereich der Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen verfolgt. Alles in allem addieren sich damit die Akquisitionen des Branchenführers im Pharmasektor seit Mitte des vergangenen Jahres auf rund 26 Milliarden Dollar.
Aber dabei wird es kaum bleiben. Denn angesichts der selbst gesetzten Ziele und der riesigen Einnahmen aus dem Geschäft mit Covid-Impfstoffen und -Medikamenten dürften sich CEO Albert Bourla und sein Strategiechef Aamir Malik mit der bisherigen Einkaufstour kaum zufriedengeben.
Erklärtes Ziel ist es, mit dem angestammten Geschäft und durch eigene Forschung außerhalb des Covidbereichs bis Ende des Jahrzehnts jährlich etwa sechs Prozent organisches Wachstum zu generieren und gleichzeitig durch Akquisitionen ein zusätzliches Umsatzpotenzial von 25 Milliarden Dollar bis 2030 zu schaffen. Davon ist der Pharmariese mit den bisherigen Deals noch ein gutes Stück entfernt.
Für die Produkte von Reviral und Biohaven sieht das Pfizer-Management ein Spitzenumsatz-Potenzial von zusammen 6,5 Milliarden Dollar. Das Sichelzellenanämie-Mittel Oxbryta und weitere Entwicklungsprojekte von GBT könnten nach Ansicht des Konzerns bis zu drei Milliarden Dollar bringen. Allerdings sind dazu noch erhebliche Erfolge nötig. Im ersten Quartal brachte das Mittel Erlöse von lediglich 55 Millionen Dollar.
Malik ließ im jüngsten Analysten-Call daher wenig Zweifel daran, dass Interesse an weiteren Übernahmen besteht. „Wir drehen fast jeden Stein um, wenn es darum geht, neue Gelegenheiten zu finden“, so Malik. Man sei weiter zuversichtlich, den Ausbau des Geschäfts erfolgreich voranzutreiben, und sei dabei agnostisch, was Größe und Struktur möglicher Deals angehe.
Finanziell und geschäftlich befindet sich der US-Konzern in einer absoluten Sonderposition, die ihm erheblichen Spielraum bietet. Denn der zusammen mit Biontech entwickelte Covid-Impfstoff Comirnaty sowie das in eigener Regie entwickelte Covid-Medikament Paxlovid bescheren Pfizer derzeit Rekordumsätze und -erträge.
Im ersten Halbjahr trugen die beiden Produkte mit Erlösen von zusammen mehr als 31 Milliarden Dollar maßgeblich zu einem Umsatzplus von 62 Prozent auf 52,7 Milliarden Dollar und einem Gewinnanstieg von 70 Prozent auf 17,8 Milliarden Dollar bei. Im Gesamtjahr steuert Pfizer nach eigenen Prognosen auf einen Umsatz von rund 100 Milliarden Dollar und einen bereinigten Nettogewinn von bis zu 37 Milliarden Dollar zu. Ähnlich hoch dürfte der freie Cashflow ausfallen.
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Einen zusätzlichen zweistelligen Milliardenbetrag könnte zudem der Ausstieg aus dem Consumer-Health-Konzern Haleon bringen, an dem Pfizer bisher noch mit knapp einem Drittel beteiligt ist. Das britische Unternehmen, das Pfizer vor zwei Jahren zusammen mit dem britischen Pharmakonzern GSK formiert hatte, ist seit Kurzem als eigenständiges Unternehmen an der Börse notiert und wird dort aktuell mit knapp 35 Milliarden Dollar bewertet.
Angesichts der hohen Liquiditätszuflüsse und der ohnehin bereits soliden Bilanzstruktur handeln Analysten Pfizer schon seit Längerem als Topkandidat für größere Zukäufe. Manche Experten sehen die finanzielle Feuerkraft des Konzerns bei deutlich mehr als 100 Milliarden Dollar. Klar erscheint damit auf jeden Fall, dass die Möglichkeiten mit den bisherigen Deals noch bei Weitem nicht ausgereizt sind.
Andererseits steht Pfizer auch unter gewissem Druck, seine Produktpipeline jenseits von Covid-19 zu verstärken. Für die längerfristige Entwicklung kann sich der Pharmariese nicht auf die Covidprodukte verlassen. Denn die Umsätze in diesem Segment werden nach Erwartung der meisten Analysten vielmehr ab 2023 wieder deutlich schrumpfen.
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Im angestammten Pharmageschäft wächst Pfizer unterdessen nur mäßig. Klammert man Paxlovid und Comirnaty aus, stagnierten die Erlöse im ersten Halbjahr 2021 bei 21 Milliarden Dollar. Wichtige Umsatzträger wie das Krebsmittel Ibrance und der Blutverdünner Eliquis werden zudem ab Mitte des Jahrzehnts ihren Patentschutz verlieren. Vor diesem Hintergrund wirken die Wachstumsziele aus Sicht vieler Investoren relativ ambitioniert.
Das wiederum erklärt auch die – trotz Coviderfolg – nach wie vor eher mäßige Bewertung von Pfizer an der Börse: Gemessen an dem für 2022 prognostizierten Gewinn von 6,30 bis 6,45 Dollar je Aktie wird der Konzern aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von weniger als acht gehandelt, während sich für die meisten wichtigen Konkurrenten KGVs zwischen zehn und 20 ergeben.
Der deutlich kleinere Konkurrent Eli Lilly wird aufgrund seiner stärkeren Wachstumsperspektiven derzeit sogar mit einem KGV von etwa 40 bewertet und bringt dadurch insgesamt mit 287 Milliarden Dollar eine etwas höhere Marktkapitalisierung auf die Waage als der gut viermal so große Pfizer-Konzern.
Vor diesem Hintergrund wird es für den US-Konzern sehr stark darauf ankommen, mit Akquisitionen tatsächlich neue Wachstumschancen zu schaffen und davon aus den Kapitalmarkt zu überzeugen.
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