Branchenvertreter stellen sich gegen die Politik und schlagen Alarm: Ausfuhrbeschränkungen für Impfstoffe würden Europa mehr schaden als nutzen, glauben sie.
Impfstoff von Astra-Zeneca
Die Verteilung der Impfstoffdosen droht auch auf politischer Bühne zum Problem zu werden. Das zeigt allerdings auch hausgemachte Versäumnisse.
Bild: dpa
Frankfurt, Berlin Die Debatte über mögliche Exportbeschränkungen für Covid-Impfstoffe wird zum Streitfall zwischen Politik und Industrie. Merck-Chef Stefan Oschmann warnt jetzt eindringlich vor solchen Eingriffen: „Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, über die ich mir große Sorgen mache. Ein Impfstoffkrieg wird allen schaden“, sagt der CEO des Dax-Konzerns im Interview mit dem Handelsblatt.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende erklärt, man könne die bisherige Exportpraxis den Bürgern kaum noch erklären, und mit weiteren Exportbeschränkungen vor allem gegen Astra-Zeneca und Großbritannien gedroht. Bislang lässt die Europäische Union die Ausfuhr von Corona-Impfstoffen weitgehend zu, obwohl in der EU ein Mangel an diesen Präparaten herrscht und die Impfungen nur schleppend voranschreiten.
Bereits am Mittwoch hatte von der Leyen Exporte in solche Länder infrage gestellt, in denen ein höherer Anteil der Bevölkerung geimpft ist als in der EU. Das trifft neben Großbritannien auch auf die USA zu. Der britische Premierminister Boris Johnson bemüht sich in Gesprächen mit EU-Vertretern, einen Impfstoffhandelskrieg abzuwenden.
„Ich bin nach Gesprächen mit EU-Partnern in den vergangenen Monaten sicher, dass sie keine Blockaden wollen“, sagte Johnson am Montag der Agentur Bloomberg. „Ich denke, das ist sehr, sehr wichtig.“ Die EU-Kommission stellte in Brüssel klar, dass auch sie eigentlich keine Exportverbote wolle. Doch müsse die EU bestellte Impfstoffe von Herstellern rasch und verlässlich bekommen.
Aus Sicht von Branchenvertretern drohen Exporteinschränkungen die internationale Arbeitsteilung und Vernetzung in der Branche zu unterminieren. Oschmann warnt etwa, dass die USA ihrerseits mit Exportverboten für wichtige Biotechvorprodukte die europäische Pharma- und Biotechindustrie lähmen könnten.
Der Streit über Exportbeschränkungen wirft auch ein Licht auf die komplexen Produktionsstrukturen in der Pharmabranche und potenzielle Schwächen in der europäischen Industriepolitik.
Die Tatsache, dass es an Covid-Impfstoffen mangelt, obwohl europäische Forscher und Unternehmen stark an der Erforschung solcher Vakzine beteiligt waren und erhebliche Fördermittel in die Forschung flossen, ist nach Einschätzung von Branchenkennern nicht nur der verfehlten Einkaufspolitik der EU-Kommission geschuldet. Eine Rolle dürfte indirekt auch spielen, dass US-Unternehmen nach wie vor stärker und schneller darin sind, Grundlagenforschung in konkrete Produkte umzusetzen.
So haben zum Beispiel bei der klinischen Entwicklung der Covid-Impfstoffe, also bei den umfangreichen Tests an Menschen, vor allem amerikanische Unternehmen den Ton angegeben. Manager der Mainzer Firma Biontech räumen ein, dass man dort ohne die Partnerschaft mit dem US-Unternehmen Pfizer die klinischen Studien und den Produktionsaufbau bei Weitem nicht so schnell hätte bewältigen können. Der Impfstoff wurde ganz überwiegend an US-Zentren getestet. Pfizer hatte zudem frühzeitig drei US-Fabriken für die Herstellung des Impfstoffs umgerüstet.
Branchenvertreter wie Merck-Chef Oschmann plädieren vor dem Hintergrund nicht nur für einen weiteren Ausbau der europäischen Impfstoff-Kapazitäten, sondern auch für eine weitere gezielte Stärkung des gesamten Innovations-Ökosystems im Bereich der Biomedizin.
Bereits im vergangenen Jahr warnte der Pharma-Branchenverband VFA davor, dass Deutschland in der klinischen Forschung gegenüber den USA und asiatischen Ländern an Boden verliere. Dort fänden zunehmend die klinische Forschung sowie die besonders zukunftsträchtige Biotechproduktion statt, ebenso wie Investitionen in neuartige Gen- und Zelltherapien.
Die Pharmabranche ist seit Langem von einem Trend zur globalen Arbeitsteilung und Vernetzung geprägt. Pharmafirmen versuchen in diesem Zuge die Produktion einzelner Produkte möglichst an einem oder wenigen Standorten für eine globale Versorgung zu konzentrieren.
Ein neuer Arzneimittel-Protektionismus liefe diesem Trend zuwider, indem er globale Produktionsnetzwerke infrage stellen würde, und zwar innerhalb der einzelnen Unternehmen wie auch zwischen ihnen. Für die Pharmabranche wäre das eine bedrohliche Entwicklung, wobei die europäische Arzneimittelindustrie vermutlich empfindlicher getroffen würde als USA.
Denn europäische Firmen spielen in dem globalen Netzwerk der Arzneimittelproduktion zwar eine bedeutende Rolle. Insgesamt jedoch dominieren im Biopharmabereich nach wie vor die amerikanischen Unternehmen – und zwar sowohl in der Forschung als auch in der Produktion von wichtigen Vorprodukten, Instrumenten und Technologien.
Der Darmstädter Konzern Merck ist einer der führenden Vorlieferanten im Bereich der biopharmazeutischen Forschung und Produktion und liefert ein Beispiel für die Vernetzung und die Herausforderungen, die damit verbunden sind. Der Konzern wird zwar von Darmstadt aus geführt, betreibt aber ein globales Produktionsnetzwerk.
Seine Lifescience-Sparte baute das Darmstädter Unternehmen vor allem durch zwei große US-Akquisitionen auf, die Übernahme der Firmen Sigma-Aldrich und Millipore. Viele Produkte aus deren Programm werden nach wie vor exklusiv an amerikanischen Standorten gefertigt.
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