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29.03.2023

14:04

Pharmakonzern

Größtes Umsatzplus seit 20 Jahren: Diabetesmittel sorgt bei Boehringer für Wachstumssprung

Von: Siegfried Hofmann, Maike Telgheder

Nach einem starken Wachstum im vergangenen Jahr wächst bei Boehringer die Zuversicht. 20 neue Produkte sollen das Pharmageschäft bis Ende des Jahrzehnts vorantreiben.

Dieser Wirkstoff des Diabetesmedikaments entpuppt sich inzwischen als der größte Erfolg in der Firmengeschichte. dpa

Ein Forscher von Boehringer Ingelheim

Dieser Wirkstoff des Diabetesmedikaments entpuppt sich inzwischen als der größte Erfolg in der Firmengeschichte.

Frankfurt Starke Zuwächse beim Diabetesmittel Jardiance und positive Währungseffekte bescherten dem Pharmakonzern Boehringer Ingelheim 2022 das größte Umsatzplus seit gut zwei Jahrzehnten. Hohe Forschungsausgaben haben sich damit für das Ingelheimer Familienunternehmen erstmals seit Jahren wieder in einem überdurchschnittlichen Wachstum niedergeschlagen.

Die erfolgreiche Entwicklung ermöglicht es dem Unternehmen weiter kräftig zu investieren: Allein in Deutschland sollen in diesem Jahr die Sachinvestitionen von zuletzt 490 Millionen Euro auf mehr als 720 Millionen Euro erhöht werden.

Insgesamt steigerte das Ingelheimer Familienunternehmen den Konzernumsatz um 17 Prozent auf 24 Milliarden Euro. Klammert man positive Währungseffekte aus, wuchsen die Erlöse nach Angaben des Unternehmens um 10,4 Prozent.

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Das Betriebsergebnis legte aufgrund höherer Forschungs-, Energie- und anderer Kosten dagegen nur leicht auf 4,8 Milliarden Euro zu. Den Gewinn nach Steuern weist der Konzern mit knapp 3,2 Milliarden Euro aus, und damit etwa sieben Prozent niedriger als im Vorjahr.

Als entscheidenden Erfolg bewertet Firmenchef Hubertus von Baumbach weitere Fortschritte in der Produktentwicklung, die man insgesamt weiter beschleunigt habe. Für die kommenden sieben Jahre rechne man nun mit rund 20 neuen Medikamentenzulassungen. Zuletzt hatte der Konzern 15 Neuzulassungen bis Mitte des Jahrzehnts in Aussicht gestellt.

„Das Jahr 2022 hat gezeigt, dass unser langfristiges Engagement in der medizinischen Forschung die richtige Strategie ist“, sagt von Baumbach. „Für einige Krankheitsbilder, die bislang als schwer behandelbar galten, haben wir nun neue medizinische Lösungen gefunden, die einen echten Durchbruch bringen können.“

Für das laufende Jahr 2023 stellt Boehringer zwar nur ein „moderates“ Umsatzwachstum und einen leichten Anstieg des Betriebsgewinns in Aussicht. Die mittelfristigen Perspektiven sieht von Baumbach angesichts einer starken Pipeline aber weiter gestärkt.

Humanpharma-Geschäft wächst um ein Fünftel

So hofft Boehringer, in den nächsten Jahren unter anderem neue Medikamente gegen Nierenversagen, Lungenfibrosen, Schizophrenie, Übergewicht und Krebs auf den Markt zu bringen. Ein Wirkstoffkandidat gegen Lungenfibrosen – eine Erkrankung, bei der das Lungengewebe zusehends vernarbt – wurde im vergangenen Jahr von der US-Arzneimittelbehörde FDA als potenzieller Therapiedurchbruch eingestuft, ähnlich wie zuvor bereits drei weitere Entwicklungsprojekte.

Auf dem Gebiet ist Boehringer bereits Marktführer mit seinem Medikament Ofev, das 2022 ebenfalls stark zulegte. Für drei weitere Entwicklungsprojekte sagte die US-Behörde ein beschleunigtes Zulassungsverfahren zu.

„Das Jahr 2022 hat gezeigt, dass unser langfristiges Engagement in der medizinischen Forschung die richtige Strategie ist“, erklärte von Baumbach. IMAGO/sepp spiegl

Hubertus von Baumbach

„Das Jahr 2022 hat gezeigt, dass unser langfristiges Engagement in der medizinischen Forschung die richtige Strategie ist“, erklärte von Baumbach.

Boehringer erhöhte die Forschungsausgaben 2022 um ein Fünftel auf fünf Milliarden Euro und leistet sich im Pharmabereich derzeit mit rund 24 Prozent eine deutlich höhere F&E-Kostenquote als viele Konkurrenten. In der Branche bewegte sich die Relation zuletzt im Schnitt bei rund 18 Prozent.

Die Humanpharma-Sparte von Boehringer steigerte ihre Erlöse dabei um ein Fünftel und währungsbereinigt um 13,6 Prozent auf 18,5 Milliarden Euro. Boehringer gehörte damit neben Firmen wie Pfizer, Merck & Co. und Novo Nordisk zu den wachstumsstärksten Unternehmen der Pharmabranche und konnte im Geschäft mit Humanarzneimitteln erstmals wieder an den deutschen Branchenführer Bayer heranrücken, dessen Pharmageschäft aktuell von Patentabläufen gebremst wird.

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In der biopharmazeutischen Auftragsfertigung legte der Konzern währungsbereinigt um elf Prozent zu, während die Erlöse im Geschäft mit Tierarzneien bei 4,6 Milliarden Euro stagnierten.

Anders als Bayer ist Boehringer von Patentabläufen vorerst nur moderat betroffen. Der aktuell wichtigste Wachstumsträger, das Diabetesmittel Jardiance, ist nach Einschätzung des Unternehmens noch bis gegen Ende des Jahrzehnts vor Generikakonkurrenz geschützt.

Jardiance auf dem Weg zum Mega-Blockbuster

Dieser Wirkstoff entpuppt sich inzwischen als der größte Erfolg in der Firmengeschichte. 2022 stieg der Umsatz mit dem Mittel nominal um fast 50 Prozent und währungsbereinigt um 39 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro.

Das starke Wachstum der Erlöse geht vor allem darauf zurück, dass Jardiance in den vergangenen beiden Jahren nach positiven Studiendaten über Diabetes hinaus auch für die Behandlung verschiedener Formen von Herzinsuffizienz zugelassen wurde.

Ein weiterer Umsatzschub zeichnet sich für das Medikament in der Behandlung von Nierenversagen ab. Auch hier zeigte Jardiance im vergangenen Jahr in einer großen Studie positive Daten. Boehringer und ihr US-Vertriebspartner Eli Lilly streben daher nun auch in dieser Indikation eine Zulassung an. Der Patientenkreis, für den das Mittel infrage kommt, würde dadurch nochmals erheblich – um weltweit mehr als 800 Millionen Personen – erweitert. Von Baumbach schließt vor diesem Hintergrund nicht aus, dass Jardiance mittelfristig die Umsatzschwelle von zehn Milliarden Euro überschreiten könnte und damit zu einem der wenigen Mega-Blockbuster im Pharmageschäft werden könnte.

Mit einem Umsatzsprung von mehr als 60 Prozent trug Jardiance auch maßgeblich zum Wachstum von Boehringer Ingelheim in Deutschland bei. Hierzulande legte das Unternehmen um zwölf Prozent auf 2,1 Milliarden Euro Umsatz zu. Deutschland ist für Boehringer der größte Markt in Europa, in den das Unternehmen auch weiter überproportional investiert.

Die für dieses Jahr geplanten Sachinvestitionen in Höhe von rund 720 Millionen Euro sollen jeweils etwa zur Hälfte in die Standorte Ingelheim und Biberach fließen. Neben dem Aufbau neuer Produktionsanlagen soll am Stammsitz in Ingelheim bis Jahresende ein Photovoltaik-Kraftwerk fertiggestellt werden, das Boehringer unabhängig von Gaslieferungen macht. Am Standort Biberach wird zudem in Kürze ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet, in das insgesamt 350 Millionen Euro investiert wurden.

Deutschland verliert an Attraktivität

Wie schon andere Pharmaunternehmen warnt auch die Führungsriege von Boehringer Ingelheim davor, dass Deutschland für die Branche zunehmend an Attraktivität verliere, was künftige Investitionsentscheidungen „massiv gefährde“, wie Landesleiterin Sabine Nikolaus betonte. Vor allem Bürokratie, mangelnde Datennutzung und geringe Investitionsanreize werden kritisiert, wobei hier im Zentrum das im Herbst beschlossene Gesetz zur Stärkung der gesetzlichen Krankenkassen steht. Das bringt für die Pharmabranche höhere Zwangsrabatte und Einschränkungen bei der Preisfestsetzung für innovative Medikamente.

Die niedrigen Preise hätten die Generikaindustrie aus Deutschland vertrieben, meint Boehringer-Managerin Nikolaus. Das dürfe nicht auch noch mit der forschenden Pharmaindustrie passieren. Boehringer Ingelheim investiert knapp die Hälfte seiner Forschungs- und Entwicklungsausgaben sowie auch der Sachinvestitionen in Deutschland. „Das ist wesentlich mehr, als wir hier umsetzen“, sagt Landesleiterin Nikolaus.

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