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12.05.2022

10:51

Ukraine-Krieg

Siemens zieht sich ganz aus Russland zurück – Gewinn im zweiten Quartal halbiert sich

Von: Axel Höpner

Nach rund 170 Jahren stellt der Technologiekonzern die industriellen Geschäfte in Russland ein. Im abgelaufenen Quartal drücken die Sanktionen gegen Russland den Gewinn um 600 Millionen Euro. Der Aktienkurs bricht ein.

Siemens zieht sich aus Russland zurück. picture alliance/dpa

Wartung von Zügen in St. Petersburg

Siemens zieht sich aus Russland zurück.

München Siemens zieht sich nach rund 170 Jahren nahezu komplett aus Russland zurück. „Wir verurteilen den Krieg in der Ukraine und haben beschlossen, unsere industriellen Geschäftsaktivitäten in Russland in einem geordneten Prozess zu beenden“, sagte Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag in München.

Der Technologiekonzern hatte Anfang März bereits verkündet, kein Neugeschäft mehr mit Russland machen zu wollen. Doch sollten die langfristigen Serviceverträge zunächst weiter erfüllt werden. Nun aber hieß es, man wolle die Geschäfte einstellen – also auch das Service- und Wartungsgeschäft. „Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, denn wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und langjährige Kundenbeziehungen in einem Markt, in dem wir seit rund 170 Jahren tätig sind“, sagte Busch.

Eine Einschränkung machte der Siemens-Chef: „Nicht berücksichtigt sind die auf Gesundheitsversorgung fokussierten Aktivitäten von Siemens Healthineers.“

Busch begründete den radikalen Schnitt mit den Sanktionen. Die verschärften Sanktionen hätten zuletzt zum Beispiel sogar Schmierstoffe betroffen. Ein Service sei da nicht mehr möglich. „Die Pipeline läuft aus.“ Man habe den Kunden eine Vorwarnung von einigen Wochen gegeben und setze die Entscheidung nun schrittweise um.

Im abgelaufenen Quartal drückten die gegen Russland verhängten Sanktionen die Siemens-Ergebnisse bereits deutlich. Wertminderungen und andere Belastungen – überwiegend in der Bahnsparte – wirkten sich auf den Gewinn nach Steuern im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2021/22, das am 30. September endet, bereits mit 600 Millionen Euro aus. Nun könnte noch einmal ein niedriger bis mittlerer dreistelliger Millionenbetrag dazukommen.

Vor allem wegen des Russlandeffekts halbierte sich der Siemens-Gewinn von Januar bis März auf 1,2 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis des industriellen Geschäfts sank um 13 Prozent auf knapp 1,8 Milliarden Euro. Der Aktienkurs brach nach Vorlage der Zahlen und der Verkündung der Russland-Entscheidung zwischenzeitlich um mehr als fünf Prozent auf unter 110 Euro ein.

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Dabei läuft es operativ trotz der externen Belastungen weiter gut. Die Nachfrage ist derzeit bei Siemens – insbesondere in der Einheit Digitale Industrien mit der Automatisierung und der Industriesoftware – höher als erwartet. Der Umsatz des Konzerns stieg im zweiten Quartal um vergleichbar sieben Prozent auf 17 Milliarden Euro, der Auftragseingang legte sogar um 22 Prozent auf knapp 21 Milliarden Euro zu.

Russlandrückzug für Siemens schwierig

Die Wachstumsziele für die Digitalen Industrien und die Intelligente Infrastruktur hob Busch an, während die Bahntechnik nun nur stagnieren wird. Im Gesamtkonzern erwartet Siemens 2021/22 ein vergleichbares Wachstum von sechs bis acht Prozent.

Die Entscheidung für den Komplettrückzug aus Russland ist für Unternehmen wie Siemens deutlich schwieriger zu treffen als für Firmen, die in Russland Konsumgüter verkaufen. Die Verträge für die Wartung von Siemens-Zügen laufen oft über Jahrzehnte.

Zudem sind die Verbindungen historisch eng, nur wenige andere deutsche Konzerne haben eine so lange Russlandtradition. 1851 lieferte der Münchener Konzern 75 Zeigertelegrafen für die Verbindung St. Petersburg-Moskau. Mitte der 1850er-Jahre erwirtschaftete die damalige Siemens&Halske rund 80 Prozent des Gesamtumsatzes in Russland. Carl von Siemens, der Bruder Werners, ließ sich zeitweise sogar in Moskau nieder.

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Später lieferte Siemens ebenso Glühbirnen für den Winterpalast wie Straßenbahnen und Turbinen. Noch unter dem Ex-Chef Peter Löscher erhielt der Konzern viele Staatsaufträge zum Beispiel für Züge. In den vergangenen Jahren sank aber die Bedeutung für das Gesamtgeschäft.

Laut Industriekreisen machte auch die Sorge um die Beschäftigten den Rückzug kompliziert. Es drohe immer die Gefahr, dass sich Mitarbeiter nach russischem Recht strafbar machen, wenn der Konzern Infrastrukturaufträge nicht erfülle. Siemens beschäftigt dort etwa 3000 Mitarbeiter. Das Russlandgeschäft macht laut Konzernangaben weniger als ein Prozent des Umsatzes von Siemens aus. Im vergangenen Jahr erzielte Siemens im Konzern Erlöse von 62,3 Milliarden Euro.

Busch betonte auch die Sorge um die Mitarbeiter in der Ukraine. „Ich denke beispielsweise an Andrej, unseren Sicherheitschef in der Ukraine, der weiterhin in Kiew ausharrt – in seinem Keller.“ Während Bomben einschlugen, habe dieser daran gearbeitet, die Belegschaft, ihre Kinder und Familien in Sicherheit zu bringen und Konvois zur Westgrenze zu organisieren.

14 Millionen Euro Spenden

Insgesamt haben der Konzern und die Mitarbeiter bislang 14 Millionen Euro an Spenden und Sachleistungen zur Verfügung gestellt. Ein Siemens-Gebäude in Warschau wurde zu einer Unterkunft für 150 Geflüchtete umgebaut.

Der Ukrainekonflikt ist für Siemens schon länger ein schwieriges Thema. So hatte Russland nach der Annexion der Krim gegen den Kaufvertrag und den Willen von Siemens trotz EU-Sanktionen zwei Gasturbinen der Münchener auf die Krim verschifft.

Der russische Präsident Wladimir Putin habe ihm damals die Unwahrheit gesagt, erklärte Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der heutige Aufsichtsratschef von Siemens Energy hatte Putin zu Beginn der Krimkrise 2014 besucht und von „kurzfristigen Turbulenzen“ gesprochen. „Es war ein Fehler, aus dem ich gelernt habe“, sagte Kaeser.

>> Lesen Sie hier das ganze Interview: Joe Kaeser über seinen Umgang mit Putin

Sein Nachfolger Roland Busch kappt nun die Bande nach Russland ganz. Damit folgt Siemens dem Beispiel vieler anderer westlicher Unternehmen. So hatte sich auch SAP nach anfänglichem Zögern entschieden, auch die Geschäftsbeziehungen zu Bestandskunden zu beenden.

Finanzielle Belastungen gibt es aber auch bei Konzernen, die zumindest teilweise in Russland aktiv bleiben. So musste der Großhändler Metro mehr als 200 Millionen Euro auf Aktivitäten in Russland und der Ukraine abschreiben.

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