Mit einem Zwischenhoch und hohen Gewinnen im Rücken wollen in diesem Jahr Stahlkonzerne wie Thyssen-Krupp, Salzgitter oder Arcelor-Mittal die Dekarboniserung angehen. Doch das Umfeld wird schwieriger.
Hochofen in Duisburg
Die Dekarboniserung der Stahlbranche verschlingt Milliarden Euro.
Bild: IMAGO/Jochen Tack
Düsseldorf Der Großteil der europäischen Stahlhersteller will 2023 mit dem Bau neuer Anlagen für die klimaneutrale Produktion beginnen. Allen voran: die Branchengrößen Thyssen-Krupp, Salzgitter, Arcelor-Mittal.
Die geplanten Projekte werden in den kommenden Jahren viele Milliarden Euro verschlingen.
So rechnet etwa Thyssen-Krupp für die erste Phase der Transformation, den Bau einer Direktreduktionsanlage, mit Kosten in Höhe von zwei Milliarden Euro. Ähnlich sieht die Rechnung beim Konkurrenten Salzgitter aus, der für den ersten Ausbauschritt rund 1,7 Milliarden Euro veranschlagt.
Dabei gilt als Faustregel: Um die Produktion von einer Million Tonnen Rohstahl zu dekarbonisieren, braucht es Investitionen in Höhe von etwa einer Milliarde Euro. Die Branche ist daher auf staatliche Förderung angewiesen, um den Umbau zu stemmen. Entsprechende Zusagen sowohl von der Bundesregierung als auch von der EU haben die Unternehmen bereits erhalten.
Rund die Hälfte der Investitionen müssen die Hersteller aber voraussichtlich selbst schultern. Helfen dürften den Unternehmen dabei die Rekordgewinne, die im abgelaufenen Jahr 2022 dank ungewöhnlich hoher Stahlpreise bei den meisten von ihnen angefallen waren.
Gleichzeitig erwartet der Weltstahlverband aber, dass 2022 mit einem globalen Nachfragerückgang von 2,3 Prozent zu Ende gegangen sein wird. 2023 dürfte der Bedarf zwar wieder anziehen – mit einem Wachstum von einem Prozent bliebe der Absatz dann aber dennoch hinter dem Jahr 2021 zurück, das bereits von der unsicheren Wirtschaftslage infolge der Coronapandemie geprägt war.
Dabei dürfte der zukünftige Nachfragezuwachs vor allem vom Infrastruktursektor getragen werden, so die Worldsteel-Experten. Dagegen arbeiten jedoch die konjunkturelle Abkühlung in China, die anhaltend hohe Inflation in vielen Industrieländern sowie die weltweit steigenden Zinsen. In vielen Ländern dürfte es zudem zu einer Rezession kommen, die die ohnehin schwache Nachfrage weiter dämpfen könnte.
Auch Deutsche-Bank-Analyst Bastian Synagowitz sieht die Branche aus diesen Gründen vor schwierigen Zeiten. So hätten sich die hohen Stahlpreise des vergangenen Jahres in Europa wieder spürbar abgesenkt. „Wir glauben, dass im Moment rund 15 Prozent der Kapazitäten in Europa stillgelegt sind“, so der Experte in einer Branchenstudie. „Sollte die aktuelle Situation anhalten, erwarten wir sogar noch umfangreichere Kürzungen.“
Ähnlich äußert sich auch JP-Morgan-Analyst Dominic O’Kane. Insgesamt überwögen im Stahlbereich die Risiken angesichts der Wachstumsgefahren in den USA und Europa, so der Branchenexperte in einem kürzlich veröffentlichten Ausblick für den Metall- und Minensektor. Dabei empfiehlt er den Verkauf von Aktien der deutschen Branchengrößen Thyssen-Krupp und Salzgitter.
Schon jetzt lässt sich beobachten, dass viele Stahlproduzenten ihre Kapazitäten wegen des ungünstigen Preisniveaus bei gleichzeitig hohen Energiekosten gekürzt haben. So hatte der weltgrößte Stahlhersteller Arcelor-Mittal bereits im Herbst damit begonnen, einzelne Werke außer Betrieb zu nehmen, weil sich die Produktion nicht mehr rentierte.
Die Stahlpreise sanken vom Rekordwert aus dem Frühjahr, als zeitweise Preise von knapp 1500 Euro je Tonne Warmband erzielt wurden, zum Jahresende rasant auf gut 600 Euro je Tonne. In der Folge haben viele Hersteller ihre Produktion gedrosselt und Lagerbestände abgebaut, was dazu geführt hat, dass die Gesamtproduktion in Deutschland im November nach Daten der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) knapp 18 Prozent unter der des Vorjahrs lag.
Um die Produktion wieder hochzufahren, ist die Branche entweder auf höhere Stahlpreise angewiesen – oder auf günstigere Energiekosten. Dabei dürfte die von der Bundesregierung geplante Strom- und Gaspreisbremse nur wenigen Unternehmen helfen.
Denn die Fördermaßnahme ist auf 70 Prozent des Verbrauchs des Jahres 2021 gedeckelt – und bemisst sich damit an einem Jahr, in dem viele Stahlhersteller wegen der ausbleibenden Nachfrage infolge der Coronapandemie deutlich weniger produziert haben als üblich. Anspruchsberechtigt sind zudem nur Unternehmen, deren Gewinn 2023 um 40 Prozent geringer ausfällt als im Vorjahr, was für viele Unternehmen angesichts der unsicheren Wirtschaftslage schwer vorherzusehen sein dürfte.
Branchenverbände wie die WV Stahl, aber auch der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie, der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) und der Industrieverband Feuerverzinken schlagen daher schon seit Längerem Alarm.
Für viele Betriebe des industriellen Mittelstands brächten die Energiepreisbremsen nur sehr wenig Entlastung, warnt etwa Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des WSM. „Diese Betriebe müssen im Jahr 2023 um ihre Existenz kämpfen.“
Auch große Konzerne wie Thyssen-Krupp haben bereits angekündigt, die Preisbremsen wegen der Gewinnanforderungen voraussichtlich nicht in Anspruch nehmen zu können. Inwieweit der Konzern dennoch an seinem bisherigen Zeitplan zur Dekarbonisierung festhalten will, ist noch unklar.
Bei der Bilanzpressekonferenz im November hatte der Konzern angekündigt, sich für 2023 auf das schwierigste Szenario vorzubereiten. Dazu gehöre auch eine restriktive und schrittweise Freigabe von Investitionen – unter anderem abhängig davon, wie die gesamtwirtschaftliche Lage verlaufe, so das Unternehmen.
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