PremiumMit seiner Fabrik in der Uiguren-Provinz Xinjiang steckt VW in einem Dilemma. Nach einem Besuch des Chinachefs werden Arbeitnehmervertreter und Investoren nervös.
VW-Werk in Xinjiang
Fabrik von Volkswagen in China mit enormem Reputationsrisiko.
Bild: Dana Heide [M]
Düsseldorf, Peking, Berlin Volkswagens China-Chef Ralf Brandstätter hat das umstrittene Werk des Konzerns in Urumtschi besucht. Die Stadt liegt in der westchinesischen Provinz Xinjiang, in der das kommunistische Regime laut internationalen Berichten brutal gegen die dortige muslimische Volksgruppe der Uiguren vorgeht. Das Werk gilt daher als tickende Reputationsbombe für den zweitgrößten Autobauer der Welt.
Auffällig ist jedoch, dass Brandstätter der Fabrik nach seinem Ortsbesuch vor allem Positives attestiert: „Moderne Räumlichkeiten, gepflegt, hoher Standard“ – so wie man es von VW gewohnt sei, erklärte der Manager vor Journalisten. Es gebe eine Halal-Kantine für die muslimische Minderheit und eine Turnhalle, die sich die Belegschaft gewünscht habe.
Die Mitarbeiter könnten sich zudem in anderen chinesischen Werken weiterqualifizieren, sagt Brandstätter. Knapp 200 Angestellte hätten davon seit 2015 Gebrauch gemacht. „Die Arbeitsbedingungen sind vergleichbar mit anderen Standorten in China“, sagte er. Er erkenne daher keine Widersprüche zu dem, was ihm bislang intern über das Werk in Xinjiang berichtet wurde.
Auch Thomas Steg, VWs Generalbevollmächtigter für Außenbeziehungen, betont in einem Call mit Journalisten zu dem Thema: „Wir hatten in der Vergangenheit und wir haben aktuell keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen oder Zwangsarbeit im Werk Urumtschi.“
Der Standort hat für Volkswagen in seinem wichtigsten Einzelmarkt China vor allem eine hohe symbolische Bedeutung. Gleichzeitig wächst das Reputationsrisiko. Arbeitnehmervertreter hinterfragen das Engagement bereits länger kritisch. Und auch von Investorenseite wächst die Skepsis.
Satellitenbild der VW-SAIC-Anlage in Urumtschi
Ein paar graue Gebäude, umringt von Zäunen.
Brandstätter war nach eigenen Angaben Mitte Februar für anderthalb Tage in Urumtschi. Es seien gute Gespräche gewesen, betont der Manager, der nach eigenen Angaben mit der Belegschaft vor Ort und mit sieben Mitarbeitern verschiedener Ethnien sprach. 238 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derzeit nach VW-Angaben dort beschäftigt. Ein knappes Drittel gehöre Minderheiten an, rund 17 Prozent aller Beschäftigten seien Uiguren.
Nachprüfen lassen sich die Angaben nicht. Eine Anfrage des Handelsblatts im Vorfeld, bei der Reise dabei sein zu können, lehnte VW ab.
Über Xinjiang werden immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit publik. Die damalige UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet warf China kurz vor ihrem Amtszeitende „schwere Menschenrechtsverletzungen“ gegen die uigurische Minderheit vor. In einem Report ist von möglichen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ die Rede.
Ähnliche Berichte gibt es in den sogenannten „Xinjiang Police Files“ und im Bericht des australischen Thinktanks ASPI. Letzterer geht davon aus, dass nur 15 Autominuten vom VW-Werk entfernt ein Umerziehungslager steht, in dem Angehörige der muslimischen Minderheit vom chinesischen Staat interniert werden.
Volkswagen beteuert seit Jahren, dass im Werk alles nach Vorschrift verlaufe und die Menschenrechte geachtet würden. Man sei besorgt über die zahlreichen Berichte, die auch die chinesischen Partner kennen würden. Der Konzern hält dennoch weiter an der Präsenz vor Ort fest. Die sei mitunter sogar „positiv für die Menschen“, wie Konzernchef Oliver Blume kürzlich an den World Uyghur Congress (WUC) schrieb.
VW hat selbst nur beschränktes Durchgriffsrecht in Urumtschi. Formal ist der deutsche Konzern weder Alleineigentümer noch Betreiber der Fabrik. Das Werk ist in einem Joint Venture zwischen VW und dem chinesischen Partner SAIC zu jeweils 50 Prozent aufgeteilt. Betreiber ist eine Tochtergesellschaft des Gemeinschaftsunternehmens.
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Um die Arbeitsbedingungen im Blick zu haben, seien Hinweisgebersysteme und ein Verhaltenskodex eingerichtet worden. Experten halten solche Systeme für Makulatur. Wer in einem Polizeistaat wie Xinjiang auch nur die leiseste Kritik an der chinesischen Führung oder staatlichen Einrichtungen äußert, kann für Jahre in Zwangslager gesperrt werden.
Das Problem: Ohne Zustimmung des chinesischen Partners SAIC kann VW keine Änderungen an dem Konstrukt vornehmen. Man respektiere die Verträge, sagt VW-Außenbeziehungschef Steg. „Von einem globalen Konzern, der weltweit Verträge abschließen will, erwartet man Vertragstreue und Verlässlichkeit.“
Folglich ließe sich das Werk auch nicht so einfach schließen, selbst wenn der Autobauer das wollte. Nach Information des Handelsblatts läuft der Vertrag zwischen SAIC und VW noch bis Anfang der 2030er-Jahre. Bis dahin steckt der Konzern in einem Dilemma: Entweder verärgert er die chinesische Seite oder er hält an dem umstrittenen Werk fest – auch wenn das mit unangenehmen Fragen einhergeht.
Die werden auch intern immer offener und kritischer. Die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat habe angeregt, „dass der Konzern gegenüber Medien und weiteren Stakeholdern den konkreten Nutzen des Werkes Urumtschi stärker als bisher erläutert“, heißt es vom Konzernbetriebsrat auf Anfrage.
Zwar möge das Werk rein formal und mit Blick auf die „Konzernstruktur nicht im direkten Durchgriffsbereich der VW AG liegen“, heißt es in dem Statement weiter. Das entbinde VW aber nicht davon, sich den Themen wie Menschenrechtsverletzungen in der Region „zu stellen und sich dazu aktiv zu positionieren“.
Im Sommer hatte auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann offen die Investitionen in das Werk hinterfragt und VW zum Rückzug aus Xinjiang aufgefordert. Hofmann ist stellvertretender Aufsichtsratschef des Konzerns.
In der Coronakrise hat auch der Absatz von VW in China gelitten. In ordentlichen Jahren setzte der Autokonzern dort jedoch mehr als vier Millionen Autos ab. Der betriebswirtschaftliche Beitrag des Werks in Urumtschi fällt dagegen gering aus.
Nach Xinjiang kommen weitestgehend fertige Autos mittlerweile nur noch für einen letzten Check. 10.000 Fahrzeuge wurden in der umstrittenen Fabrik zuletzt in Betrieb genommen und an lokale Händler ausgeliefert. Die Kapazität lag mal bei 50.000. Auch die Zahl der Mitarbeiter hat sich seit der Covidkrise mehr als halbiert. Die Mitarbeiter sind entweder an anderen Standorten untergekommen oder haben Abfindungspakete erhalten, sagt VW.
Ein Risiko stellt die Situation mittlerweile auch mit Blick auf den Kapitalmarkt dar. Im November hatte der US-Finanzdienstleister MSCI sein Nachhaltigkeitsrating für VW wegen seiner Aktivitäten in Xinjiang mit einer Warnung versehen. Einige Fonds warfen daraufhin die Aktie aus ihren Portfolios.
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Die Warnung habe damit eine hohe Eskalationsstufe, sagt Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef bei Deka Investment. Diese könnte sich auch unmittelbar auf Anleihen und Aktienpositionen auswirken. „Die Menschenrechtssituation in China bei VW ist für den Kapitalmarkt eine Blackbox. VW ist in Xinjiang gefangen im eigenen Reputationsrisiko.“
Die Uiguren-Diaspora erklärte, VW habe sich mit Informationen zu Brandstätters Reise bedeckt gehalten. „Bei Volkswagen lassen sich bis jetzt keine Anzeichen für eine Zeitenwende erkennen“, sagt Haiyuer Kuerban, Leiter des Berliner WUC-Büros. Es war die erste Visite eines VW-Chinachefs seit 2018. Immerhin kündigte Brandstätter an: „Das war mein erster Besuch, aber nicht mein letzter.“
Erstpublikation: 28.02.2023, 06:00 Uhr. Aktualisierung 28.02.2023, 13:38 Uhr.
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