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18.03.2023

14:00

Venture Capital

Biotech-Firmen müssen sich auf Durststrecke bei der Finanzierung einstellen

Von: Siegfried Hofmann

Die Unruhe an den Finanzmärkten zwingt Biotech-Firmen und ihre Geldgeber, mit ihren Ressourcen sparsamer umzugehen. Schnelle Forschungserfolge sind dennoch gefragt.

In der Forschung sind angesichts der abflauenden Kapitalzuflüsse schnelle Erfolge gefragt. imago images/Westend61

DNA-Experiment

In der Forschung sind angesichts der abflauenden Kapitalzuflüsse schnelle Erfolge gefragt.

Frankfurt Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und die Unruhe im europäischen Bankensektor strahlen indirekt auf die Biotech-Szene aus. Branchenkenner gehen davon aus, dass die Krise um das US-Finanzinstitut das ohnehin bereits schwierige Finanzierungsklima für deutsche und europäische Unternehmen in diesem Bereich zusätzlich belastet.

Vor allem für Start-ups und Projekte in frühen Forschungsstadien, so die Erwartung von Experten, dürfte die Finanzierung schwieriger werden. Und die Durststrecke könnte deutlich über 2023 hinaus andauern. „Der Wirbel um die SVB sorgt für zusätzliche Unsicherheit bei Investoren“, erklärt Branchenexperte Patrick Kuettner von der internationalen Managementberatung ClearView Healthcare Partners. Diese betreut schwerpunktmäßig Firmen und Investoren im Biotech-Sektor. Die grundlegenden Rahmenbedingungen und längerfristigen Perspektiven der Branche gelten dabei als weiter intakt.

Die entscheidende Herausforderung indessen erwächst aus Sicht Kuettners daraus, dass das sogenannte „IPO-Fenster“ weitgehend verschlossen ist. Das beschreibt die Gelegenheit, Start-ups zu attraktiven Konditionen an die Börse zu bringen. Dieses Fenster bleibt aufgrund der Unruhe im Bankensektor womöglich länger verschlossen als bisher erwartet. Venture-Capital-Fonds sind dadurch gezwungen, die in den vergangenen Jahren eingeworbenen Finanzreserven stärker für die Unterstützung ihrer bereits bestehenden Engagements einzusetzen.

Der Kapitalzufluss hat sich mehr als halbiert

„Ohne IPOs wird es für die Risikokapital-Fonds schwieriger, Erfolge nachzuweisen und neue Fonds aufzulegen. Es wird daher an Mitteln fehlen, um in neue Firmen zu investieren. Diese Negativspirale dürfte die Finanzierung junger Biotech-Firmen auch in den nächsten zwölf bis 18 Monaten noch bremsen“, erwartet Kuettner.

Die aktuelle Schwächephase der Branche folgt auf einen ausgeprägten Biotech-Boom in den Pandemiejahren 2020 und 2021. Er ging mit Rekordzuflüssen an frischem Kapital und einer Flut von Börsengängen an der US-Börse Nasdaq einher. Seither jedoch sind die Bewertungen der börsengelisteten Firmen und die Kapitalzuflüsse bereits deutlich gesunken, sowohl in den USA als auch in Deutschland.

Deutsche Biotech-Firmen konnten 2022 mit 921 Millionen Euro weniger als halb so viel frisches Kapital einwerben wie 2021. Der Branchenverband BIO Deutschland registrierte vor dem Hintergrund der Entwicklung aktuell eine deutlich pessimistischere Stimmung als in den Vorjahren.

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In den USA führte das schlechte Klima bereits dazu, dass mehr als 100 Biotech-Firmen im größeren Rahmen Stellen abbauen wollen. In Deutschland beschränken sich zumindest personelle Einschnitte bisher auf wenige Fälle. Die Münchener Morphosys etwa gab vor wenigen Tagen den Rückzug aus der gesamten präklinischen Forschung bekannt und will sich in diesem Zuge von 17 Prozent ihrer Mitarbeiter trennen. Bei der Berliner Atai Life Science soll ein Drittel der Stellen entfallen, nachdem vor wenigen Wochen ein wichtiger Wirkstoffkandidat in einer Phase-2-Studie scheiterte.

„Die Budgets in den Firmen werden angepasst, aber wir sehen letztlich keine große Kündigungswelle“, sagt Olivier Litzka, Partner bei der französischen Investmentfirma Andera Partners, die in Deutschland unter anderem in die Krebsforschungsfirmen Tubulis und T-Knife investiert hat.

Ähnlich beurteilt Rainer Strohmenger von Wellington Partners die Situation: „Es gibt immer wieder Firmen, die sich von Mitarbeitern trennen. Aber das sind letztlich Einzelfälle, und kein Branchentrend. In Summe wird die Branche weiter wachsen.“

Die Venture-Capital-Vertreter sehen die Branche insgesamt weiterhin in solider Verfassung. „Im Vergleich zu den Jahren 2020 und 2021 sind die Finanzierungsbedingungen für Biotech-Firmen schwieriger geworden. Es gibt viel Nervosität im Markt. Aber die Situation ist auch nicht dramatisch schlecht“, erklärt Strohmenger. Investoren hätten weiterhin viel Geld , was sie lediglich etwas zögerlicher und selektiver investierten. „Insofern befinden wir uns in einer ganz anderen Situation als etwa in den ersten Jahren des vorletzten Jahrzehnts, als auch die Investoren kein Kapital hatten.“

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Zu einem weiter positiven Beschäftigungstrend dürften nicht zuletzt einzelne besonders stark finanzierte Firmen beitragen, die bereits operative Cashflows generieren. Dazu gehört zum Beispiel die kräftig expandierende Milteny-Gruppe, die als Technologielieferant vom weltweiten Boom in der Zelltherapieforschung profitiert. Oder die Mainzer Biontech, die dank zweistelliger Milliardenerträge aus dem Covidgeschäft ihre Forschung völlig unabhängig von externem Risikokapital ausbauen kann.

Schnellere klinische Erfolge sind gefragt

Das Gros der Branche indessen wird nach Erwartung von Branchenbeobachtern durch das schwächere Finanzierungsumfeld gezwungen, seine Ressourcen fokussierter einzusetzen. „Es ist klar, dass alle privaten Firmen nun genauer darauf achten, wie sie Geld ausgeben und ihre Projekte priorisieren“, sagt Andera-Partner Litzka.

Insgesamt dürfte die Entwicklung damit auf eine Verschiebung in den Forschungsstrategien hinauslaufen. Während in den zurückliegenden Jahren Basisforschung und sogenannte Plattformtechnologien hoch im Kurs standen, rücken nun stärker fortgeschrittene Entwicklungsprodukte in den Vordergrund. Viele Firmen werden ihre Ressourcen primär auf solche Projekte lenken, die schnelle klinische Erfolge versprechen – und letztlich den Weg zu besserer Bewertung und Finanzierung ebnen.

Das Mainzer Biotech-Unternehmen kann sein Wachstum inzwischen selbst finanzieren – ist damit aber eine Ausnahme im Markt für junge Unternehmen. IMAGO/Chris Emil Janßen

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Biontech-CEO Ugur Sahin

Das Mainzer Biotech-Unternehmen kann sein Wachstum inzwischen selbst finanzieren – ist damit aber eine Ausnahme im Markt für junge Unternehmen.

Dieser Trend wird auch durch Sparmaßnahmen wie im Falle Morphosys reflektiert. Das Münchener Unternehmen, das in den vergangenen beiden Jahren mehr als 80 Prozent an Wert verloren hat, konzentriert seine vergleichsweise üppige Finanzressourcen nun weitgehend auf relativ große Phase-3-Studien mit dem potenziellen Krebsmittel Pelabresib und dem bereits zugelassenen Wirkstoff Tafasitamab.

Ein ähnliches Signal vermittelten auch die jüngsten Akquisitionen der Big-Pharma-Konzerne. Branchenführer Pfizer erwarb mit der 43 Milliarden Dollar teuren Seagen ein Biotech-Unternehmen, das bereits vier Produkte auf dem Markt und eine ganze Reihe weiterer Kandidaten in fortgeschrittenen Studien testet. Sanofi kaufte den Partner Provention Bio, der wenige Monate zuvor die erste Zulassung für ein neuartiges Diabetesmedikament erhalten hatte.

Die Deals untermauern einerseits das weiterhin hohe Interesse der Pharmabranche an Biotech-Firmen. Sie zeigen andererseits auch, dass dabei vor allem Firmen und Produkte gefragt sind, die in klinischen Studien bereits überzeugt haben.

Auch vor diesem Hintergrund wird es für Biotech-Firmen und ihre Geldgeber darauf ankommen, aus der Forschung schneller konkrete Erfolge zu generieren.

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