Thyssen-Krupp will bis 2050 zehn Milliarden Euro in die CO2-freie Stahlerzeugung investieren. Für die Branche beginnt ein Rennen gegen die Zeit.
CO2-Verursacher
Die Stahlbranche denkt langsam um.
Bild: dapd
Duisburg Die rostroten Industrietürme von Thyssen-Krupp im Duisburger Norden sind so eng mit der Stadt verbunden wie der Fußballverein MSV Duisburg oder die Currywurst. Schon seit mehr als 100 Jahren wird in den riesigen Hochöfen im Ortsteil Bruckhausen, nicht weit von der Stelle, wo Rhein und Ruhr aufeinandertreffen, täglich tonnenweise Eisenerz und Kokskohle zu schwarzgrauem Roheisen zusammengeschmolzen. Doch die Tage der Traditionstürme sind gezählt: Wie das Handelsblatt vorab erfuhr, will Thyssen-Krupp seine Hochöfen voraussichtlich spätestens im Jahr 2050 erlöschen lassen.
Enden soll damit aber nicht die Stahlproduktion, sondern allein die CO2-Belastung, die mit der dortigen Herstellung von Roheisen bisher untrennbar einhergeht. Als einer der ersten Hersteller in Europa legt der Ruhrkonzern damit ein konkretes Datum für den Ausstieg aus der Kokskohle fest. „Es ist Aufgabe der Industrie, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten“, sagte Thyssen-Krupp-Stahlchef Andreas Goss dem Handelsblatt.
Bislang war der Konzern in Sachen Klimaschutz vor allem für sein Projekt „Carbon2Chem“ bekannt, bei dem das anfallende CO2 in andere Chemikalien wie Ammoniak umgewandelt wird, die sich weiternutzen lassen. „Daneben wollen wir aber auch versuchen, CO2 gar nicht erst entstehen zu lassen“, so Goss. „Deshalb haben wir nun einen Fahrplan für die Umstellung auf eine wasserstoffbasierte Stahlerzeugung aufgestellt.“
Insgesamt zehn Milliarden Euro will das Unternehmen über die kommenden 30 Jahre in die Modernisierung seiner Prozesse investieren, um die Kokskohle zu ersetzen. Das Unternehmen setzt sich damit an die Spitze einer Entwicklung, die seit einigen Jahren die gesamte Branche erfasst: der Trend zur wasserstoffbasierten und damit CO2-freien Stahlherstellung, die die Unternehmen langfristig vor steigenden Umweltkosten und strengeren Klimaregeln schützen soll.
Denn bislang zählt die Stahlindustrie zu den industriellen Hauptverursachern von CO2 in Deutschland. Durch die Stahlproduktion werden hierzulande jedes Jahr bis zu 38.000 Kilotonnen des Klimagases in die Atmosphäre abgegeben.
Der Weg aus der Steinkohleförderung ist ein Paradebeispiel für gelungenen Strukturwandel. Das muss auch bei der Braunkohle so gelingen.
Das ist fast ein Drittel der Emissionen der gesamten deutschen Industrie. Angesichts des Ziels der EU, die CO2-Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, wolle Thyssen-Krupp mit den Investitionen nun einer möglichen Einschränkung seiner Geschäfte zuvorkommen, so Goss: „Wir haben Sorge, dass die Stahlerzeugung in Europa aus vornehmlich ideologischen Gründen über Nacht infrage gestellt wird.“
Es ist eine Sorge, die viele Wettbewerber teilen. Denn der weit überwiegende Teil des europäischen Stahls wird bisher im Hochofenverfahren hergestellt, bei dem Eisenerz und Koks abwechselnd im Ofenschacht aufgeschichtet und unter Zugabe von Heißluft und weiterer Stoffe auf mehr als 1.200 Grad Celsius erhitzt werden. Die Produktion von Kohlenstoffdioxid gehört dabei untrennbar zum Prozess: Das Klimagas bindet den Sauerstoff, der dem Eisenerz bei der Umwandlung zum Roheisen vor der endgültigen Weiterverarbeitung zur Stahlbramme entzogen wird.
Schon länger erproben daher auch Hersteller wie die niedersächsische Salzgitter und die österreichische Voestalpine neue Verfahren, bei denen andere Stoffe diese Aufgabe übernehmen können. Das Rennen hat bei allen der Wasserstoff gemacht: Das Gas ist brennbar und reagiert ebenfalls mit dem Sauerstoff im Eisenerz – bildet dabei aber kein klimaschädliches CO2, sondern H2O, also Wasser. Doch noch hat kein Hersteller die „grüne Stahlproduktion“ zur industriellen Marktreife gebracht – auch, weil die Voraussetzungen für eine solche Umstellung gewaltig sind.
Denn statt des klassischen Hochofens braucht es für grünen Stahl sogenannte Reduktionsanlagen, in denen das Eisenerz zunächst mithilfe von Wasserstoff in Eisenschwamm umgewandelt werden kann. Erst danach wird der Eisenschwamm in einem Elektroofen unter Beigabe von Schrott zu Stahl geschmolzen. Vor allem für die fünf größten deutschen Hersteller würde der Einsatz von Wasserstoff somit einen Komplettaustausch der Anlagen bedeuten: Sie setzen bei der Produktion derzeit noch zu fast 95 Prozent auf das Hochofenverfahren.
Auch bei der Versorgung sieht Arnd Köfler, Produktionsvorstand bei Thyssen-Krupp Steel, derzeit „noch viele Fragezeichen“, bevor sich die Wasserstofftechnologie in der Branche vollständig durchsetzen kann. „Wir brauchen Pipelines, die uns mit Wasserstoff versorgen, und der Wasserstoff muss in ausreichender Menge zur Verfügung stehen“, so der Manager. Rahmenbedingungen wie die Versorgung mit Wasserstoff und Energie ließen sich vom Konzern „nur begrenzt beeinflussen“, gibt auch Stahlchef Goss zu bedenken.
Wir haben Sorge, dass die Stahlerzeugung in Europa aus vornehmlich ideologischen Gründen über Nacht infrage gestellt wird. Andreas Goss Vorstandsvorsitzender Thyssen-Krupp Steel
Für das Projekt arbeitet Thyssen-Krupp deshalb mit Unternehmen aus der Region zusammen, deren Namen in den kommenden Monaten bekanntgegeben werden sollen. Köfler sagt bislang nur so viel: „Wir haben in Duisburg für die Umstellung auf wasserstoffbasierte Stahlerzeugung eine in Europa einzigartige Ausgangslage. In einem Umkreis von 200 Kilometern befinden sich hier die wichtigsten Industriepartner, mit denen wir das Projekt gemeinsam angehen wollen.“
Ähnlich setzt auch die österreichische Voestalpine auf Kooperationen mit anderen Industriezweigen, um die eigene Versorgung mit Wasserstoff für die Zeit nach Kokskohle und Hochofen sicherzustellen. So bauen die Österreicher gemeinsam mit Siemens, dem Energieversorger Verbund, dem Netzbetreiber Austrian Power Grid und weiteren Forschungspartnern in Linz an der weltweit größten Pilotanlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff. Ziel des Projekts „H2Future“ sei, „echte Breakthrough-Technologien zu erforschen, die in etwa zwei Jahrzehnten im großtechnischen Stil anwendbar sein könnten“, so Voestalpine-Vorstandschef Wolfgang Eder.
Der österreichische Forschungsverbund adressiert damit ein weiteres Problem, das die Umstellung mit sich bringen dürfte: den rapide wachsenden Bedarf an Wasserstoff und der Energie, mit dem er erzeugt wird.
So bräuchte allein die Voestalpine zusätzliche Energie in Höhe von jährlich etwa 30 Terawattstunden, um den benötigten Wasserstoff für die eigene Stahlproduktion herzustellen. Das entspricht aktuell fast der Hälfte des gesamten österreichischen Strombedarfs.
„Voraussetzung für grünen Wasserstoff ist, dass erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang und zu konkurrenzfähigen Bedingungen als Basis zur Verfügung stehen“, so Eder. Doch angesichts des deutschen Strommixes, bei dem erneuerbare Energien noch kaum ein Drittel der Gesamtproduktion ausmachen, scheint das Ziel noch in weiter Ferne.
Und so sorgen sich die deutschen Stahlhersteller trotz aller Anstrengungen vorerst weiter um ihr Geschäft. Denn dass die EU eines Tages harte Regeln für eine klimaneutrale Industrie festlegen wird, gilt in der Branche als ausgemacht. Mehr oder weniger eindeutig äußerte sich hierzu auch der zuständige EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, Miguel Arias Cañete, als er erklärte: Bei einer vollständigen Dekarbonisierung Europas könnten möglicherweise ganze Industriezweige verschwinden.
Thyssen-Krupp-Stahlchef Goss fordert daher von der Politik vor allem genügend Zeit, um die langfristigen Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. „Ich beobachte häufig, dass die Diskussion um Klimaschutz unsachlich verläuft“, so der Manager. Dass eine Veränderung notwendig sei, werde von der Industrie grundsätzlich nicht bestritten. „Das Problem muss aber wissenschaftlich und wirtschaftlich gelöst werden, nicht ideologisch.“
Zumindest sein Unternehmen hat damit nun begonnen: In zwei Jahren startet in Duisburg die erste Phase der Umstellung auf grünen Stahl, bei dem der Konzern zunächst den Einsatz und die Gewinnung von Wasserstoff im klassischen Hochofenprozess näher erforscht. Stück für Stück sollen dann in den kommenden Jahrzehnten Anlagen modernisiert und neu gebaut werden, bis die Duisburger Hochöfen 2050 vollständig von Reduktionsanlagen und Elektroöfen ersetzt sind.
Einen mahnenden Appell richtet Goss derweil an Brüssel: „Eine Deindustrialisierung Europas würde bedeuten, dass Produkte wie Stahl künftig in anderen Regionen der Welt hergestellt werden, wo die ökologischen Produktionsbedingungen nicht so streng kontrolliert werden.“
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