PremiumDas Münchener Start-up will Automatisierung in die Textilindustrie und Wäschereien bringen. Doch es gibt Konkurrenz, und die Kunden müssen die neue Technologie noch annehmen.
Start-up-Check
Das Münchener Start-up Sewts hat eine Steuerungs- und Bildverarbeitungssoftware entwickelt, die es Robotern ermöglichen soll, Handtücher aus einer Kiste zu nehmen und zu falten.
Bild: Sewts
München Angesichts von Kostendruck, Arbeitskräftemangel und dem Trend, Produktion in die Heimat zurückzuholen, setzen sich Roboter in immer mehr Branchen durch. Großwäschereien und die Textilindustrie, die händeringend nach Personal suchen, profitieren bisher nur wenig von diesem Trend.
Im Umgang mit Textilien und anderen verformbaren Materialien tun sich Roboter noch immer schwer. Dabei wäre gerade hier eine höhere Automatisierung hilfreich. „Wer einmal in einer Großwäscherei war, weiß, wie anstrengend und teilweise monoton die Arbeit ist“, sagt Alexander Bley, Mitgründer des Start-ups Sewts. „Darüber hinaus können die hohe Luftfeuchtigkeit, der Staub und die Temperatur auf Dauer belastend sein.“
Das Münchener Start-up hat eine Steuerungs- und Bildverarbeitungssoftware entwickelt, die es Robotern ermöglicht, das Verhalten von forminstabilen Materialien beim Greifen in Echtzeit vorherzusagen. Der Roboter weiß so, wie er zum Beispiel ein Handtuch aus einer Kiste nehmen und am besten falten kann. Einsatzgebiete sind zunächst vor allem Wäschereien und der Versandhandel.
Sewts wurde 2019 von Bley, Till Rickert und Tim Doerks mithilfe des staatlichen Gründerstipendiums Exist gegründet. Die Gründer beschäftigten sich während ihres Studiums an der TU München am Lehrstuhl für Carbon Composites unter anderem mit der Erforschung der automatisierten Verarbeitung von leicht verformbaren Materialien wie Karbonfasern und Textilien.
Noch im selben Jahr präsentierte das Team einen ersten Prototypen und sicherte sich eine Pre-Seed-Finanzierung, also eine Finanzierungsrunde in der sehr frühen Unternehmensphase. Geldgeber waren Einzelunternehmer als Business-Angels und das UnternehmerTUM, ein Gründungszentrum an der TU München.
Sewts-Team
Sewts wurde 2019 von Alexander Bley, Till Rickert und Tim Doerks mithilfe des staatlichen Gründerstipendiums Exist gegründet.
Bild: Sewts
Mit dem Erlös entwickelte das Team ein Vorserienprodukt für die Wäschereibranche. 2021 konnten in einer etwas größeren Investorenrunde Apex Ventures, der High-Tech Gründerfonds (HTGF) und Bayern Kapital gewonnen und der Test in einer industriellen Wäscherei konnte abgeschlossen werden.
Die Textilindustrie ist schon lange in weiten Teilen aus Deutschland abgewandert. In der Coronapandemie zeigten sich die Nachteile. Als in Vietnam Fabriken im Lockdown und die Lieferketten unterbrochen waren, entging zum Beispiel Sportfachhändlern viel Geschäft, weil sie nicht an genug Ware kamen. Ohne einen höheren Grad an Automatisierung ist eine Rückkehr der personalintensiven Textilindustrie aber schwer vorstellbar.
Vor einem ähnlichen Problem stehen Wäschereien, die sich immer schwerer tun, Mitarbeiter zu finden. In Deutschland gab es zuletzt laut Statista noch 3900 Wäschereien, etwa ein Viertel davon dürfte eine industrielle Größe haben und zum Beispiel für Hotels und Krankenhäuser die Wäsche machen.
Laut Sewts muss das Einführen der Textilien in Falt- und Mangelmaschinen noch manuell erfolgen. Weltweit gibt es etwa 65.000 Faltmaschinen. Wenn diese alle automatisch bestückt würden, läge das Marktpotenzial für die dann vorgeschalteten Roboter laut Sewts im zweistelligen Milliardenbereich. Anlagen für die Textilindustrie wären der nächste logische Schritt. Denkbar sind auch Anwendungen beim Bearbeiten von Folien, Schaumstoffen und Lebensmitteln und beim Legen von Kabelbäumen.
Das Unternehmen hat vor allem die Software im Fokus, entwickelt aber auch eigene Greifer und die Roboterzelle, also das gesamte System, das in der Wäscherei aufgestellt werden kann. Eine Velum-Anlage, so heißen die Modelle für die Wäscherei-Branche, kostet laut Branchenschätzungen etwa 240.000 Euro und soll sich in etwa zwei Jahren amortisieren.
Das System, das derzeit etwa so schnell wie ein Mensch 500 bis 600 Textilien pro Stunde verarbeiten kann, ist seit Kurzem bei der Firma Greif Textile Mietsysteme im oberbayerischen Wolfratshausen im Einsatz. Diese kümmert sich für Großkunden wie Hotels um die Wäsche.
Technologisch sind die ersten Anlagen marktreif, die Linien können nun weiter entwickelt werden. Doch es gibt Konkurrenz. Anbieter von Wäschereimaschinen wie Kannegiesser arbeiten seit Jahren an eigenen Lösungen. Zudem entwickeln Spezialisten wie Micropsi Industries ebenfalls KI-basierte Software, die zum Beispiel Cobots hilft, mit Varianzen umzugehen. Traditionelle Roboter sind darauf trainiert, immer exakt dieselben Bewegungen zu wiederholen. Kollaborative Roboter, die zum Beispiel Handtücher aus einer Kiste holen, müssen dagegen jedes Mal aufs Neue entscheiden, wie sie vorgehen.
In der Unternehmensentwicklung schon weiter als Sewts ist Robotextile, das sich auf die Textilindustrie konzentriert und Lösungen entwickelt, die mit kleinen Robotern und Spezialgreifern einzelne Stofflagen von einem Stapel entnehmen können. Das Unternehmen von Michael Fraede konzentriert sich vor allem auf Hardware rund um den Greifer, entwickelt aber auch Software selbst.
Fraede sieht sich nicht als direkten Konkurrenten von Sewts. „Der Markt ist potenziell so groß, dass man sich nicht ins Gehege kommt.“ Die Wäschereien machten nur einen sehr kleinen Anteil des Textilsegments aus. Sewts-Mitgünder Bley sagt, bei Anlagen für die Textilindustrie könne man sich auch vorstellen, Robotextile-Lösungen zu nutzen.
Die größte Herausforderung ist nach Einschätzung von Helmut Schmid vom Deutschen Robotik-Verband gar nicht unbedingt die Technologie. Entscheidend sei es, „diese Lösungen bekannt zu machen und schnell in den Markt zu bringen“. Hier seien die deutsche Industrie und der Mittelstand oft viel zu langsam und zurückhaltend beim Einsatz neuer Technologien.
Drei weitere Velum-Anlagen für Wäschereien sind bereits verkauft. Im laufenden Jahr plant Sewts insgesamt 16 Auslieferungen. „Wir rechnen in diesem Jahr mit siebenstelligen Umsätzen“, sagt Bley. Zudem läuft derzeit ein Pilotprojekt bei einem großen Online-Versandhändler. Die Linie Vestis, die Textilretouren bearbeitet, soll das zweite Standbein werden. In drei Jahren können sich die Gründer 60 bis 80 Millionen Euro Umsatz vorstellen. Aktuell laufen Gespräche für eine Series-A-Finanzierungsrunde mit potenziellen Investoren, um das geplante Wachstum zu finanzieren.
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