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09.01.2023

14:52

Übernachtungsplattform

Kampf gegen Umsatzsteuer-Betrug: Brüssel macht Airbnb zum Hilfssheriff

Von: Christoph Schlautmann

Airbnb & Co. müssen die Mehrwertsteuer bei den Urlaubern eintreiben, falls es der Vermieter nicht tut, fordert die EU. Dabei wird sie keineswegs überall fällig.

Zoff um das Inkasso der Mehrwertsteuer dpa

Wohnungsschlüssel mit Airbnb-Anhänger

Zoff um das Inkasso der Mehrwertsteuer

Düsseldorf Die EU hat ein Problem ausgemacht, das die Mitgliedstaaten im Jahr Milliarden kostet: Mehrwertsteuerhinterziehung bei Kurzzeitvermietungen. Die Summe der Einnahmen, die den EU-Staaten 2020 insgesamt durch nicht abgeführte Umsatzsteuer entgangen ist, schätzt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sogar auf 93 Milliarden Euro.

Die Folge: Brüssel plant seit Dezember, Vermietungsportale wie Airbnb, Booking oder Fewo-direkt/Expedia als Inkassostellen zu verpflichten. Das Geld sollen sie unmittelbar den Mietern der vermittelten Wohnungen abnehmen. Bisher sind nicht die Portale, sondern eben die Wohnungsvermieter als potenzielle Kleinunternehmer für diese Aufgabe verantwortlich.

Doch die auf Kurzzeitvermietung spezialisierten Internetfirmen wehren sich vehement gegen den Vorstoß – und dies möglicherweise zu Recht. Denn Umsatzsteuer sollen sie nach dem Plan der EU auch bei Vermietungen kassieren, die laut Gesetz von ihr befreit sind. Wohnungen auf Airbnb & Co. würden damit automatisch für alle teurer.

Mit mehreren Richtlinien-Verfahren müht sich Brüssel seit Monaten, Erträge aus Kurzzeitvermietungen effizienter zu besteuern. Mithilfe der neuen Initiativen, glaubt Gentiloni, könnte die Lücke um jährlich 18 Milliarden Euro verringert werden.

Neuer Vorstoß sorgt für Protest

Doch dass die Plattformen, wie von der Europäischen Kommission am 8. Dezember 2022 angekündigt, Mehrwertsteuer bei den Mietern einsammeln sollen, falls es der Wohnungsanbieter nicht tut, halten die Betroffenen für eine unannehmbare Zumutung. „Der Vorschlag der EU-Kommission würde Airbnb fälschlicherweise als Beherbergungsbetrieb einstufen“, kritisiert eine Airbnb-Sprecherin auf Anfrage. Bislang zahlt Airbnb eine Mehrwertsteuer nur auf die Servicegebühr, die sie von den Vermietern für die Vermittlung ihrer Angebote erhält – und damit auf üblicherweise rund 17 Prozent des gesamten Übernachtungspreises.

Darüber hinaus bemängelt der US-Konzern einen Verstoß gegen geltendes Steuerrecht in vielen Ländern – darunter auch Deutschland. So würde auf Millionen von Aufenthalten eine Mehrwertsteuer erhoben, obwohl die Gastgeber gar nicht steuerpflichtig sind. Mehrwertsteuer hat der Vermieter bislang nur dann abzuführen, wenn er als professioneller Unternehmer oberhalb der Bagatellgrenze liegt. In Deutschland etwa beginnt die Mehrwertsteuerpflicht erst bei einem Jahresumsatz von 22.000 Euro.

Dazu heißt es bei Airbnb: „Der typische EU-Gastgeber verdiente im letzten Jahr etwas mehr als 3.000 Euro.“ Die überwiegende Mehrheit von ihnen seien Privatpersonen, drei Viertel der EU-Gastgeber böten zudem nur eine Unterkunft an.

Würden all diese Gastgeber mehrwertsteuerpflichtig, müssten sie Urlaubern in Deutschland zusätzlich sieben Prozent des Mietpreises in Rechnung stellen. „Dies würde das Reisen verteuern, die Erholung des Tourismus bremsen und Privatpersonen in der EU unverhältnismäßig stark treffen“, warnt eine Airbnb-Sprecherin.

Hotelverband pocht auf Wettbewerbsgleichheit

Hinzu kommt eine weitere Ungereimtheit: Laut der geplanten EU-Regelung zahlen Privatpersonen und Kleinunternehmer durch das Airbnb-Inkasso zwar indirekt eine Umsatzsteuer. Ob sie von diesen Beträgen jedoch wie üblich eine Vorsteuer abziehen können, also die von ihnen selbst an Lieferanten gezahlte Mehrwertsteuer, bleibt in der Ankündigung aus Brüssel offen.

Der Hotelverband Deutschland (IHA) hält dagegen. „Uns geht es allein schon aus Wettbewerbsgründen um die Steuerehrlichkeit“, sagt Hauptgeschäftsführer Markus Luthe. Dass es um diese zuletzt eher schlecht bestellt war, dokumentierten Nachforschungen mehrerer deutscher Behörden. So bemühte sich die Hamburger Steuerfahndung gemeinsam mit anderen Bundes- und Landesbehörden in einem mehrjährigen internationalen juristischen Verfahren darum, Airbnb zur Herausgabe von Vermieter-Daten aus den Jahren 2004 bis 2006 zu bewegen. Weil der Plattformbetreiber dies ablehnte, zog man in Irland vor Gericht – und erhielt 2020 Recht.

Eine Sondereinheit mit Sitz beim Finanzamt Karlsruhe-Durlach gab daraufhin 20.641 Kontrollmitteilungen zur Prüfung an die örtlich zuständigen deutschen Finanzämter weiter – und erzielte für die betroffenen drei Jahre 69 Millionen Euro an nachträglicher Einkommensteuer, wie der Hotelverband berichtet.

Vorbild für das nun geplante Mehrwertsteuer-Inkasso könnte laut Einschätzung von Experten ein Modell in Italien sein. Dort entschied die Regierung 2017, von Vermietungsplattformen wie Airbnb eine Quellensteuer in Höhe von 21 Prozent zu verlangen. Sowohl Einkommensteuer wie auch Mehrwertsteuer sind dadurch abgegolten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte am 22. Dezember 2022 die Rechtmäßigkeit der Regelung. Demnach muss Airbnb in Städten wie Venedig die Quellensteuer einbehalten und an den Staat abführen.

Beifall für den erneuten Vorstoß aus Brüssel kommt auch von Anja Karliczek, der tourismuspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Ich finde es richtig und klug, Plattformen zu verpflichten, bei den Kunden anfallende Steuern anstelle der Anbieter zu erheben und abzuführen“, sagt sie. Digitale Plattformen müssten hier Verantwortung übernehmen. „Sie haben große Macht, da sie ja die Beziehungen zum Kunden haben“, beobachtet die CDU-Politikerin, die lange Zeit selbst in einem elterlichen Hotelbetrieb arbeitete.

Im Kampf gegen Steuerhinterziehung besitzt der Fiskus allerdings bereits weitreichende Instrumente. Seit dem 1. Januar 2023 etwa ist das „Plattformen-Steuertransparenzgesetz“ in Kraft, das die Brüsseler „DAC-7-Richtlinie“ von 2021 in deutsches Recht umsetzte. Mit ihm werden Betreiber digitaler Plattformen verpflichtet, jährlich – immer bis zum 31. Januar des jeweiligen Folgejahres – Informationen über Gebühren und Provisionen an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zu melden. Aufgrund der Daten will man aktive Anbieter identifizieren und diese steuerlich bewerten.

Im November 2022 regte die EU-Kommission darüber hinaus ein elektronisches System an, über das Unternehmen jede Handelstransaktion in Echtzeit per elektronischer Rechnungen melden sollen. Außerdem plant Brüssel, Kurzzeitunterkünfte EU-weit einheitlich zu registrieren. Auch grenzüberschreitende Kontrolle will man dadurch ermöglichen.

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