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24.03.2023

13:20

Verdächtige Abgaswerte

Verkehrsministerium und KBA sehen nach neuem Diesel-Bericht keinen Handlungsbedarf

Von: Lazar Backovic

Forscher, die den Dieselskandal ins Rollen gebracht haben, gehen von deutlich mehr illegalen Abschalteinrichtungen aus als bislang bekannt. Die Behörden berufen sich auf alte Testverfahren.

„Weitere beschränkende verwaltungsrechtliche Maßnahmen“ seien „aufgrund des Typgenehmigungsrechts nicht zulässig“, teilt die Behörde mit. dpa

Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

„Weitere beschränkende verwaltungsrechtliche Maßnahmen“ seien „aufgrund des Typgenehmigungsrechts nicht zulässig“, teilt die Behörde mit.

Düsseldorf Nach einem Bericht zu möglichen Abschalteinrichtungen in 150 alten Diesel-Modellen verteidigen das Bundesverkehrsministerium und das für Zulassungsfragen zuständige Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ihr Handeln.

Für die betroffenen Fahrzeuge hätten ausschließlich Grenzwerte gegolten, die unter Laborbedingungen auf einem Prüfstand ermittelt wurden, teilten die Behörden mit. Diese sind in der Regel leichter einzuhalten als im normalen Fahrzeugbetrieb, was heutiger Standard beim Messen von Emissionen ist.

Eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums von Volker Wissing (FDP) sagte dem Handelsblatt, dass, sofern das KBA „eine Abweichung zum genehmigten Fahrzeugtyp“ bei einzelnen Fahrzeugen feststellte, „der typgenehmigungskonforme Zustand“ zwischenzeitlich „mittels Software-Update wiederhergestellt“ wurde.

Auch das KBA erklärte gegenüber dem Handelsblatt, dass seit den Messungen „zahlreiche Nachkalibrierungen der Steuerungssoftware in Rückrufaktionen oder Hersteller-Updates vorgenommen“ worden seien. Wurde bei Autos nachgebessert, seien „weitere beschränkende verwaltungsrechtliche Maßnahmen aufgrund des Typgenehmigungsrechts nicht zulässig“, so ein Sprecher der Flensburger Behörde.

Am Mittwoch hatte ein Bericht des „International Council on Clean Transportation Europe“ (ICCT Europe) Hersteller und Behörden knapp acht Jahre nach Beginn der Dieselaffäre erneut in Erklärungsnot gebracht. Laut dem Report weisen 77 Prozent der Dieselmodelle mit den Abgasnormen Euro 5, 6b und 6c verdächtig hohe Stickoxidemissionen auf. Bei rund 150 Modellen seien die Werte sogar so hoch, dass in den Fahrzeugen laut ICCT „mit ziemlicher Sicherheit eine verbotene Abschalteinrichtung“ vorhanden ist.

13 Millionen Autos mit extrem hohen Stickoxidemissionen

Der Bericht bezieht sich auf mehr als 200 Diesel-Pkw-Modelle mit Euro-5- und Euro-6-Zulassung, von denen zwischen 2009 und 2019 rund 53 Millionen Fahrzeuge in Europa verkauft wurden, die meisten davon vom Volkswagen-Konzern. Ein Bericht des ICCT hatte 2015 seinerzeit den Dieselskandal ins Rollen gebracht.

Das Ministerium beruft sich darauf, dass bei schmutzigen Dieseln ein „typgenehmigungskonformer Zustand wiederhergestellt“ worden sei. dpa

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)

Das Ministerium beruft sich darauf, dass bei schmutzigen Dieseln ein „typgenehmigungskonformer Zustand wiederhergestellt“ worden sei.

Nach dem neuen Bericht seien etwa 13 Millionen Autos mit „extrem“ hohen Stickoxidemissionen weiterhin auf Europas Straßen. Als extrem sieht der ICCT je nach Test das mindestens Drei- oder Vierfache des offiziellen Grenzwerts an.

Die Autoindustrie geht von deutlich geringeren Zahlen aus. So kritisiert der Verband der Automobilindustrie, dass der ICCT-Bericht „ausschließlich auf längst überholten Daten“ basiere.

Tatsächlich fußen die ICCT-Zahlen nicht auf eigenen Erhebungen, sondern auf einer großen Testdatenbank sowie Zweitauswertungen zu Abgastests von Behörden und Organisationen, die seit 2016 liefen. Ein Jahr zuvor waren die Dieselmanipulationen bei Volkswagen bekannt geworden.

Bis 2017 wurden in der EU Spritverbrauch und Emissionen bei Pkw nach dem sogenannten „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) überprüft, einem reinen Labortest auf einem Prüfstand, der als relativ ungenau gilt. Als Reaktion auf den Dieselskandal wurde das Verfahren mehrmals verschärft, heute wird unter Realbedingungen auf der Straße getestet.

ICCT-Geschäftsführer: „Herstellerseitige Software-Updates haben zu keiner nennenswerten Verbesserung geführt“

ICCT-Geschäftsführer Peter Mock verweist darauf, dass aktuelle Messungen von Tausenden Dieselfahrzeugen, welche vom Straßenrand aus im Vorbeifahren auf ihre Emissionen hin überprüft wurden, die hohen Werte der Behördentests aus früheren Jahren bestätigen. „Diese aktuellen Messdaten legen den Schluss nahe, dass herstellerseitige Software-Updates in der Regel zu keiner nennenswerten Verbesserung im Abgasverhalten der Fahrzeuge geführt haben“, so Mock.

Außerdem hätten die Hersteller zudem oft mit sogenannten „Thermofenstern“ nachgebessert. Mit der Technik stoßen Pkw außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs mehr Stickoxide aus als erlaubt.

Laut Industrie ist das nötig, um den Motor bei Extremtemperaturen vor Schäden zu schützen. Umweltorganisationen sehen darin ein Instrument, um Emissionen von Autos unter Testbedingungen geringer erscheinen zu lassen, als sie es im realen Straßenverkehr sind.

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Der Europäische Gerichtshof hat der Argumentation der Autohersteller in mehreren Urteilen eine Absage erteilt und zuletzt die Möglichkeit für Verbraucher, Schadenersatz zu fordern, vereinfacht. Anfang Mai wird der Bundesgerichtshof, Deutschlands höchstes Strafgericht, über die Folgen des EuGH-Urteils für Schadenersatzansprüche verhandeln. Beim BGH sind um die 1900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig. Das Verkehrsministerium sagte, dass die Entscheidung des EuGH „keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Geschäftsbereich“ der Behörde habe.

Laut EuGH müssen Autobauer künftig Kunden grundsätzlich Schadenersatz zahlen, wenn im Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung eingesetzt wird. Bislang hatten Klägerinnen und Kläger nur dann Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Das galt bisher nur für den VW-Dieselmotor EA189 – jenen Motor, mit dem der Dieselskandal ab September 2015 seinen Lauf nahm.

Modelle mit diesem Motor tauchen in dem aktuellen ICCT-Papier wieder auf. Ein VW-Sprecher erklärte: „Alle Volkswagen halten die gesetzlichen Grenzwerte der Abgasnormen ein, die zum Zeitpunkt ihrer Erstzulassung gegolten haben.“ Keines der in dem Report genannten Fahrzeuge aus dem VW-Konzern enthalte „eine unzulässige Abschalteinrichtung“.

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