Drei Chefs und drei Umbaupläne in kurzer Zeit: Bei Thyssen-Krupp herrscht Chaos. Die Zerschlagung eines Konzerns steht bevor, der Deutschland prägte wie kaum ein anderer.
Ausgebrannt
Thyssen-Krupp versinkt derzeit im Chaos.
Bild: action press [M]
Mittwochvormittag, Thyssen-Krupp-Allee in Essen. Hunderte Mitarbeiter von Thyssen-Krupp versammeln sich im Atrium des Konzernsitzes. Es ist ein besonderer Ort, erst vor wenigen Jahren geschaffen von französischen und deutschen Architekten. Zwei riesige „L“ bilden die Außenlinien des Gebäudes, wie Abkürzungen für Licht und Luft. Glasfenster und ein transparentes Dach ergänzen diese Symbolik.
Die Sonne tut an diesem Tag ihre Pflicht, hellt durch die Glasfronten die Innenräume auf. Die Stimmung in der Betriebsversammlung passt wenig dazu. Bedrückt hören die Mitarbeiter, wie Vorstandschefin Martina Merz von einem Konzernumbau berichtet. Es gehe darum, sagt sie, Geschäfte zu stärken – und „nicht um einen Ausverkauf“. Wahr sei aber auch, dass es nicht „ohne signifikanten Stellenabbau“ gehe.
Die Worte lösen unter den Zuhörern Unruhe aus, bei manchen habe „blanke Panik“ geherrscht, berichtet ein Beteiligter. Die Ankündigung von Merz ist eine Zäsur, wie sie Thyssen-Krupp zuvor noch nicht erlebt hat. Der Konzern trennt sich vom Aufzuggeschäft und langfristig von weiten Teilen der Komponentenfertigung und dem Anlagenbau. Rund 20 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 100.000 Mitarbeiter sind auf der ganzen Welt von den geplanten Maßnahmen betroffen.
Der Schrumpfkurs besiegelt den Abstieg einer deutschen Industrie-Ikone. Wie kaum ein anderes Unternehmen lieferte Thyssen-Krupp den Rohstoff für den industriellen Aufstieg Deutschlands, Kohle und Stahl. Die Familien Krupp und Thyssen waren Wirtschaftsdynastien, Manager wie Berthold Beitz, Ekkehard Schulz oder Gerhard Cromme prägten das Land über Jahrzehnte. Mit mehr als 161.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von fast 43 Milliarden Euro ist Thyssen-Krupp auch heute ein Schwergewicht. Allerdings ein Schwergewicht ohne Kraft. Der Gewinn liegt nur noch bei mageren 60 Millionen Euro.
Rettungsversuche hat es reichlich gegeben. In 18 Monaten haben drei Chefs drei Umbaupläne angeschoben. Der aktuelle Plan bedeutet einen radikalen Schnitt für den Traditionskonzern. Geht der Verkauf der Aufzugsparte durch, bleiben der Stahl und der Werkstoffhandel übrig – und damit ausgerechnet jene Geschäftsteile, die noch vor wenigen Monaten wegen ihrer schlechten Zukunftsaussichten aus dem Unternehmen ausgegliedert werden sollten.
Der Plan ist riskant. Das Stahlgeschäft ist nicht nur sehr zyklisch, im globalen Markt herrschen auch Überkapazitäten. Rochus Brauneiser vom Analysehaus Kepler Chevreux bewertet die Pläne grundsätzlich positiv – doch es gebe „hohe Durchführungsrisiken“.
Der Strategiewechsel ist nicht nur risikoreich, er ist vor allem in seiner Häufigkeit auch erklärungsbedürftig. „Es ist nicht gelungen, eine konsistente und nachhaltige Unternehmensstrategie zu entwickeln“, kritisiert Jörg Hofmann, Chef der IG Metall (siehe Interview). „Das ist zugegebenermaßen bei der Eigentümerstruktur auch nicht leicht.“
Bei der Suche nach den Verantwortlichen für das Hin und Her fällt immer wieder ein Name: Cevian, Spitzname „der Schlächter aus Stockholm“. Der Hedgefonds und Großaktionär aus Schweden will Kasse machen und fordert die Zerschlagung des Konzerns. Die lukrative Aufzugsparte könnte bis zu 18 Milliarden Euro erzielen, der Börsenwert von Thyssen-Krupp beläuft sich auf weniger als die Hälfte. Aber mit dem Verkauf entfällt der Profit, der die anderen Geschäftsfelder in den vergangenen Jahren mitschleppte.
Nach Jahrzehnten des Missmanagements kann der Vorstand den Cevian-Vertretern im Aufsichtsrat nur noch wenig entgegensetzen. Sehr zurückhaltend verhält sich ein zweiter Großaktionär, die Krupp-Stiftung unter Leitung von Ursula Gather. Die Stiftung stellt nun erstmals klar: „Zu keinem Zeitpunkt hat die Stiftung eine Sonderdividende gefordert.“ Sie fühle sich in der Öffentlichkeit missverstanden, sei ja nur Minderheitsaktionär und könne daher keineswegs durchregieren, heißt es im Hintergrund immer wieder.
Vor wenigen Tagen erklärte auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, dass eine Sonderdividende kein Thema sei: „Alles Geld bleibt im Unternehmen“, sagte Laschet, der in einer eigentümlichen Mission zugleich als Ministerpräsident von NRW und als Mitglied der Krupp-Stiftung unterwegs ist.
Doch der Streit ums Geld ist mit Laschets Äußerungen keinesfalls vom Tisch. Nach Einschätzung hochrangiger Manager von Thyssen-Krupp wird das Geld kaum im Unternehmen bleiben. Es kursiert das Wort der „Bilfingerisierung“ des Unternehmens: Wie bei dem Baudienstleister könnte Cevian die Abspaltungen nicht direkt per Dividende kassieren, sondern durch die Hintertür über Aktienrückkäufe.
Der Ausverkauf ist eine Kapitulation der Krupp-Stiftung. Sie wurde einst vom letzten Krupp-Erben auch als Bollwerk gegen feindliche Investoren gegründet, um den Konzern vor einer Zerschlagung zu bewahren. Wie also sieht der neue Plan von Merz aus?
Vergangenen Dienstag, ein Konferenzraum in der Nähe des Kasinos der Essener Hauptverwaltung. 150 Topmanager von Thyssen-Krupp treffen sich den ganzen Tag. Der neue Vorstand stellt sich vor. Chefin Merz spricht von „Offenheit“ und „Vertrauen“ – und von „Konsequenz“, wenn die Performance nicht stimme. Und das ist das Kernproblem von Thyssen-Krupp: An zu vielen Stellen im Konzern stimmt die Leistung nicht mehr.
Die Zahlen, die Finanzvorstand Johannes Dietsch zeigt, stimmen wenig optimistisch. Ein Großteil des Geschäfts würde von der Autokonjunktur abhängen, es fehle das Geld für Investitionen. Auf zehn Milliarden Euro schätzen Experten den Finanzbedarf. Noch einmal zehn Milliarden Euro kommen obendrauf, um den Stahlbereich klimaneutral aufzustellen. Doch derzeit läuft das Geschäft mit einem dicken Minus.
Nicht Vorstandschefin Merz, sondern Personalvorstand Oliver Burkhard präsentiert die neue Strategie. Es folgen kritische Fragen zum permanenten Strategiewechsel – und natürlich die Gretchenfrage: Wie soll der neue Plan funktionieren?
Die Gefahren sind vielfältig. Bei der Veräußerung defizitärer Geschäfte droht viel Kapital verloren zu gehen. Aktionäre könnten nach dem Milliardengewinn aus dem Verkauf der Aufzüge einen Aktienrückkauf fordern – mit dem Erwerb eigener Aktien würde der Kurs getrieben. Dann bleibt womöglich nicht genug Geld übrig, um in die Zukunft der Werkstoffgeschäfte zu investieren. Mit der Rosskur besinnt sich Thyssen-Krupp zwar wieder auf seine Wurzeln. Doch ohne ausreichendes Kapitalpolster und notwendige hohe Investitionen ist es unklar, ob der Konzern auch in zehn oder zwanzig Jahren noch aus eigener Kraft stehen kann.
Europäische Stahlhersteller sind auf breiter Front unter Druck – während in anderen Ländern, die geringere Energie-, Umwelt- und Personalkosten haben, gleichzeitig auskömmliche Margen verdient werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Weltkonzern Tata Steel: Während dessen europäische Tochter vor allem in Großbritannien seit Jahren arge Probleme hat, läuft das Geschäft in Indien rund.
Konzernweit erzielt Tata zwar mit seinen Werken in aller Welt eine operative Ebit-Marge von fast 30 Prozent. Doch wird die vor allem im Heimatmarkt Indien erzielt. Es ist schlicht profitabler, in Billiglohnländern und Entwicklungsmärkten mit hoher Nachfrage zu produzieren und Umsätze zu erzielen.
In Deutschland hingegen darben die Unternehmen. Selbst der Vorzeigekonzern Voestalpine, der mit Spezialprodukten traditionell deutlich profitabler arbeitet, erzielt angesichts der Krise nur eine Ebit-Marge von 5,7 Prozent, wo es in guten Jahren auch mal mehr als 15 Prozent sein können. Bei Thyssen-Krupp war der beste Wert in den vergangenen Jahren maximal sechs Prozent.
Gleichzeitig drohen hohe Kosten für den Kauf von CO2-Zertifikaten, die die emissionsintensive Stahlindustrie angesichts der bevorstehenden Verknappung in den kommenden Jahren in größerer Menge wird kaufen müssen. Wenn nicht sogar in Europa eines Tages ein Komplettverbot der traditionellen Herstellung mit Koks und Hochofen droht, falls die Reduktion der CO2-Emissionen nicht in dem nötigen Tempo vorankommt.
Doch manche bei Thyssen-Krupp sehen darin eine Chance. Der Konzern arbeitet mit Hochdruck daran, seine Produktionsprozesse auf Wasserstoff umzustellen, mit dem sich nahezu klimaneutraler Stahl herstellen lässt. Es könnte ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der günstigeren Konkurrenz aus dem Ausland sein. Denn wenn auch Autobauer eines Tages ihre Produkte nur noch emissionsfrei herstellen wollen, brauchen sie dafür „grünen“ Stahl.
Der könnte dann teurer sein. Vom „iPhone“ der Stahlindustrie sprach Betriebsratschef Tekin Nasikkol einmal. Zehn Milliarden Euro würde der Komplettumbau des Werks in Duisburg kosten. Es ist ein Hoffnungswert. Und ein Abenteuer. Weitere zehn Milliarden Euro benötigt die Sparte, um den Investitionsstau der vergangenen Jahre aufzuholen. Denn der Stahl galt bei Thyssen-Krupp lange als Verkaufskandidat. Entsprechend wenig investierte der Konzern. Das wird sich ändern müssen, will man hier bald wieder an der Spitze mitspielen.
Wie konnte es dazu kommen? Es lohnt sich ein Blick in die Geschichte von Thyssen-Krupp, die eine Unternehmenskultur von zu großer Selbstsicherheit hervorbrachte – geboren aus außerordentlichen unternehmerischen Erfolgen.
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