PremiumDie Rolle von Volkswagen in der brasilianischen Militärdiktatur der 1970er und 1980er wird untersucht. Auf Farmen des Konzerns sollen Arbeiter geknechtet worden sein.
Proteste vor dem VW-Werk in Sao Bernardo do Campo
„Wir wollen keine Party, sondern Gerechtigkeit“, steht auf dem Plakat. Der Umgang von VW mit Arbeitern in Brasilien beschäftigt den Konzern.
Bild: Reuters
Düsseldorf Volkswagen wird wieder einmal von seiner dunklen Vergangenheit in Brasilien eingeholt. Staatsanwälte in Rio de Janeiro ermitteln gegen den deutschen Automobilhersteller wegen möglicher Menschenrechtsverstöße, die sich in den 1970er- und 1980er-Jahren in Brasilien zugetragen haben sollen. Der VW-Konzern ist zum wiederholten Mal solchen Ermittlungen im größten Staat Südamerikas ausgesetzt. Über das neue Verfahren hatten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung zuerst berichtet.
Konkret geht es um mögliche Vorfälle auf einer riesigen Rinderfarm, die Volkswagen zusätzlich zu seinen Autofabriken zwischen 1974 und 1986 in der Amazonas-Region betrieben hatte. Dort sollen Arbeiter zu menschenunwürdigen Bedingungen eingesetzt worden sein. An sieben Tagen in der Woche wurde dort gearbeitet, ein Zehn-Stunden-Tag war die Regel. Die Arbeiter auf der Farm, etwa 1000, sollen dafür nicht entlohnt worden sein. In der 2000-seitigen Ermittlungsakte ist deshalb von „Sklavenarbeit“ die Rede. Mögliche Todesfälle werden dabei ebenfalls untersucht.
Dem Volkswagen-Konzern sind die neuen Untersuchungen der Staatsanwälte in Rio seit der vergangenen Woche bekannt. „Wir nehmen die Ermittlungen sehr ernst“, sagte ein Konzernsprecher auf Anfrage. Menschenrechtsverletzungen seien für den Wolfsburger Autohersteller nicht tolerabel. VW müsse sich nun allerdings erst einmal selbst über den Ermittlungsstand informieren.
In den 70er-Jahren war die Kopplung von Autoproduktion und dem Betrieb von großen Farmen in Brasilien durchaus üblich. Nicht nur Volkswagen war dadurch stark in der Fleischproduktion engagiert, sondern auch Wettbewerber wie etwa der amerikanische Ford-Konzern. Die VW-Farm war riesig: Auf 140.000 Hektar gab es einen Bestand von rund 70.000 Rindern.
Auslöser für diese Kopplung dieser gegensätzlichen Branchen waren währungs- und steuerrechtliche Bestimmungen, die das damals in Brasilien regierende Militärregime ausgesprochen hatte. Die Gewinne, die die Autohersteller damals erzielten, mussten im Land bleiben und durften nicht über die Staatsgrenzen hinweg transferiert werden. Steuererleichterungen sorgten dann zusätzlich dafür, dass Autokonzerne ihre Gewinne in Brasilien dann beispielsweise in der Agrarwirtschaft anlegten. Die Militärs regierten in Brasilien bis 1985. Kurz danach gab Volkswagen das Rindergeschäft auf.
Mitte Juni wird sich Volkswagen im Rahmen einer Anhörung voraussichtlich erstmals den neuen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen stellen müssen. Unklar ist im Moment noch, ob unmittelbar VW-Beschäftigte von den Menschenrechtsverletzungen betroffen waren. Möglicherweise waren es auch Leiharbeiter, für die Volkswagen nicht unmittelbare Verantwortung trug. Die größten Probleme könnte es bei der Errichtung der Farm Anfang der 70er-Jahre gegeben haben. Für die Rinderzucht von Volkswagen mussten große Regenwaldgebiete in der Amazonas-Region unter schwierigen Arbeitsbedingungen gerodet werden.
Im Rahmen des neuen Verfahrens könnten am Ende weitere Entschädigungszahlungen auf den Volkswagen-Konzern zukommen. Vor zwei Jahren hatte sich der Wolfsburger Autohersteller schon dazu bereiterklärt, umgerechnet etwa 5,5 Millionen Euro an frühere Beschäftigte aus Brasilien zu zahlen.
Auslöser war ein Gutachten, das der Bielefelder Historiker Christopher Kopper erstellt hatte. Die Ergebnisse, die Kopper in seinem 116-seitigen Bericht damals über die Rolle von Volkswagen Brasilien während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 präsentierte, waren eindeutig. So gebe es zwar keine Hinweise darauf, dass das Management von VW do Brasil die Machtübernahme durch die Militärs aktiv unterstützt habe. „Es beurteilte den Militärputsch jedoch eindeutig positiv, da es eine stabilere und vor allem unternehmensfreundliche Politik erwartete“, so der Forscher.
Von 1969 an startete die unmittelbare Zusammenarbeit von Militärs und Volkswagen. Der Werksschutz von VW begann mit der politischen Polizei des Regimes zu kollaborieren, erst zehn Jahre später endete diese Kooperation. Dabei überwachte der Werksschutz oppositionelle Aktivitäten seiner Beschäftigten und erleichterte dadurch die Verhaftung von mindestens sieben Mitarbeitern.
„Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als der Einsatz von Folter durch die politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“, so Kopper in seinem Gutachten. Nach der Aussage des damals inhaftierten Arbeiters Lucio Bellentani ließ der Werksschutz nicht nur seine Verhaftung, sondern auch seine Misshandlung durch die politische Polizei auf dem Werksgelände geschehen.
Die freiwillige Kooperation des VW-Werksschutzes mit den Polizeibehörden des Militärregimes setzte sich bis zu einem großen Streik im Jahr 1979 fort. Entschädigungszahlungen sollten ehemalige VW-Beschäftigte bekommen, die in den 70er-Jahren wegen der Kooperation zwischen VW-Werksschutz und Militärs misshandelt worden waren.
Aus wirtschaftlicher Sicht war Brasilien für den Volkswagen-Konzern für viele Jahre ein Zuschussgeschäft. Erst im vergangenen Jahr ist es dem deutschen Autohersteller dort wieder gelungen, schwarze Zahlen zu schreiben. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Umstellung der Modellpalette. Volkswagen verkauft in Brasilien jetzt nicht mehr nur rein europäisch konzipierte Modelle, sondern verstärkt Autos nach brasilianischem Geschmack.
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