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20.02.2023

14:44

Volkswagen

VW muss den Betriebsräten ab Februar die Gehälter kürzen

Von: Lazar Backovic, René Bender, Martin Murphy

Rund ein Drittel der Arbeitnehmervertreter im VW-Konzern bekommt bald weniger Gehalt. Grund ist ein BGH-Entscheid. Die IG Metall kritisiert das Urteil. Betroffene dürften klagen.

Im Konzern stehen für einige Arbeitnehmervertreter Gehaltskürzungen an. dpa

Autostadt in Wolfsburg

Im Konzern stehen für einige Arbeitnehmervertreter Gehaltskürzungen an.

Düsseldorf In den vergangenen Wochen rumorte es kräftig im VW-Betriebsrat. Grund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das empfindliche Gehaltskürzungen mit sich bringen könnte. Das Handelsblatt berichtete.

Inzwischen ist die schriftliche Begründung der BGH-Entscheidung öffentlich. Nun ist klar: Bis zu 80 der rund 250 Arbeitnehmervertreter im Konzern soll mit der Auszahlung im Februar das Gehalt gekürzt werden. Das erfuhr das Handelsblatt aus mit dem Vorgang vertrauten Kreisen.

Demnach sollen die Einbußen in Einzelfällen fast die Hälfe des Gehalts ausmachen. In der Spitze liegen die Kürzungen nach Handelsblatt-Informationen bei bis zu 4000 Euro monatlich.

Aber auch mittlere Einkommen dürften von dem Urteil betroffen sein. So ist dem Handelsblatt der Fall eines führenden VW-Betriebsrats bekannt, der von Entgeltstufe 17 auf Entgeltstufe 8 fallen würde. In Bruttogehältern ausgedrückt heißt das: 3800 Euro statt 6100 Euro – 2300 Euro weniger im Monat.

VW liegt die Urteilsbegründung wohl seit Wochenbeginn vor. Seither hat man sich im Konzern intensiv beratschlagt, was das 17-seitige Dokument für die Volkswagen-Betriebsräte konkret bedeutet. Das Unternehmen hat laut Informationen des Handelsblatts mit den betroffenen Arbeitnehmervertretern bereits das Gespräch gesucht. In den kommenden Tagen sollen sie schriftlich über die Kürzungen informiert werden.

BGH-Urteil kassiert Betriebsratsvergütung nach „hypothetischer Karriere“

Volkswagen kommentiert die Handelsblatt-Recherchen nicht. In einem Statement teilt der Konzern mit, dass man die Begründung des BGH-Urteils zur Kenntnis genommen habe. Weiter heißt es: „Das Unternehmen wird die darin enthaltenen Feststellungen zum Maßstab der Betriebsratsvergütung berücksichtigen.“

Zusätzlich weist der Konzern darauf hin, dass vor den Arbeitsgerichten weitere Klageverfahren zur Betriebsratsvergütung anhängig seien. „Ob und inwieweit sich aus diesen Verfahren Neubewertungen für die Bezahlung von Betriebsräten ergeben werden, bleibt in der weiteren Entwicklung abzuwarten“, heißt es aus Wolfsburg.

Der BGH, Deutschlands höchstes Strafgericht, hatte Mitte Januar die Freisprüche für vier VW-Personalmanager in einem Untreueprozess vor dem Landgericht Braunschweig aufgehoben. In seiner schriftlichen Begründung kassierte der BGH zudem die Betriebsratsvergütung nach dem Modell der sogenannten „hypothetischen Karriere“.

Vielmehr sei ein Betriebsratsgehalt „nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen“. Genau dieser Passus betrifft die etwa 80 Arbeitnehmervertreter bei VW.

Prinzipiell können Betriebsräte in Deutschland nach zwei Modellen bezahlt werden. Das eine orientiert sich an der üblichen Entwicklung von Vergleichspersonen im Betrieb, die andere Variante ist die sogenannte hypothetische Karriere. Dabei wird vereinfacht gesagt geschätzt, welchen Werdegang ein Arbeitnehmer ohne die Betriebsratstätigkeit eingeschlagen hätte – ein beliebtes Vergütungsmodell für zahlreiche Betriebsräte in deutschen Industrieunternehmen, nicht nur bei VW.

Sechsstellige Gehälter für VW-Spitzenbetriebsräte Osterloh und Cavallo

Ein sehr prominentes Beispiel ist der ehemalige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, der als Bandarbeiter im Konzern anfing. Später kassierte er als Arbeitnehmerchef sechsstellige Jahresgehälter, in der Spitze inklusive Bonuszahlungen sogar rund 750.000 Euro. Inzwischen ist Osterloh Personalvorstand bei VWs Lkw-Sparte Traton.

Seine Nachfolgerin an der Betriebsratsspitze, Daniela Cavallo, wird nach dem weiter zulässigen Vergleichsmodell bezahlt. Cavallo verdient etwa 100.000 Euro im Jahr, wie sie bereits 2021 öffentlich machte.

Ein Sprecher des Volkswagen-Betriebsrats nannte die Entscheidung auf Anfrage „ein Skandalurteil“, das einem „bundesweiten Frontalangriff auf die Mitbestimmung“ gleichkomme. Die Kritik: Bei einer im Kern arbeitsrechtlichen Frage wische der BGH „als Strafgericht die jahrelange höchstrichterliche Praxis des Bundesarbeitsgerichtes beiseite“. In der Folge sei damit nun arbeitsrechtlich erlaubt, was parallel strafrechtlich verboten ist.

Die Arbeitnehmervertreterin bekommt deutlich weniger Jahresgehalt als ihr Vorgänger Bernd Osterloh. imago images/Susanne Hübner

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo

Die Arbeitnehmervertreterin bekommt deutlich weniger Jahresgehalt als ihr Vorgänger Bernd Osterloh.

Tatsächlich gerät die BGH-Entscheidung in Konflikt zu früheren Urteilen von Arbeitsgerichten und damit letztlich auch mit dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Dieses regelt de facto die Bezahlung von Belegschaftsvertretern, stammt aus den 1970er-Jahren und gilt unter etlichen juristischen Kommentatoren als überholt und schwammig.

Laut dem Gesetz dürfen Betriebsräte vereinfacht gesagt bei der Bezahlung gegenüber anderen Arbeitnehmern weder begünstigt noch benachteiligt werden. Der BGH macht in seinem Urteil nun deutlich, dass Unternehmensverantwortliche gegen ihre Vermögensbetreuungspflichten verstoßen, wenn sie Betriebsräten zu hohe Gehälter bewilligen. Ihnen droht im Zweifel eine Verurteilung wegen Untreue. In diesem schmalen Korridor zwischen Straf- und Arbeitsrecht müssen sich Deutschlands Unternehmen und Personalverantwortliche nun bewegen.

Volkswagen: Bei zu hohen Gehältern droht eine Klage wegen Untreue

Fakt ist: Das BGH-Urteil ist keine Lex Volkswagen, sondern dürfte auch die Vergütung von Betriebsräten in anderen Unternehmen verändern. Die Bezahlung nach dem Modell der hypothetischen Karriere war jahrzehntelang in etlichen Industriekonzernen Usus. Sie alle müssen nun handeln.

Auf einen mit Fragen der Betriebsratsvergütung vertrauten Betrachter wirken die Ausführungen des BGH mitunter, als wüsste dieser nicht so recht, wovon er spricht. Georg Annuß, Arbeitsrechtler

Die Gewerkschaft IG Metall mahnt, dass das Urteil für die Betroffenen „zu einer enormen Rechtsunsicherheit“ führe und fordert den Gesetzgeber auf, „hier für Rechtsklarheit zu sorgen“, wie eine Sprecherin erklärt.

Im VW-Betriebsrat geht man davon aus, dass sich die betroffenen Arbeitnehmervertreter gegen das Urteil juristisch zur Wehr setzen werden. 98 Prozent aller VW-Betriebsratsmitglieder würden nach Tarif bezahlt, sagt ein Sprecher. Die Durchschnittsgehälter seien bereits schon vor dem BGH-Entscheid mit denen der gesamten Belegschaft vergleichbar gewesen.

Auch der renommierte Arbeitsrechtler Georg Annuß kritisierte die schriftliche Begründung in einem LinkedIn-Post scharf. Wörtlich schrieb er auf dem Karrierenetzwerk: „Auf einen mit Fragen der Betriebsratsvergütung vertrauten Betrachter wirken die Ausführungen des BGH mitunter, als wüsste dieser nicht so recht, wovon er spricht.“

Annuß meint gar, der BGH habe angesichts der Divergenz zum Bundesarbeitsgericht nicht entscheiden dürfen, ohne den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Weil er dies nicht tat, könnte der Fall womöglich noch einer für das Bundesverfassungsgericht werden. Das Urteil könnte damit Anwälte und Arbeitnehmervertreter noch eine ganze Weile beschäftigen.

Erstpublikation am 17.02.23, um 16:13 Uhr.

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